Grundsätzliche Erwägungen
Zunächst: vielen Dank, dass es diesen Thread gibt.
Ja, Religion, Glaube, Gott ... das ist nicht nur ein Phänomen, das nicht nur durch die Zahl religiöser Menschen auf dieser Welt in vielen Spiel- und Eigenarten belegt ist, es war und ist es mehr denn je, ein Tabuthema. So wie auch Sexualität in vielen Varianten ein Tabu-Thema war und ist. Es kommt oft auf die Liberalität einer Gesellschaft an, ob und wie viele Themen so ein Tabu darstellen.
Aber es nützt ja nichts, wenn darüber nicht geredet oder öffentlich debattiert werden darf; dann verabschiedet sich ein Thema in den Untergrund der Psyche und arbeitet dort als Partisan weiter und kann sogar in der verdrängten Form gegenwärtiger oder wirkungsvoller und unkontrollierter sein als je zuvor. Das wissen wir seit Sigmund Freuds Psychoanalyse. Tabuthemen wie Religion oder Sexualität betreiben im kollektiven Unbewußten stets eine Art Lobbyarbeit, manchmal sogar mit Bestechungsgeldern (Lustbelohnungen).
Der Atheist Richard Darwkins schreibt gleich zu Beginn seines Buches "Gotteswahn": Die Welt wäre besser dran ohne Religionen.
Eine steile These und ich denke nicht, dass dies funktioniert. Es ist eine bloße Behauptung. Warum?
Dieser Satz verkennt alles, was einem Menschen und einer Menschheit heilig war und ist; und verkennt das, was wesentlich "auch" zum Menschen gehört.
Darwkins ist ein renommierter, hochangesehener Naturwissenschaftler. Aber gute Naturwissenschaft sind meist nicht auch in den Kulturwissenschaften besonders bewandert. Sonst hätte er zu Kenntnis nehmen müssen:
1. das es seit der Aufzeichnung der Menschheitsgeschichte keine Kultur, keine Gemeinschaft, kein Staat, kein Land noch eine Gesellschaft gab, die atheistisch organisiert war. Und auch vor der landwirtschaftlicher Revolution vor 30.000 Jahre gibt es Belege (Höhlenmalerei), die erkennen lassen, dass auch Höhlenbewohner und Frühkulturen an das Jenseitige, Geister, etwas Größeres als die Menschen selbst, glaubten und nach einem Sinn in dem Ganzen fragten. Unter anderen ernährte man ein Mann oder eine Frau mit, die neben dem Stammeshäuptling sich den ganzen Tag mit diesen Fragen nach Sinn, nach Riten und Ritualen und dem Geheimnis ihrer kleinen Welt beschäftigten: das war dann der Schamane oder die Priesterin etc. Schamanen sind nicht anderes als die Urururur...Ahnen der heutigen Pfarrerinnen und Priester, gleichzeitig der Ärzte, Juristen, Wissenschaftler etc. also alles, was mit der geistigen Existenz des Menschen zusammenhängt. Es gab nie eine religionslose Gesellschaft. Wie kommt man darauf, dass es das in Zukunft geben sollte und geben kann. Nur, weil religiöse Menschen Gott nicht beweisen können (Können sie das tatsächlich nicht - wir werden sehen!) oder das ganze "Brimborium" einfach zu viel Geld kostet und wir "aufgeklärten" Menschen so was nicht brauchen ... und wenn doch einige darauf bestehen, sind sie - wie manche Atheisten gerne sagen - "Religi-oten"?
2. Wenn also Religion nicht nur eine Sache der Fantastereien ist, und unsere Urahnen darauf Wert gelegt haben, sodass sie von ihrer kargen Mahlzeit und sehr kurzem Leben, jemanden dafür abstellten, der das Ganze schon recht professionell betrieb, dann dürfen wir respektieren und tolerieren, wie ich denke, dass Religion genauso wie Sexualität zu den elementaren Bedürfnissen des Menschen gehört, in welcher Form sie auch immer praktiziert wird oder gelebt wird. Das heißt aber nicht, dass das mit der Stammesreligion immer so harmonisch verlief oder weiter verlaufen wird in Zukunft.
Es gibt ja häufig die auf dem ersten Blick einsichtige Behauptung, das der Schamane immer ein Kind des Häuptlings war, als desjenigen, der das Sagen und die Macht innehatte. Und dann wird daraus abgeleitet, dass der Häuptling zum Zwecke seines Machterhalts, die Religion erfunden habe, damit ja auch noch der letzte Trottel spurt (und besonders die Trottel, die tanzen bekanntlich besonders gern aus der Reihe).
