Die vier Profile
In einem kleinen verschlafenen Örtchen gab es vier Profile. Was prozentul gesehen viel war. In dieser in einen Feldweg hineingehauenen Straße gab es ausser einigen Dutzend Menschen nichts, aber das Internet.
Was ja auch der Sinn der Sache ist, so kann weltweit jeder mit jedem kommunizieren. Zumindest theoretisch.
Es gab zwei Frauenprofile in der Gegend, die sehr unterschiedlich waren.
Amicula definierte sich über ihren Hang zum dienen und ihre schöngeistigen Interessen.
Mammala war eher der körperbetonte Typ, wenn sie schrieb dann von geilen Parties und Sessions.
An der Realität der Frauen bestand kein Zweifel, denn Mammala stellte regelmäßig ihre frischen Wunden ins Net und gab dann die Möglichkeit, dem Heilungsprozess zuzusehen.
Amicula hielt regelmässig Lesungen ab und hatte bereits zwei Bücher verlegt, wenn auch auf eigene Kosten.
Die beiden Frauen hatten eine unüberwindliche Abneigung voreinander und ihre Profile längst gegenseitig auf "Ignorieren" gestellt. Ausserdem sorgten sie ständig für wilde Forenkriege. Und hatten beide längst eine Anhängerschaft, die bei Bedarf schnell mobilisiert werden konnte.
Bei den Männern gab es einen sehr herben Motorradfahrer namens XDomDomXXL, dessen Profil sich eher als Ansage las.
Er wollte eine "naturdevote Frau" zwecks "bedingungsloser Unterwerfung."
Unter was? Unter ihn wohl nicht, 110 kg wären da doch etwas viel. Vermutlich unter seinen Willen. Allerdings war der nicht klar erkennbar, aber er gab bei jedem Forumthema zu verstehen das er ein schweres Schicksal hinter sich hatte, es aus eigener Kraft gemeistert hatte und sich von niemandem mehr was sagen liess. Ausserdem hatte er ständig zu allem eine Meinung, selbst wenn er sich noch gar keine gebildet hatte. Er war eben ein richtiger Kerl, nicht so ein Lauei.
Das betonte er durch dauernde Unfreundlichkeit, unterbrochen von Schilderungen, wie er einen Teil der Welt gerettet hatte, rettete und noch retten würde. Und Vorwürfen gegen alle Anderen, die seine Taten nicht würdigten oder gar eine andere Meinung hatten.
Seit wann haben Subs Meinungen zu haben? Eben. Wer zu blöd war, seine geistige Überlegenheit zu bemerken hatte selbst schuld. Das hatte er auch schon dem Arge- Mitarbeiter gesagt, bevor der ihm entnervt eine Ein- Mann- Selbstständigkeit bewilligte.
Und prompt eine Gruppe für Unternehmer gründete, die er auf seine spezielle Art leitete.
Auf genaueres Nachfragen hin schwieg er beharrlich.Er war eben ein Mann der Tat, basta.
Wobei sein Date mit Mammala sich schon zweimal zerschlagen hatte, bei der Terminierung gab es endlose Abstimmungsprobleme. Sie wollte sich noch nicht mal nackt vor der Tür eines öffentlichen Hotels mit ihm treffen, damit er mit einem Blick unter den Mantel eine Erstsichtung vornehmen konnte, denn nur Reales ist bekanntlich Wahres. Aber er gab nicht auf.
Wenn ihm was nicht passte sagte bzw. schrieb er es laut und deutlich, schliesslich musste er sich täglich beweisen, kein Laumanni zu sein.
So wie dieser Spinner, der hier irgendwo in der Nähe wohnte.
Er schrieb einfühlsam über Gefühle, seinen Wunsch nach Nähe, Achtung bei gleichzeitiger Neigungsauslebung und gemeinsame Interessen, die er sich bei einer Partnerin wünschen würde. Kulturreisen, die er zu unternehmen gedächte. Ekelhaft, und so etwas nennt sich Mann.
Nachdem Amicula und der Spinner- sein Nick war Jean Michel- einige Monate Mails hin und her geschickt hatten, in denen sie ihre Lebenseinstellung verglichen und sich immer enger kamen, verabredeten sie sich.
Er wollte zu einer ihrer Lesungen kommen, " Innere Freiheit in Ketten".
Amicula las , anschliessend wurde noch engagiert diskutiert.
Die Lesung fand selbstverständlich etwas weiter weg, immerhin in einem SM- Geschäft in Kiel.
Als Vertreterin konsequenter Umweltpolitik war Amicula mit dem Zug gekommen, er musste leider nach einem Termin direkt...
Als die Menge sich zerstreut hatte lächelten beide sich an. "Es war sehr erbaulich, recht vielen Dank. Würden sie mir die Freude bereiten, mich zum Essen zu begleiten?"
Sie aßen vegan und diskutierten, die Zeit verging wie im Flug. Er machte eine Anspielung auf ihre Wangen in Form eines Goethezitates, woraufhin Amicula sanft errötete. Die Bahn war fast weg und es war klar, dass sie bei ihm mitfahren würde.
Auf dem Parkplatz stand nur ein Auto- das Auto von diesem entsetzlichen Proleten, der neben ihr wohnte und sich nie sehen liess, ausser im Motorraddress und mit Helm!
Und öfter mal mit seinem frisierten Motorrad ihre Heilkräuter auf Tage erschreckte. Seine Stimme hatte den sonoren Ton verloren, sie war hart geworden.
Das konnte doch nicht...
Er drehte sie um und zog ihr den Rock hoch. "Oh, deine Spuren von gestern sind ja noch deutlicher als im Internet zu sehen- dann haben wir jetzt das zweite gemeinsame Date!"