Keine Ahnung, woran es bei deinem Freund liegen könnte.
Ich denke dazu ist das Thema zu vielschichtig. Und einiges wurde ja bereits angesprochen.
Zur Inspiration: sehr viel Empathie verhindert das Empfinden von Verärgerung/ Wut.
Einer meiner alten Freunde/ guter Bekannter aus Teenagerzeiten war mir früher zu oft zu empathisch.
Klar ist so ein empathischer Gesell sehr angenehm. Doch so manches Mal stupste ich ihn an "Hey du, dein Mitgefühl & Verständnis sind gerade nicht gefragt. Sondern dein eigenes Ding. Zeig mal Kannte. Was gefällt dir?" - Und das tat er dann auch (je nachdem wer sonst noch anwesend war). Aber er tat es so gut wie nie von sich aus.
Seine ersten Freundinnen hatten auch alle Gewalterfahrungen.
Ich glaube, die hatten sich extra so einen ganz ruhigen, ganz lieben Kerl wie ihn gesucht, welcher wenig Reibungsfläche bot.
Was mir im Umgang mit diesen Frauen auffiel, war, dass diese die Opferrolle für sich gepachtet zu haben schienen. Die waren gut darin, anderen ein schlechtes Gewissen zu machen. Entweder sie sagten nicht, was sie wollen, sondern erwarteten ein bestimmtes Verhalten. Und wenn das nicht kam, mutierten sie erst zum Richter und dann zur Heulsuse. Oder sie erteilten Anweisungen (niemand hatte danach gefragt) oder stellten Forderungen. Und wenn jemand die Anweisung in Frage stellte oder eine Forderungen zurück wies/ relativierte/ Gegenargumente brachte, war die Gefahr hoch, dass sie zur Heulsuse mutierte. Extrem anstrengend.
Eine thematische Auseinandersetzung auf Augenhöhe war kaum möglich. Selbst wenn es gut zu laufen schien, kam früher oder später ein übles Echo - hintenrum. Ein Kumpel hat es Mal auf den Punkt gebracht mit: "Du hast das Recht zu Schweigen. Ales was Du sagst, kann und wird von XY gegen Dich verwendet werden." Die meisten blieben auf Abstand (mich eingeschlossen).
Aber XY war auch extrem. Die meisten frühen Freundinnen meines guten alten Bekannten waren noch nicht einmal halb so schlimm. Was womöglich auch daran liegen mag, dass dies Einzelgängerinnen waren, die wenig Interesse an Gruppentreffen hatten. Aber im Grunde genommen zeigten sie dasselbe Muster:
Richter und Heulsuse in Personalunion.
Entweder du fühlst dich nach dem Urteil des Richters schuldig.
Oder du bietest dem Richter die Stirn und holst ihn von seinem Podest. Dann fühlst Du dich schuldig, weil du diese arme kleine
-Suse so unglaublich verletzt hast. Wie konntest du auch so gemein sein und sie von ihrem Podest stoßen! (Btw.: Männer sind im Schnitt wesentlich anfälliger für Heulsusen als Frauen.)
Er aber hatte da eine Engelsgeduld. Er nahm sich immer wieder die Zeit, die Bedürfnisse die hinter ihren Verurteilungen und Forderungen standen auszubuddeln und anzuerkennen. Dann kletterte sie von ihrem Podest herunter und er konnte sein Bedürfnis neben ihres stellen. Beantwortete viele Verständnisfragen bis sie sein Bedürfnis auch nachvollziehen und anerkennen konnte. Er meinte, danach seien - wie mit jedem anderen Menschen auch - thematische Auseinandersetzung auf Augenhöhe möglich. Insgesamt kämen sie nach und nach aus der richtig-oder-falsch-Denke heraus.
Und das glaube ich ihm. Die Erfahrungen hatte ich ja auch gemacht. Doch mir ist es zu langwierig, sowas in X Situationen immer wieder durch zu exerzieren. Als Partner kamen solche Menschen für mich nie in die engere Auswahl. Und bei anderen... war ich zeitweise in die Rolle des Seelischen Mülleimers gerutscht. Als solche erlebte ich wie hilfreich ich für andere sein konnte. Doch niemand mag seinen Mülleimer mit auf Ausflug oder Party nehmen (außer es ist der/ die eigene Partner(in)). Der seelische Mülleimer bekommt immer den Müll ab. Und darauf hatte ich keinen Bock mehr. Mein Bedürfnis mir selbst zu beweisen, dass ich es kann, war gesättigt. Ich umgab mich also mit Menschen, die meine Empathie nur ausnahmesweise brauchen.
Und wenn eine erwachsene Person bei Unstimmigkeiten mit einer neuen Bekanntschaft (mir) Empathie, Verständnis und "wie ein Kleinkind betüddelt werden" erwartet - und ich mich nicht in diese Person hinein versetze sondern bei mir bleibe - dann steigt Verärgerung in mir auf.