Ein bisschen ist da was dran: Religion diente oft in der Kulturgeschichte als Instrument der Machtzentren und der Herrschaftsausübung. Genauso oft aber standen Thron und Altar in einem Spannungsverhältnis zu einander. Nicht nur der Schamane und die Stammesmitglieder hatten zu spuren, wenn es ums Überleben ging, sondern der Häuptling auch. Entzog ihm - was genauso oft vorkam - der Schamane seine Macht, stellte er die des Herrschers in Frage, konnte das gut und gerne der Anfang vom Ende des Obermackers sein. Und häufig genug ging dann nicht der Prophet in die Wüste, sondern der König. Das heißt, Religion ist immer beides: Begründer, Bewahrer, Stabilisator der Macht und Kit der Gesellschaft, aber ebenso gut Kritiker, Korrektor, Kontrolleur der Macht. Ein Herrscher musste sich also stets je nach Situation gut überlegen, mit wem er sich es gründlich verdarb. Allerdings gibt es seit den Anfängen in den Höhlen der Menschheit genauso wie heute: den Journalisten, Sänger, Dichter, Philosophen. Und der konnte sich je nach Lage der Dinge entscheiden: Religionskritiker, Kritiker der Macht, Freund und Vermittler beider, Anwalt von Lieschen Müller ... auch das war nicht immer sicher. Da rollten gelegentlich auch Köpfe.
Man sieht: schon kulturgeschichtlich muss man schon genauer hinsehen, um überhaupt so ein grundsätzliches Menschheitsphänomen wie die Religion und das auch noch in den jeweiligen Kontexten zu begreifen, um es auch angemessen zu verstehen, über was man letztlich seinen Daumen hebt oder senkt oder über was man spricht oder einen Diskurs führt.
3. Nun sagen viele, nun ja ... unsere Urahnen, die wussten halt eben nicht so viel, wie wir heute in unserer Wissensgesellschaft und verfügten auch noch nicht über JOY-Club und Smartphone, und dann beteten sie halt den Mond als Göttin an oder/und die Sonne als Gottheit an. Sprich: sie waren halt noch nicht so aufgeklärt wie wir, und wer nicht so aufgeklärt ist wie wir, der ist halt eben nicht nur dumm geboren, sondern bliebe es auch ein Zeit lang, bis die Morgenröte der Aufklärung über uns alle hereinbrach.
Nun, diese Arroganz treiben uns schnell die Historiker aus, z.B. der junge israelische Forscher Yval Noah Harari. 30.000 Jahre seit der landwirtschaftlichen Revolution ist evolutionsgeschichtlich gesehen wie 1 Minuten vor 12 (sogar weniger). Das heißt die Intelligenz des Höhlenmenschen (egal ob Homo erectus oder Neandertaler ist so gesehen, der unseren ähnlich bis gleich). Die benutzten ihren Grips wie wir heute auch um eines zu machen: 1. sich bequem einzurechten und 2. um zu überleben. Nehmen wir an, Du würdest durch ein blödes Zusammenspiel der Kräfte Dich nackt auf dem feuchten Boden einer Höhle wieder finden, ohne Smartphone, ohne Einloggen bei JOY und dem Support, ohne Kreditkarte und im Übrigen auch ohne Ballerman. Dir wird so langsam klar, dass Du dich in der Steinzeit befindest (wahlweise das Mittelalter des 12. Jahrhunderts). Doch mit all Deinem Wissen, dass Du in dir trägst, vielleicht sogar mit Abi und Uni-Abschluss, und das höchste der Gefühle - Dr.-Titel. Na, wie stehen Deine Chancen die nächsten 5 Tag zu überleben? Trotz ausgezeichneter Schulbildung? Ich glaube, nicht so gut. Wenn Du Glück hast - und das wäre im Bereich eines Lotteriegewinns, kannst Du innerhalb der nächsten 5 Tage eine Neandertalerdame daten, die dich nicht gleich als Feind erschlägt mit der Keule, sondern sich Deiner annimmt und "aufklärt". Das heißt, die sich herablässt in ihrer Neandertalerarroganz und Dir jene Kniffe beibringt, wie man in dieser misslichen Situation überlebt. Sie besitzt also einen Wissensvorsprung und ist zweifelsohne kompetenter. Wäre ich selbst in der gleichen Situation wie Du, ich denke, ich würde die Gesellschaft der Neandertalerdame leider, leider vorziehen. Aber nichts gegen Dich! Und ich hoffe für Dich, dass Du wenigstens in der Schule im Fach Biologie aufgepasst hast ... das könnte ansatzweise hilfreich sein ... Und widersprich bitte nicht gleich, wenn die Dame von der großen Mondgöttin redet ... Du weißt ja, die Keule ...
Wissen, auch religiöses Wissen, ist also stets zeitgezogen, umweltbezogen, kontextbezogen. Eine andere Betrachtung der Phänomene kommt, jedenfalls nach unserer Kenntnis, gar nicht in die Tüte.