Aus meinem Tagebuch
Eigentlich bin ich geil. Im Hintergrund läuft revolutionäre Musik auf youtube, die PC- Eigentümerin sitzt vor nichtrevolutionär vor Selbigem. Gerade singt Joan Baez "JoeHill". Den kenne ich nicht. " Where working men defends their rights is where you find Joe Hill"...
Wiki sagt verkürzt: Joe Hill war Gewerkschaftsführer, Liedermacher, Sänger. Er wurde am 7. Oktober 1879 in Schweden geboren und starb im November 1915 in Salt Lake City. Dann wurde er demnach 36 Jahre alt. Es ist immer dasselbe- Helden starben jung.
Ich geb es ungern zu, aber ich stehe total auf Helden. Ich frage mich, wo es sie in diesem Land gibt. Bei der Feuerwehr, in der Straßensozialarbeit? Könnte sein. Feuerwehrleute lerne ich nur in der Thaliakantine kennen, sie haben entweder keinen Bock auf Theater oder sind keine SMler...
Und Joe Hill ist tot und saß davor wohl ständig im Knast? Ich schau. Angeklagt, am 14.Januar 1914 angeblich einen Lebensmittelhändler und seinen Sohn ermordet zu haben. Die Methoden, sich Gegner vom Leib zu schaffen, sind erstaunlich ähnlich geblieben.
Bei Nicola Sacco und Bart Vancetti lief es doch fast genau so. Falsche Anklage, Ermordung trotz internationaler Proteste. Immerhin wurden sie Jahrzehnte nach ihrem Tod rehabilitiert.
Helden sind tot oder finden mich pervers.Oder beides.
Szenenwechsel. Die Weltrevolution muss warten, ich bin geil. Ein schöner Mann macht bereits an mir herum. Er schweigt- und ich finde keinen Weg, dieses Schweigen zu durchbrechen. Ausserdem spielt er eigentlich viel zu hart an, wie oft muss ich eigentlich noch sagen, das mein Kreislauf dann sofort wegbricht? Schlimmer: Ich höre nichts. Und sehe seine Augen nicht; er scheint auf Haupositionen beschränkt zu sein, die Kommunikation möglichst verhindern... Es ist gruselig. Kontakt und gleichzeitig Nichtkontakt. Engste Intervention, gepaart mit Nichtintervention. Und ich habe mal wieder was im Bett liegen, was vom Beuteschema her nicht passt. Er sieht aus wie ein Engel, aber der Geruch von Straße hängt ihm nach. Wird ihm immer nachhängen, egal wie viel goldener Lack drübergeschmiert wird. Ausserdem hatte ich Kuh übersehen, das er Raucher ist, wenn auch nur outdoorraucher. Süß ist er trotzdem, denken kann er auch- irgendwie. Und irgendwie nicht, er ist kein Intellektueller. Egal was er studiert, sein Wesen wird das eines Handwerkers bleiben, ebenso sein Beuteschema. Ich schätze, ich entspreche seinem kaum bis gar nicht.
Zu groß, zu wenig Weibchen, keine natursanften Augen und - mal wieder das alte Problem- nicht feucht werdend, wenn jemand den Bestimmer spielt. Ich steh halt nicht drauf. Andererseits habe ich auf der Basis eines hmmm, weiss nicht- Gefühls schon mehrjährige Beziehungen gehabt, vielleicht ändert sich noch etwas. Sein Textverständnis ist toll. In seinem Kopf sind Fragen, aber er kann sie nicht formulieren, ich spüre es. Und höre nichts von ihm.
Dafür höre ich die Musik, die ich immer anmache, damit die Nachbarn nichts mitbekommen. " Wo arbeitende Menschen ihre Rechte verteidigen, da ist Joe Hill." Singt Joan Baez, natürlich auf Englisch. Sehr schön, ich verteidige gerade meinen spinnenden Kreislauf und meine Selbstbefrauschung. ( Auch Selbstbeherrschung genannt. )
Suuuuper- jetzt stellt er sich hin und kloppt von oben weiter.Meine Gedanken wanderen weg, ganz von selbst. Wäre "diamonds and rust" jetzt nicht der ideale zweite Titel? Und wenn du mir Diamanten und Staub anbietest habe ich bereits bezahlt...- ist das so?
