Der Mann mit dem blauen Lodenmantel kehrte nie zurück
Der Mann mit dem blauen Lodenmantel kehrte nie zurück
Hatte mehr Glück: Mann samt Pferd, am 7. Februar 1963 zwischen Altnau TG und Hagnau (D).
Bild: Keystone
Seegfrörni 1963: Trockenen Fusses über den Bodensee
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Die Bodenseegfrörni im Jahr 1963 hat zehntausenden Menschen viel Freude gebracht - dem Horner "Bahnhof"-Wirt Heiri Flach brachte das Eis wohl den Tod. Mit einem Vélosolex wollte er den Bodensee überqueren. Er kehrte nie zurück und wurde als verschollen erklärt.
Willi Langenberger ist in Horn direkt am See aufgewachsen. Er war bei der Seegfrörni 36 Jahre alt - und er war der Letzte, der Heiri Flach sah. Willi Langenberger erinnert sich noch gut an Heiri Flach, der in den 1950er-Jahren aus dem Kanton Zürich nach Horn gekommen war und als Wirt das Restaurant Bahnhof zur Blüte brachte.
Alle Tische im "Bahnhöfli" seien weiss gedeckt gewesen, ausser dem Stammtisch, an dem die Horner Dorfpolitik gemacht worden sei, erinnert sich Langenberger. Heiri Flachs Frau habe ausgezeichnet gekocht, das habe sich weit herum gesprochen. Heiri Flach sei ein guter Gastgeber gewesen, freundlich, redselig - und eigenwillig.
Den Oberthurgauer Dialekt habe er nie angenommen, Flach habe die Gäste mit seiner "Zürischnurrä" unterhalten, sagt Langenberger.
Nasses Sonntagsgewand
Einmal habe der "Bahnhof"-Wirt ihn gefragt, ob er ihn mit seinem Boot mitnehme zum Wasserskifahren. Langenberger willigte ein. Dass Flach keine Wasserskier hatte, machte nichts. Langenberger bot ihm seine an. "Nein", sagte Heiri Flach, "ich nehme die Alpinskier". Das sprach sich herum im Dorf - und an einem Sonntag war es soweit.
Langenberger fuhr mit seinem Boot rückwärts ans Ufer, beobachtet von mehreren Dutzend schaulustigen Hornern. Da kam Heiri Flach. Im Sonntagsgewand, Skischuhe an den Füssen, Alpinskier in der Hand. Wenn das nur gut ging? Flach stellte sich am Ufer auf. Er nahm das Zugseil in die Hand und gab Langenberger das Okay für den Start.
Langenberger drückte den Gashebel nach vorne, das Seil spannte sich und Flach flog bäuchlings aus der Kabelzugbindung ins Wasser. Was für ein "Ränzler"! Die Zuschauer hielten sich die Bäuche vor Lachen und Horn war um eine Flach-Story reicher. Heiri Flach war's wurst.
Ein Bär in der Gartenbeiz
À propos Wurst: Der heute 86-jährige Willi Langenberger erinnert sich, dass eines Tages in der Gartenbeiz des "Bahnhöfli" unter einer prächtigen Kastanie ein Käfig mit einem Bären stand. Woher Heiri Flach das Tier hatte, blieb sein Geheimnis. Jedenfalls war der Bär beste Werbung für das Restaurant, jedenfalls einige Wochen.
Als die Anziehungskraft des Bären nachliess, liess Heiri Flach das Tier in Goldach in einer Metzgerei schlachten. Flach veranstaltete im "Bahnhof" eine "Bären-Metzgete". Langenberger sagt: "Die Bärensteaks und Bärenwürste waren köstlich." Von weither seien Feinschmecker nach Horn gekommen, um Flachs Bärenwürste zu essen.
Entgegen allen Ratschlägen
Als eine scharfe Kälte im Winter 1962/1963 den Bodensee das einzige Mal im vergangenen Jahrhundert ganz zufrieren liess, war auch Heiri Flach einer von denen, die es wie besessen aufs Eis zog. Flach hatte einen Vélosolex. Mit diesem wollte er den See überqueren.
Wenige Tage nachdem der Fährbetrieb zwischen Romanshorn und Friedrichshafen eingestellt worden war, es war an einem Montagnachmittag um halb drei, fuhr Flach mit dem Vélosolex an den See. Langenberger hatte als Feuerwehroffizier die Aufgabe, am Horner Ufer eine begehbare Eisfläche zu kontrollieren und abzusperren.
"Ciao Willi, ich fahre nach Langenargen", sagte Flach zu seinem Kollegen. "Nein Heiri, das darfst du nicht. Bleib hier!" rief ihm Langenberger zu. "Das Eis ist noch nicht zur Seeüberquerung frei." "Das ist mir gleich": Heiri Flach hörte nicht auf ihn. Er winkte noch und fuhr mit seinem Vélosolex aufs Eis in den Nebel hinaus.
Als wär es gestern gewesen sagt Willi Langenberger: "Heiri trug einen blauen Lodenmantel, der ihm bis zu den Knöcheln reichte."
Ereignis seines Lebens
Am frühen Nachmittag hatte der "Bahnhof"-Wirt auf dem Eis in Ufernähe mit seinem Vélosolex Runden gedreht und trainiert. Dann verabschiedete er sich von seinem Freund, dem "Bad Horn"-Hotelier Jakob Giger. Auch Giger wollte Heiri Flach von seinem waghalsigen Unterfangen abhalten - ohne Erfolg. Es zog ihn einfach auf den See.
Flach kehrte nicht zurück. Giger erkundigte sich am nächsten Morgen beim Statthalter in Arbon, ob denn nach Heiri Flach gesucht werde.
Die Antwort: Der See sei nie freigegeben worden, demzufolge bestehe auch kein Grund, den Vermissten zu suchen. So schilderte es Giger Ende Januar 1963 dem "Blick", der titelte: "Vermisster Horner auch von Helikopter nicht gefunden." Denn Giger hatte die Rettungsflugwacht gebeten, eine Suchaktion nach Flach zu starten.
Der Leichnam Heiri Flachs wurde nie gefunden. Langenberger nimmt an, dass Flach im Nebel die Orientierung verlor, linksherum im Kreis fuhr, in die erst schwach zugefrorene Fahrrinne der Fähre fiel und ertrank. Aber das sei reine Spekulation, sagt der Senior. Der 51-jährige Heiri Flach wurde später als verschollen erklärt.
(sda)