Bremer Stadtgeschichten
Moin in die Runde,ich dachte mir, ich starte mal einen neuen Thread, für kleine oder große Geschichten, die in Bremen oder seinem Umland spielen. Oder sonst irgendwie einen Bezug zu unserer schönen Stadt haben. Ob lustig, informativ, erotisch angehaucht oder wie auch immer.
Für reine Pornofantasien gibt es aber andere Gruppen.
Ich beginne mit einer Geschichte, in der es ums Tanzen geht. Aber nicht nur.
Inspiriert, von dem angehängten Foto.
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Tango Argentino
Zum wiederholten Male huschte ihr Blick zu der, in die Registrierkasse integrierte Digitaluhr.
17: 54. Gleich war es so weit. Endlich konnte sie den Hutladen und mit ihm die Kundschaft hinter sich lassen. Rasch würde sie gleich noch etwas im Supermarkt gegenüber der Straßenbahnhaltestelle besorgen. Die Bahn der Linie 3 nehmen und sich in ihrer neuen Wohnung auf den heutigen Abend vorbereiten, dem sie schon die ganze Woche entgegenfieberte.
Wie sich ihr Leben, seit der Trennung von Christian doch verändert hatte.
Ein neuer Job. Der erste seit fast 20 Jahren. Eine neue Wohnung in einem neuen Stadtteil. Nicht eine Minute hatte sie es bisher bereut, die Villa in Oberneuland, gegen die 2 Zimmer im unrenovierten Altbau eingetauscht zu haben. Wenn sie morgens mit einem frisch gebrühten Kaffee an ihrem Wohnzimmerfenster stand und auf den Ostertorsteinweg hinunterblickte, fühlte sie sich beinahe wieder jung. Erinnerte sich an die wilden Nächte, die sie mit ihren Freundinnen im Römer oder dem Heartbreak-Hotel verbracht hatte.
Doch die Vergangenheit ließ sich nicht zurückholen. Das hatte sie feststellen müssen, als sie, kurz nach dem Einzug, mit Maren, der einzigen verblieben Jugendfreundin, zu einem Revivalabend ins Heartbreak gegangen war.
Nach eine dreiviertel Stunde hatte Maren gesagt: „Sorry, Jutta, aber das ist echt nichts mehr für mich.“ Und sie konnte ihr da nicht wirklich widersprechen. Also waren sie ins Perlen & Primaten umgezogen. Die Bar war nur ein paar Hauseingänge von ihrem neuen Zuhause entfernt und die Cocktails dort, hatten es in sich. Spontan hatte Maren darauf bestanden, sich vorher, in den kleinen libanesischen Imbiss nebenan, noch ein Falaffel-Rollo zuteilen.
So gestärkt, bestellte Jutta die ersten zwei Margaritas. Es folgten noch weitere. Wie viele genau, wussten sie beiden nicht mehr, als sie am nächsten Morgen, reichlich verkatert in Juttas winziger Küche saßen.
„Willst Du das eigentlich wirklich machen?“, fragte Maren. Und fügte, als sie das fragende Gesicht ihrer Freundin sah, hinzu: „Das mit dem Tanzen, meine ich.“
„Tanzen?“, entgegnete Jutta und gähnte herzhaft.
„Ja, Du wolltest gestern Nacht unbedingt anfangen, Tango zu tanzen. Und Kompliment zu Deinem schönen Zäpfchen.“
Der alten Insider-Joke und ihr Pegel an Restalkohol, ließ beide laut auflachen.
Während Jutta noch immer albern kicherte, zog Maren einen zerknitterten Flyer hervor und hielt ihn Jutta hin.
Tango Argentino, stand da zu lesen. Die Tanzschule Tango Loca, in der Friedrich-Karl-Straße, bewarb dort einen Anfängerkurs. Nuevo und classico.
„Du hast gestern gar nicht mehr aufgehört damit. Obwohl ich den Eindruck hatte, es ginge Dir dabei mehr um die Tangotänzer, als um das Tanzen an sich.“ Maren schmunzelte.
„Reichen Dir die Abende im Swinger-Club etwa nicht mehr?“
„Hört bloß damit auf. Eine Enttäuschung nach der nächsten. Damit habe ich abgeschlossen.“
Jutta nippte an ihrem Kaffee und betrachtete den hellgelben Zettel in ihrer Hand.
„Ich kann mich zwar nicht daran erinnern“, sagte sie, „aber warum nicht?“
„Echt jetzt?“ Maren nahm Jutta den Flyer aus der Hand und warf einen Blick darauf. „Dann komme ich mit“, verkündete sie und klatschte das knitterige Stück Papier auf den wackligen Küchentisch.
„Wirklich?“, rief Jutta. „Super, wir werden die Bude rocken.“
Das war jetzt fast zwei Jahre her.
Maren war nach der fünften Stunde abgesprungen, aber Jutta hatte Feuer gefangen. Jeden Dienstag ging sie zum Training und freitags in die Bel Etage, in der Stresemannstraße, zum freien Tanzen.
Während sie vor dem Badezimmerspiegel stand und ein dezentes Make-up auflegte, war sie gedanklich schon auf dem glänzenden Parkettfußboden und schwebte dahin. Gehalten und geführt von kräftigen Händen und Armen. Klaus und Fernando waren ihre Favoriten. Gerald, von dem sie glaubte, dass er in Wirklichkeit Gerhard hieß und sein französischer Akzent nur gefaked war, tanzte auch sehr gut, war ihr aber nicht ganz geheuer.
Und dann war da auch noch Patrick. Der tanzte zwar nicht so routiniert wie die anderen drei, aber er konnte definitiv führen. Seine natürliche Dominanz und sein Geruch machten Jutta jedes Mal ganz kirre. Wenn sie beim Tanz mit ihm seine Hand betrachtete, huschten Bilder durch ihren Kopf. Bilder, in denen diese Hände ihren Körper erkundeten und in Besitz nahmen.
Ihr Blick fiel auf den Reisewecker, der auf der Ablage neben ihr stand. Schon viertel nach sieben. Sie musste sich beeilen. Es blieb ihr aber noch genug Zeit, das Bett frisch zu beziehen.