Gehe ich gerade mächtig in Vorkasse, obwohl so eine Denkweise nicht zielführend ist? Oder meint er, als Maso finde ich es so geil? Ich kommunizierte ihm sehr klar, das ich eine oder mehrere Stimmen brauche, sonst passiert bei mir halt nichts. Folglich passiert nichts, und ich weiss echt nicht, wieso der kloppt. Ja, ich könnte es stoppen, aber das liegt, ausser in Notfällen, nicht in meinem Programm. Meinem Maso- Programm, nicht meinem dominanten Programm. Das schalte ich nach aussen hin fast aus. Naja, nicht ganz. Würde er versuchen, mich zu ficken, würde er lernen, was eine Harpie ist. Zum Glück versucht er es nicht. So tut es nur weh.
Aus dem Nebenzimmer singt Mercedes Soza Grazias a la vida. Danke an das Leben, danke für das Leben. Wieso fällt mir jetzt der Typ ein , der immer " Liebe schmerzt, mein Schatz" in mein Ohr flüsterte? Weil ich bei ihm nicht zu zweit einsam war?
Mein Blick fällt auf meinen nur rudimentär gesaugten Teppichboden, die Fliegenden Reste der letzten Wachssession sind deutlich zu sehen.
Eigentlich auch egal, denn ich habe 20 Wachskerzen auf den Tisch gestellt. Demonstrativer geht es kaum. Das gerade schlagende Wesen hat sie an den Tischrand gestellt! Wohl in der Annahme, irgend etwas aufzuräumen...
Ich hätte ihn für kreativer gehalten. Ausser, Mensch hält einen Biss in meinen Rücken für kreativ...
Nein, ich schreie nicht, obwohl nicht nur der drunterliegende Muskel, sondern auch der Gegenspieler im Brustbereich neuralgische Symptome zeigt. Ausserdem denke ich immer noch, er weiss, was er tut- Blondinen sollten nicht denken, es kommt meistens nichts Gutes dabei raus.Zumindest, wenn ich die Blondine bin.
Ein Freund von mir ruft an,Torsten.
Es scheint "Klopper", wie ich ihn getauft habe, nicht zu stören. Die liebe, weiche Stimme von Torsten dringt an mein Ohr, streichelt meine sehnende Seele.
Klopper zeigt etwas Rücksicht und fummelt auamachend irgendwo an meinen Beinen herum, so kann ich besser telefonieren.
Ich halte mich an Torstens Stimme fest. Torsten, einer meiner ganz wenigen Seelenfreunde. Jemand, dem ich meine Seele zeige.Der sich für meine Seele wirklich interessiert. Dem gegenüber ich ehrlich bin. Und der sowieso merkt, wenn ich unglücklich bin.
Wir sprechen über ein Projekt von mir, bei dem ich mir seine Unterstützung wünsche. Seine Stimme lullt mich ein, es ist, als würde er mit im Bett liegen. Klopper ist in der Nähe meiner Harnröhre zugange, wenigstens hält er sich daran, mir nicht in die Löcher zu greifen. Torstens Stimme wiegt mich in einen leichten Flow, ich komme, währtend ioch noch telefoniere. Ich merke Torstens Grinsen. Im Film sind nach einem Höhepunkt alle glücklich, ich bin es nicht. Ich freue mich auf Torsten, finde schade, was im Moment alles an Möglichkeiten nicht genutzt wird. Torsten und ich legen auf.
Ohne Kommunikation ist alles nichts, und ich finde keinen Weg. Keinen Weg, mit Klopper zu redenm, obwohl es am Telefon fast zwei Stunden mühelos ging. Mist. Mistmistmistmistmist.
Durchhalten und schauen, was dann passiert. Ein Schmerzrausch kann gut enden, sehr gut sogar. Wenn es danach gut weitergeht. Wenn. Ich sage ihm, das ich in den Arm möchte. Und liege irgendwie auf ihm, sein Arm halb über mir. Im Arm sein geht anders. Fühlt sich anders an.
Er ist kein wirkliches Arschloch, er ist nicht blöd, er ist auch nicht kommunikationsunfähig. Ich eigentlich auch nicht. Hier scheint Kommunikation nicht wirklich möglich zu sein, auch wenn er ab und zu etwas redet.
Das leichte Zittern meiner Hände nach der Anstrengung lässt nach, ein Glücksgefühl stellt sich nicht ein.
Auch kein Zufriedenheitsgefühl. Er redet weiterhin nicht.
Hannes Wader singt " Trotz alledem und alledem". Ja, das passt gerade. Er ist süß, er ist SMler. Trotz alledem und alledem entsteht kein Kontakt.
Oder deswegen, er schaut mir nicht in die Augen. Was leider wieder recht typisch ist; wer Angst hat, einer Frau in die Augen zu schauen, macht auf aktiv und lässt sie nach unten schauen. Nein, nicht alle und nicht immer. Nur stark tendentiell.
