Nach dem heutigen Stand des Interesses und der Erkenntnis...
...gehört der Marquis de Sade in die Kategorie intelligenter Psychopathen; man könnte ihn sich vielleicht am ehesten als eine Art Quentin Tarantino des 18. Jahrhunderts vorstellen, der seine speziellen Defizite und Obsessionen zum Kult erhob. (frei nach Volker Reinhardt: De Sade oder Die Vermessung des Bösen, 2014).
Sicherlich ist ein SEHR differenzierter Umgang mit dem Marquis de Sade notwendig.
Genauso, wie ich bestimmte Sichtweisen und Zitate von ihm schätze, entsprechend andere so gar nicht meiner eigenen Meinung. So finde ich das oben von Lady Coa zitierte frauenverachtende Zitat genau so bedenklich wie den folgenden, auch von ihm geprägten Spruch: "Toleranz ist die Tugend der schwachen Menschen."
Gerade in der heutigen Zeit, in der Fälle von Päderasten, pädophilen Kindermördern oder Langzeit-Entführern vermehrt im Licht der Öffentlichkeit stehen, ist es wichtig, danach zu fragen, wie wir den Marquis nun einzuordnen haben. Ist er allgemein in die Giftschränke der Bibliotheken zu verbannen, als ein psychosexuales Monstrum? Die Antwort gibt Sade uns selbst:
"Ich schreibe nur für diejenigen, die fähig sind, mich zu verstehen. Sie können meine Werke ohne Gefahr lesen..."
Simone de Beauvoir hat dies in ihrem Essay "Soll man de Sade verbrennen?" außerordentlich gut ausgedrückt: "Um gegen die Gleichgültigkeit anzukämpfen, hat er sich für die Übertreibung und Grausamkeit entschieden."
De Sade war Atheist und verwarf alle ethischen Normen. Er glaubte an das Recht des Stärkeren, vertrat einen hemmungslosen individualistischen Hedonismus und forderte die Abschaffung der Monarchie und der Religion sowie Straffreiheit für Mord, Inzest und Ehebruch...
...auch wenn viele seiner (von uns geschätzten) Ausschweifungen nach über 200 Jahren in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind (wie in "Shades oft Grey", wenn auch im Vergleich mit den "120 Tage von Sodom oder die Schule der Ausschweifungen" in einer Art Pixie-Buch-Version), so sind andere Aspekte seiner Meinung - absolut zu Recht - nach wie vor ein NoGo! Keine Frage!
Zum Thema Frauen und der Marquis de Sade habe ich mich an einen recht interessanten Artikel zu eben jenem Thema erinnert, den ich für Euch raus gesucht habe:
Hartmut Böhme: Natur und Subjekt. Frankfurt am Main 1988
"Frauenbewegung und Sade
Sade ist sadistisch genug, ausgerechnet der Frauenbewegung ihre Forderungen vorzubuchstabieren. "Dein Körper gehört dir, allein; und du allein auf der Welt hast das Recht, ihn zu genießen und genießen zu lassen, wen du willst." So erzieht Madame de Saint-Ange die junge Eugenie. Niemand vor Sade hat so radikal die familiale Codifizierung der Töchter in der Familie kritisiert. Er reißt den Schleier der Liebe von der Töchtererziehung und demonstriert, daß Väter wie Mütter, aus handfesten materiellen und psychologischen Interessen, die Mädchen zur Unselbständigkeit modeln, um sie als Ware auf dem Heiratsmarkt zu verhökern, sie auf die Rolle als gedemütigte Ehefrau und auf ihre Fortpflanzungsfunktionen festzulegen. Natürlich plädiert Sade für die Freigabe der Abtreibung allein in der Verantwortung der Frau; natürlich weiß Sade, daß Empfängnisverhütung und Frauenemanzipation sich bedingen. Aufs genaueste wird den Mädchen erklärt, wie sie ihrer Zurichtung zur Gebärmaschine entkommen, die Ehe unter laufen und der familialen Einschreibung begegnen können. Bei Kant hat die Frau den Rechtsstatus von Dingen und Tieren in der Eigentumszone des Ehemannes. Bürgerrechte kommen Frauen sowenig zu wie Kindern oder Hühnern. Sade dagegen geißelt