Ganz persönliche Eindrücke
Vor der Premiere:
Linke und rechte terroristische Verbrechen in Deutschland haben mich in der Vergangenheit immer nur für kurze Zeit beschäftigt, denn schließlich leben wir in einem Rechtsstaat, in dem Ermittlungsbehörden und Justiz ihre Arbeit leisten.
Bei der Eröffnung des NSU-Prozesses im Mai 2013 kam ich allerdings ins Grübeln, weil offenbar kein geeigneter Gerichtssaal in Bayern verfügbar war, der sowohl dem Medieninteresse genügen als auch den Opfern eine erträgliche Distanz zu den (potentiellen) Tätern garantieren würde.
Einige Monate verfolgte ich die Berichterstattung über die z. T. haarsträubenden Ermittlungspannen im Vorfeld, irgendwann überschatteten andere Ereignisse dieses Thema.
Durch Angie und Ricky wurden wir auf die „Birlikte“-Aktionen über Pfingsten aufmerksam und so besuchten wir gemeinsam die Premiere am Samstag.
Das Stück begann bedrückend mit Video-Aufzeichnungen von Überwachungskameras auf der Keupstraße am 10. Juni 2004, die die beiden (????) Täter zeigen.
Danach saßen sich auf der linken Seite der Bühne drei Deutsche (Schauspieler) und auf der rechten drei Türken (Bewohner der Keupstraße) gegenüber …
Die drei Deutschen (gut gestylt und gedresst) schauten geradezu herablassend auf die Türken rüber, die in normaler Straßenkleidung erschienen waren und erwartungsvoll bis ratlos dasaßen.
Danach wurden die Türken überschüttet mit Fragen und konfrontiert mit Vorurteilen über
- Mangelnde Integration
- Parallelgesellschaften und damit latent vorhandener Kriminalität
- Religion
- Unterdrückung der Frauen
- Tragen von Kopftüchern
- Und, und, und.
Ich ertappte mich dabei, dass einige Vorurteile auch in meinem Hinterkopf schlummerten.
Auch wenn die Türken versuchten, selbst gegenüber hanebüchenen Vorwürfen (meist) ihre Haltung zu wahren, kippte das Stück erst, als man im Jahr 2011 angelangt war, in dem der NSU aufflog.
Zitate aus Ermittlungsdokumenten ließen in dem Stück eine unglaubliche Dramatik entstehen, bei der teilweise ein entsetztes Raunen durch das Publikum lief, aber stellenweise hätte man eine Stecknadel zu Boden fallen hören.
Bei mir wuchsen Wut und Scham und mein Vertrauen in unseren Rechtsstaat schmolz dahin wie Butter in der Sonne.
Folgerichtig saßen gegen Ende wieder die Deutschen auf der linken, die Türken auf der rechten Seite der Bühne, allerdings hatte sich das Bild verändert.
Die Kleidung der Deutschen war ziemlich derangiert, ihre Körperhaltung drückte Niedergeschlagenheit und Beschämung aus.
Aus den Augen der Türken sprach ein: „Und nun?“
„Die Lücke“ in der Gesellschaft und in unseren Köpfen ist immer noch da und es wird ein hartes Stück Arbeit, diese langsam zu schließen, zumal sich immer neue auftun.
Wir sollten uns zum Beispiel darüber klar werden, dass es Kriminalität nicht nur unter Türken und anderen Ausländern gibt (die Statistiken sprechen da eine interessante Sprache) und dass es Fundamentalisten nicht nur unter Muslimen, sondern auch unter Juden, Christen und, und, und gibt.
18 beeindruckende Szenen hatten wir gesehen und am Ende habe ich geheult wie ein Schloßhund.
Geschworen habe ich mir, nie wieder über ein Kopftuch die Stirn zu runzeln und mir wurde klar, dass es Parallelgesellschaften immer und in jedem Land gab, gibt und geben wird.
Mein Glaube an den Rechtsstaat hat tiefe Risse bekommen und obwohl ich Verschwörungstheorien immer sehr skeptisch gegenüber stehe, drängt sich mir der Eindruck auf, dass das Schweigen und die scheinbare Teilnahmslosigkeit von Beate Zschäpe nicht von ungefähr kommen.
Der NSU hatte und hat vermutlich jede Menge Unterstützer auch in den Ermittlungsbehörden und die Rolle unserer Staatsschützer wird wohl nie aufgeklärt. Der „Dame“ wird nichts passieren, solange sie den Mund hält.
Diese Vermutung erzeugt in mir ein Gefühl der Hilflosigkeit und dieses Gefühl mag ich am allerwenigsten.
Wir werden uns „Die Lücke“ sicherlich nochmal ansehen und die Keupstraße besuchen, wenn der Veranstaltungstrubel vorbei ist. Auch in unseren Ruhrgebietsstätten gibt es solche Straßen – auch die werden wir uns ansehen und mit Bewohnern reden.
„Die Lücke“ zu schließen ist doch mühsam, aber wenn wir uns bemühen, können wir eine nach der anderen schließen.
Ernst
P.S. Inzwischen haben wir dem Schauspiel Köln empfohlen:
Produzieren Sie eine DVD, möglichst von der Premiere.
U. E. müsste die zum Pflichtprogramm jeder Schule in Deutschland gehören.