Lässt mich seine Augen nicht sehen.
Und obwohl ich ihm entgegengegangen bin, soweit ich es konnte, bin ich meilenweit von ihm entfernt. Finde keinen Weg, die Distanz zu überbrücken. Bin zu alt geworden, um ihn jetzt anzufiepsen, damit er sich toll fühlen kann. Und immer noch zu jung,um mit der Situation angemessen umzugehen.
Ich bin zu schnell zu weit gegangen, jetzt verrecke ich halt auf halber Strecke oder finde wieder zurück. Allein. Der Teppichboden voller Wachskrümel nervt schon beim Hinschauen. Und: Ich bin unterspielt. Nein, das ist kein Widerspruch. Ein Zahnarztbesuch ersetzt auch keine Session. Und eine schlechte oder falsche Session keine richtige Session. Und eine richtige Session keine Session im Rahmen eines Kontextes, in dem eine Beziehung besteht. In dem klar ist, das es weitergeht. " Over the next hill we will be home" höre ich von nebenan. Nach dem nächsten Hügel sicher nicht. Und es wäre schön, irgendwann zu Hause zu sein. Damit meine ich keine Räume, ob gemietet oder gekauft. Sondern ein Zuhause, ein richtiges Zuhause, auch mit einem Mann. Wie auch immer, er wird es nicht sein. " Spießerin, Revolutionäre bewundern und nach `zu Hause ` quaken" raunt es in mir.
Und auch wieder nicht unlogisch- denn wollen wir die Revolutionen nicht deshalb, um uns auf dieser Welt zu Hause fühlen zu können? Um nicht wahlweise Hammer oder Nagel zu sein, wenn nicht gleich beides? Auch leitende Angestellte genannt?
Zu Hause meint keine Spitzendeckchen- zu Hause ist, wo ich anderen Menschen willkommen bin. Und sie mir. Wo wir angstfrei leben können. Wo wir arbeiten können, ohne uns verarscht zu fühlen oder andere zu verarschen. Wo es Spaß macht, etwas zum Ganzen beizutragen. So wie es Spaß macht, etwas für liebe Menschen zu kochen. Wieso sollte ich ohne eine Sehnsucht eine Revolution wollen- wozu, für wen? Eben.
Neben mir liegt alles Mögliche, eine Revolution ist es nicht. Ein Revolutionär auch nicht. Und bei keiner Tätigkeit fühle ich mich so übel konterrevolutionär wie beim aufräumen. Wie eine beknackte Hausfrau, die meint, beseitigte Krümel würden die Sauberkeit ihrer Seele zeigen.
Und gewaschene Gardinen- ach, was weiss ich. Und überhaupt: Wie revolutionär ist es, sich Gedanken über Krümel zu machen?
Klopper fühlt sich auch nicht wohl und möchte wegen seiner zunehmenden Erkältung Nachts nach Hause fahren. Einerseits hätte ich gerne mit ihm aufgelöst, was nicht gestimmt hat. Nach einem Weg gesucht, vielleicht würde Reden- was es nicht gab- ja helfen. Es ist aussichtslos. Klopper fährt, es ist Nacht. Ich singe Grazias a la Vida und wechsel die Bettwäsche, fange gleich an, die Überreste von Klopper zu beseitigen. Lege die Geschichte zu den Akten. Schmeisse "Hannes Wader singt Arbeiterlieder" ein. Hannes singt" Trotz alledem und alledem". Dazu sauge ich diese fiesen Wachskrümel weg, immer schön von oben. Jetzt ist der Teppich wieder als Unterlage für Fotos geeignet- fast nichts finde ich übler als Aktbilder auf Teppichböden bei Krümeln. Das Bett ist frisch bezogen, die Toilette desinfiziert, die von Klopper benutzte Wäsche trocknet bereits.
Das der Teppich krümelfrei ist fällt nicht auf. Hausarbeit fällt immer nur auf, wenn sie nicht gemacht wurde.
Ich rufe beim Winterhilfsprogramm an und mache Termine für Tage ab, an denen ich Essen ausgebe und berate. Ja, in meiner sogenannten Freizeit. Es ist falsch, so muss die Stadt noch weniger Leute einstellen. Es ist richtig, die Leute brauchen das Essen und die Beratung über zu stellende Anträge sofort.
Die Weltrevolution muss warten, ich schmiere Brötchen. Trotz alledem und alledem. Grazias a la Vida.