Wenn ich mich frühzeitig auf so eine Nummer einlasse, werden diese Menschen im weiteren Kontakt für mich immer kräftezehrender - meiner Erfahrung nach.
Und es ist ja nicht so, dass es in unserem Gesundheitssystem keine Hilfe für solche Menschen gäbe. Und in Selbsthilfegruppen ließe sich die Kultur der Hilfe zur Selbsthilfe erlernen. Das ist zwar nicht so bequem wie die Richter-und-Opferrolle. Doch bringt auf Dauer mehr.
Mal ehrlich: Wer mag bei einer Unstimmigkeit mit einem quasi Fremden dessen ganzen Seelenmist vor die Füße geschüttet bekommen?
"Hallo! Um Dich und deine Lebensstory geht es gerade nicht. Sondern bloß um dein Verhalten in der konkreten Situation MIR gegenüber! Also um Dich und mich. Erst trittst du mir auf die Füße. Und weil ich "Aua" gesagt habe, soll ich mir Zeit für dein Seelenleben und deine Konflikte mit XYZ nehmen? Damit hab ich nix zu tun. Damit mag ich auch nix zu tun haben. So war mein "Aua" nicht gemeint. Würdest Du bitte damit aufhören, mich einzuspinnen!"
Die Verärgerung kommt aus der Ich-Perspektive ganz von selbst.
Und meine Verärgerung zeige ich dann auch. Die meisten rudern dann zurück. Distanz hergestellt.
Denjenigen, die trotzdem weitermachen und mich in was-weiß-ich-was verstricken wollen, zeige ich auch meine Wut. Zweite Grenze.
Ich richte meine Wut immer gegen das Verhalten, nicht gegen die Person. Doch für manche Menschen macht das keinen Unterschied. Je nachdem wie extrem eine Person reagierte, legte ich obendrein eine vorübergehende Kontaktsperre ein. Dritte Grenze.
Im weiteren Verlauf - bei gemeinsamen Kontakten - reißen sich diese Menschen wenigstens mir gegenüber mehr zusammen und wahren die Distanz.
Aber er... er reagierte nahezu immer prompt mit Empathie - war also beim Anderen.
Und wenn die Empathie so groß ist, dass man sich in der Situation selbst aus den Augen verliert, wird man auch nicht auf den anderen wütend. Außer die Person, in die man sich hineinversetzt ist wütend. - Man ist einfach voll beim Ego des anderen. - Aber er bekam bereits damals den Switch sehr gut hin.
Toxisch wurden diese Beziehungen für ihn nicht.
Er hatte überhaupt kein Problem damit, nach all der Empathie und Anerkennung ihrer Bedürfnisse auch seine eigenen zu präsentieren. Für Menschen, die das beim ersten Versuch nicht zulassen konnten/ wollten, fand er eben keine Zeit mehr. Bei allem Verständnis und Rücksichtnahme auf die Bedürftigkeit anderer, in einer Beziehung (Freundschaften, Partnerschaft) will man nun Mal auch gesehen und berücksichtigt werden.
Sein eigenes Interesse für Psychologie spielte da auch mit hinein. Diese grundsätzliche Neugierde und das Verstehen wollen anderer. Doch wenn offensichtlich wurde, dass es langfristig nicht passt, dann trennte er sich auch. Er meinte, wären diese Frauen gesünder gewesen, hätte das Kennenlernen bis zum Zeitpunkt der Trennung bloß weniger Zeit gebraucht. So aber wäre es auch interessant gewesen.
Im Laufe der Jahre entwickelte er sich aber auch selbst weiter.
Er wurde selbstsicherer. Er fand heraus, dass Coaching ihm mehr liegt als Therapie. Und sein Faible andere Menschen zu coachen lebte er erst zunehmend im ehrenamtlichen dann im professionellen Kontext aus.
Während er im Privaten Kontext mehr bei sich blieb. Er zeigte sich, vertrat einfach Mal seinen eigenen Standpunkt und diskutierte häufiger mit, anstatt fast immer der verständnisvolle Zuhörer zu sein. Und da er häufiger bei sich selbst blieb, stiegen auch häufiger Verärgerung und Wut in ihm auf. (Mit dem Gefühlsausdruck selbst hatte er nie ein Problem.) Seine eigene Persönlichkeit wurde auch in Gruppensituationen greifbarer.
Und seit Ende zwanzig war es bei ihm dann auch vorbei mit den Partnerinnen mit Gewalterfahrungen. Seine Frauen waren durch die Bank gesünder, die Partnerschaftsversuche wurden kürzer, dann fand er die Richtige und gründete eine Familie.