ich habe ein paar sehr schöne Mails bekommen wo ich auch gefragt wurde wie ich die freie Liebe praktiziere. Freie Liebe bedeutet nicht, wahllos in der Gegend herumzuvögeln, sich das zu nehmen, wonach einem gerade ist, sondern etwas ganz anderes. ich will es mal versuchen zu erklären....
ich wuchs in einer sehr guten heterosexuell-monogamen Familie auf und sah diese Prinzipien lange Zeit als die einzig glückbringenden Strickmuster an, zumal unser Erziehung noch durch das Internat geprägt wurde.
Gleichzeitig saugte ich durch unsere wirklich exklusive Schulbildung und durch Bücher soviel über die Liebe zu anderen, spannende Ideen über das Teilen in der Gesellschaft, über Abenteuerlust und Pazifismus und die Weltreligionen auf. Es bestand also eine große Spannung zwischen dem, was mir als Konditionierung in die Wiege gelegt wurde, und dem, was meine Fantasie und mein Herz anregte.
Um es kurz zu fassen: in meinen Erwachsenenleben probierte ich des Öfteren die monogame, heterosexuelle Beziehung aus und war immer aufs Neue mir der romantischen Liebe, aber auch gleichzeitig mit Eifersucht und Besitzansprüchen...nicht von meiner Seite aus konfrontiert, mit der Lust in ihren Spielarten, gleich-
zeitig auch mit dem Wunsch, nicht ständig die sexuelle Einbrennsuppe essen zu wollen und zu müssen, sondern neue, andere Spielarten probieren zu wollen.
Leistungsdruck und Luststörung, Besitzdenken und Eifersucht, Verlustangst und Kontrollzwang gaben in diesen Liebesbeziehungen einander die Hände.
Ich habe mich nie allzu streng an die monogamen Spielregeln gehalten, sie waren mir einfach ..zuwider, habe meine feministischen Kämpfe für meine gleichen Rechte mit meinen eigenen Denkmustern und mit anderen ausgefochten, lernte den praktischen Sinn der Wörter..."sexuelle Selbstbestimmung" & "sexuelle Identitätsfindung" kennen , aber auch gleichzeitig die Angst und Verständnislosigkeit anderer meiner spannenden Freiheit gegenüber.
In diesem Spannungsfeld lebte ich jahrelang, praktizierte mehr oder weniger geheim die freie Liebe und dachte, dass es irgendwann in einer Partnerschaft enden würde, wo ich mein passendes Puzzleteil finden würde. Jemanden der so denkt und tickt wie ich. Die Spannung zwischen der gelebten Wirklichkeit und diese "monogamen" Wunschvorstellung war riesig. Ich musste mich ständig rechtfertigen...am wenigsten vor meinen Eltern, die schon einen gewissen Freigeist hatten. Am meisten vor meinen Beziehungspartnern, meinen Freundinnen..eigentlich vor jedem.
Ich begann meine Sexualität zu kultivieren, lernte neue Spielarten und Rituale des Liebens. Lernte, Tabus auf eine andere Art und Weise zu brechen, als es in den Medien permanent passierte. Lernte ...die transformierende Kraft der Verbundenheit kennen ( mit vielen Wunden). Ich bekam von der Außenwelt unterschiedliche Reaktionen. Die einen bekamen Angst vor meiner, die gewöhnliche Doppelmoral nicht akzeptierende, offene Lebensweise. Manche sahen ihre eigene nicht gelebte Sinnlichkeit und wurden neidisch. Wieder andere wollten mich auf die Sexualität reduzieren. Manche wurden neugierig und freuten sich , endlich jemanden zu treffen ..der sich traut. Einige sahen mich als "Exoten" an.
So stand es mir nicht mehr fern, den Blickwinkel zu ändern. Warum nicht dieses abenteuerliche, aber auch herausfordernde Leben als Normalität ansehen? Ab diesen Moment nannte ich meine Geliebten, Männer & Frauen...mein Beziehungsnetzwerk.
Ich suchte lange und intensiv nach ethischen Regeln, die ich in dieser neuen Form der "Partnerschaft" einhalten wollte, um lange in der freien Form füreinander da sein zu können.
Ich machte mir meine eigenen Regeln der Ethik. Werte, die es möglich machen, mehrere Menschen gleichzeitig zutiefst lieben zu können. Freunde, Familie, Kinder...
Dabei geht es mir in erster Linie um....
Liebe, Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Loyalität, Verbundenheit ( das Unwesentliche abwerfen und mit dem Wesentlichen verschmelzen), das Leben anzuhehmen, sich nicht anbiedern und korrumpieren lassen, an sich selbst arbeiten, Selbsterkenntnis, klarer Verstand und Urteilsvermögen, Hingabe, Dankbarkeit und Zufriedenheit.
Die freie Liebe ist eine Herausforderung, ein ständiger Prozess der Selbsterkenntnis, an sich zu arbeiten, die anderen zu verstehen, loslassen, um einander immer wieder aus Neue zu begegnen . Die Liebe wird erstaunlicherweise nicht von Sex dominiert, sondern von dem Willen, einander zu verstehen, zu achten und zu unterstützen.
Die freie Liebe kann man nicht nur auf die Partnerschaft, sondern auf das gesamte gesellschaftliche Miteinander ausdehnen. Das wünsche ich mir. So viele Menschen leben jetzt schon heimlich in Dreier- und Mehrbeziehungen, sprich...Liebesnetz-
werken, und geißeln sich selbst wegen ihres schlechten Gewissens. Ich bin froh, daß ich mein Liebeskonzept leben und genießen kann. Ich bin sicher, dass es noch einige
Zeit brauchen wird, bis die Mehrheit der Menschen versteht,
wirklich versteht, um was es geht. Ich weiß um die gesellschaftspolitische Dimension, wenn wir in der Lage wären, so zu lieben, wir wir wollen. Das wäre der Grundstein für den Weltfrieden.