eine Familienordnung, in der die Töchter "Sklaven ihrer Familie" sind, Willkürobjekte "der Habgier und des Ehrgeizes der Väter". Gegenüber den Frauenbildern des 18. Jahrhunderts, die die weibliche Sozialisation auch ikonographisch in die Pole der unentblätterten Rose (der ätherischen Jungfrau) und der passiven Wurzelerde der Fortpflanzung (der tugendhaften Ehefrau) spannt: gegen solche Frauenbilder mobilisiert Sade eine lange Reihe von Frauenfiguren, die mit ihrer sexuellen und verbrecherischen Energie an die Heroen der Libertinage heranreichen, wenn sie diese nicht sogar übertreffen: Madame de Saint-Ange, Juliette, die Tribadin Clairwil, die Giftmischerin La Durand, die Prinzessin Borghese. Als Kontrast sehe man auf die tugendhafte Justine oder die demütige Ehefrau des Monsieur de Gernande: an ihnen, die völlig in den moralischen Normen des 18. Jahrhunderts aufgehen, demonstriert Sade mit Genuß, daß solche Frauen zu nichts anderem als zu Opfern taugen. Und ist das nicht wahr? Dagegen setzt Sade seinen Kategorischen Imperativ: "Ficke also, Eugenie, ficke, mein Engel! "
Natürlich hätte Sade für die Frauenbewegung nichts übrig. Wie ihr zum Spott läßt er die emanzipierte Juliette sagen: "Ich atme einzig und allein für den heiligen Schwanz....!"
Die Kehrseite der libertären Grundsätze der Frauenerziehung ist die vollständige Vergesellschaftung der Frau. Unermüdlich wiederholt Sade seine These, daß die Natur der Frau das Ficken sei Frauen sind sexuelles Gemeineigentum. Die universelle Prostitution (Klossowski) schwebt ihm als integraler Bestandteil seiner Gesellschaftsutopie vor. Die sexuelle Befreiung ist bei Sade mit rigoroser Objektivierung verknüpft. Nichts verbindet das Begehren mit dem begehrten Objekt. Der Genuß vollends macht das Objekt so gleichgültig wie ein Stück Fleisch, das uns das Wasser im Munde zusammenlaufen läßt, als Verschlungenes jedoch glanzlose, nichtige Materie ist. Kant kaute Fleisch nur aus und legte es dann auf den Tellerrand zurück. So wird bei Sade die genossene Frau ausgespien und zum Gegenstand des Ekels. Das Begehren leiht dem Objekt vorübergehenden Glanz, der in Verachtung um schlägt, hat das Begehren sich gesättigt.
Natürlich ist das frauenfeindlich und, da dieser Grundsatz bei Sade für beide Geschlechter gilt, menschenverachtend. Freilich das wußte Sade selbst. Und doch folgt Sade darin der Logik des Triebs. Nur die Liebe kann mildern, daß das Begehrte nach gesättigter Begierde gleichgültig wird. In der Liebe allein bleibt auch post coitum die Subjektivität des Anderen gewahrt. Die universelle Prostitution aber, die den Anderen nur als Objekt totaler Verfügung und bloßes Komplement des eigenen Triebs zuläßt, ist bei Sade als Subversion eben dieser Subjektivität gemeint. Das Jahrhundert der Entdeckung des Subjekts mündet bei Sade in dessen rigoroser Dementierung. Der Sadesche Diskurs zielt auf die Enteignung des Identitätsbewußtseins, das sich noch gegen und im sexuellen Körper behaupten will. Eben diese Errungenschaft aus Tausenden von empfindsamen Romanen und Dramen des 18. Jahrhunderts, nämlich in der sogenannten partnerschaftlichen Liebe und sogar in der Sexualität das Modell der Respektierung der Anderen erfunden zu haben, will Sade provozieren und unterlaufen: darum die universelle Prostitution. Sade insistiert auf der Subjektlosigkeit der Sexualität, um den Ideologiecharakter der empfindsamen Liebe zu erweisen."
Soweit mein kleiner Exkurs zum Thema Marquis de Sade. Frisch nach der Rückkehr aus dem Urlaub.
Ich wünsche Euch allen schöne heisse Tage und ein feines Wochenende!
Lieben & harten Gruß
DonSadismo