Ich glaube nicht, dass man Schweden wirklich mit Deutschland (oder einem Teil von Deutschland) vergleichen kann. Hier wurde sehr viel getestet, wie sinnvoll getestet wurde, kann man diskutieren.
Wir beide hatten z. B. Anfang März Husten, Geruchs-und Geschmacksverlust und waren wegen unserem Wasserschaden viel unterwegs und mit diversen Menschen (auch aus dem Elsaß, also da schon Risikogebiet) in Kontakt. Unser Hausarzt ist wirklich spitze, hat uns aber am Telefon klar gemacht, dass wir keinen Test machen können, weil wir kein Fieber haben. Sollen aber davon ausgehen, dass wir Covid19 haben.
Jetzt, Anfang Mai, sollen wir übrigens immer noch davon ausgehen, dass wir es haben könnten... Wir könnten also problemlos durch das Raster gefallen sein, vielleicht aber auch nicht. Sprich: in Deutschland wurde von Anfang an viel getestet, meines Wissens bzw meiner Erfahrung nach aber nur bei schweren Symptomen wie z. B. Fieber.
In Schweden wurde meines Wissens nach sehr wenig getestet. Erst in der dritten April-Woche wollte man dort die Test-Kapazitäten hochfahren. Dazu kommt, dass man ab einem gewissen Zeitpunkt (den ich jetzt nicht genau benennen kann, mea culpa) nur noch hochaltrige und schwer symptomatische Personen getestet hat. Insgesamt wurden in Schweden bis Mitte April ungefähr so viele Menschen überhaupt getestet wie wir innerhalb von 2 Wochen testen könnten... Ja, klar. Wir haben auch eine unterschiedliche Bevölkerungsdichte, vor allem eine ganz andere Besiedelungsdichte.
Kann man diese Zahlen wirklich vergleichen? Ich glaube, nein. Nicht von Land zu Land, aber eben auch nicht von Land zu Bundesland (welches auch immer).
In Schweden scheint es so zu sein, dass die Regierung Vertrauen in das Volk hat, deswegen kam man weitestgehend ohne Verbote aus oder wollte sie nicht verhängen. Vielleicht halten sich die Schweden aber auch anders an Gebote... ich weiß das nicht.
Ja, es gab eine hohe Sterberate im direkten Vergleich (pro 100 000 Menschen), die sich erklären lässt. Tegnell, der Chef-Virologe in Schweden, hat eingestanden, dass die größte Risikogruppe nicht ausreichend geschützt wurde. Es gab wohl massiven Virus-Eintrag in Pflege- und Altenheime.
Das dürfte auch in anderen Ländern das Problem sein, auch in Deutschland haben wir diesen Effekt. Mit einer sehr hohen Letalität in dieser Gruppe/diesem Bereich.
Nur, mit den verhältnismäßig wenigen Tests in Schweden und dem zumindest anfangs deklarierten Ziel der Durchimmunisierung dort... lässt sich doch gar nichts vergleichen. Wir haben bundesweit eine andere Strategie gefahren (und tun es jetzt noch).
Ich weiß auch nicht (und maße mir das auch nicht an), ob Modell Schweden besser oder schlechter ist. Mir gefällt daran, dass man dem Volk und jedem Einzelnen Verantwortung überträgt, jedem Bürger die freie Entscheidung lässt, sich dem Risiko auszusetzen oder eben nicht. Und mir gefällt der Ansatz, nicht auf einen wie auch immer gearteten Impfstoff zu warten und alle Hoffnung darin zu sehen, sondern alternativ auf Herdenimmunität zu setzen. Wie es bei anderen Viren schon lange gemacht wird.
Bei uns scheint es nämlich nur eine Option zu geben: auf den Impfstoff warten und solange mit der "neuen Normalität" leben. Den Begriff finde ich übrigens furchterregend, weil eine "neue Normalität" als Pseudonym für einen Ausnahmezustand verwendet wird. Und offenbar ist es sehr viel schwieriger, aus diesem Ausnahmezustand wieder heraus zu kommen, als ihn auszurufen. Sieht man ja gerade eindrucksvoll...
Es ist alternativlos, mal wieder. Es scheint keinen Plan B zu geben.
Was ist aber, wenn es keinen Impfstoff gibt in anderthalb bis zwei Jahren? Was ist, wenn unsere Gesellschaft nicht solange aushält, bis es den Impfstoff gibt? Was ist, wenn bis dahin ein großer Teil der Gesellschaft gar nicht bereit ist, sich impfen zu lassen, weil inzwischen klar geworden ist, dass das nicht ausreichend getestet wurde?
Es muss doch etwas zwischen Schwarz und Weiß geben.
Sperling