Als es um den Lockdown light ging, hieß es, 75% der Kontakte müssten weg, um den Trend wieder nach unten zu kriegen. Laut Bundesregierung gab es aber nur eine Reduktion um 40%.
Nicht dazu gesagt wurde, ob es sich dabei nur um private Kontakte handelt... also nicht so transparent, wie ich mir so manches bei der Thematik wünschen würde.
Wieder mal kann ich ja nur von dem ausgehen, was ich in meiner Umgebung so mitkriege. Ich persönlich treffe mich seit ca 2 Monaten mit exakt niemandem außerhalb unseres 3-Generationen-Haushalts in 2 Häusern. Dank Arbeitslosigkeit und 100% Kurzarbeit fällt uns das auch gar nicht so schwer, zumal das Denunziantentum in den letzten Wochen hier schwer um sich gegriffen hat und ein großer Teil unseres Bekanntenkreises mehr Angst vor Strafen hat als vor dem Virus...
Und ich kenne auch niemanden, der das großartig anders hält. Ich höre nichts von illegalen Parties hier in der Gegend, keine unerlaubten Veranstaltungen oder Familienfeiern. Ich sehe nicht mal mehr Menschen vor dem hiesigen Edeka zusammen rumstehen, was beim ersten Lockdown noch fast ein Sport war. Trotzdem kommen wir nicht von den Zahlen runter. Kleine Demos finden hier zwar einmal in der Woche statt, ich habe mir das auch angeschaut. Da wurde ordentlich Abstand gehalten, nichts zu bemängeln. Denn auf dem Platz besteht auch keine Maskenpflicht, wenn Abstände eingehalten werden können.
Da frage ich mich halt, könnte es nicht sein, dass die Infektionen, die hier jetzt noch so stattfinden, nicht vielleicht wo ganz anders passieren als im privaten Umfeld? Vielleicht auf dem Weg zur oder bei der Arbeit (für diejenigen, die noch arbeiten dürfen)...
Passend zu der Annahme weist das aktuelle RKI-Dahboard auf, dass der größte Teil der Neuinfektionen im Alter zwischen 15 und 60 liegt, also in der Kohorte, die idR arbeitet (die Kohortenverteilung könnte man hier kritisieren, den 15-34 finde ich als Alterskohorte fragwürdig).
Letztlich ist es doch bei vielen Arbeitsplätzen nicht anders als bei den Schulen:
Menschen kommen zusammen und können den Abstand gar nicht einhalten bzw. die Räumlichkeiten sind nicht entsprechend ausgestattet. Ebenso im ÖPNV.
Ich bin mal gespannt, wie sich das entwickelt während der Feiertage und zwischen den Jahren. Da werden ja mehr private Kontakte zugelassen und werden sicherlich auch stattfinden. Gleichzeitig haben aber auch viele Betriebe zu.
Was immer noch fehlt, ist die langfristige Strategie, denn was gestern bekannt gegeben wurde, ist wieder nur Fahren auf Sicht, nur dass das zweifelhafte Licht am Ende des Tunnels (=Impfstoffe) als Durchhalteparole stärker im Raum steht.
Und da verstehe ich wirklich nicht, warum der Schutz der Risikogruppen (ja, ich weiß, das sind viele Menschen) nicht
mehr in den Vordergrund kommt. Vermutlich ist das das erste Mal in meinem Leben, dass ich tiefrote Socke der FDP vollumfänglich zustimme...
Wir wissen inzwischen sehr gut, wer zur Risikogruppe gehört (laut der Kanzlerin sind das ca 27 Mio Menschen in Deutschland). Ich habe mich um aktuelle Zahlen bemüht, leider keine seriösen gefunden, wie viele Menschen gepflegt werden müssen (denn die gehören auf jeden Fall zur Risikogruppe). Stand 2019 laut BMG etwas über 4 Mio, davon 1 Mio stationär, der Rest wird - wie bei uns auch - zuhause gepflegt.
Stand Juni dieses Jahres waren fast 50% der an und mit Corona Verstorbenen Pflegeheimbewohner.
Auch die aktuelle RKI-Statistik in Verbindung mit Divi weist darauf hin, dass Menschen, die an oder mit Corona gestorben sind, nicht einmal zu 50% auf Intensivstationen sterben. Das heißt, über die Hälfte derer, die an oder mit Corona sterben, versterben nicht im Krankenhaus. Man darf wohl auch davon ausgehen, dass diese Menschen (wir sprechen ja immer noch von einem Altersdurchschnitt über 80) sei es in Heimen oder zuhause gar nicht behandelt wurden.
Wenn also unser Ziel sei, möglichst wenig Menschen sollen erkranken und an oder mit Covid19 sterben, dann müssten wir als erstes die Einrichtungen, in denen Pflegebedürftige leben mit allen Mitteln schützen. Zweitens den weitaus größeren Teil derer, die zuhause gepflegt werden, mit Schutz ausrüsten. Drittens - und ich schreibe das bewusst als letztes, weil wir zuhause Pflegenden das schon längst praktizieren - die Pflegenden mit Wissen ausstatten, wie sie ihre Angehörigen am besten schützen können.
Zu 1.: Personal regelmäßig testen, Schnelltests für Besucher, FFP2-Masken für Bewohner ausgeben. Das Personal wird nach meinen Informationen aus diversen Foren und privaten Kontakten so gut wie gar nicht getestet, über die Gründe kann man spekulieren (-> Angst vor Quarantäne?)
Zu 2.: Die zu Pflegenden mit FFP2-Masken ausstatten, den Pflegenden endlich (!) helfen und sei es nur mit Auskunft. Ich habe bis heute keine Antwort auf meine seit Monaten wöchentlich rausgehenden Mails, wie ich unsere Oma am besten schützen
und pflegen kann. Die einzige Antwort bisher war Kontakte reduzieren und Maske tragen, am besten beide. Nun, die Oma hat nicht ohne Grund ein Sauerstoffgerät und ich kaufe immer noch ein...
Zu 3.: Vielleicht mal eine Kampagne zu den Helden, die zuhause pflegen, dazu Tipps von Experten. Anstatt eine Kampagne, die Menschen zu Helden macht, die zuhause rumgammeln (das regt mich ernsthaft auf!)
Schutz der Risikogruppen bedeutet eben nicht Isolation, da muss es einen Zwischenweg geben. Es kann doch nicht sein, dass Mitarbeiter in Kliniken und Heimen nicht getestet werden, jeder Reiserückkehrer im Sommer aber auf Kosten der KK-Zahler umsonst mal eben einen Test machen kann.
Auch da war es Fahren auf Sicht und man hat dabei das Essentielle aus dem Blick verloren.
Ich schrieb es schon einmal... der böse Boris Palmer hat es in Tübingen umgesetzt und zwar erfolgreich. Kein Ausbruch mehr in einem Pflegeheim seit April. Angebote an die Risikogruppen (freiwillig), wie separate Einkaufszeiten, Taxis statt Bus zum gleichen Preis, Nachbarschaftshilfe fördern etc.
Zusätzlich denkbar wäre z. B. Reisebusse, die eh nichts zu tun haben, einzusetzen für die Schüler, um das zu entzerren. Ja, müsste kommunal oder über den Bund bezahlt werden, aber hey, wir haben es ja... hab ich hier in der Kommune schon vor Monaten vorgeschlagen und wurde ausgelacht. Heute fordert das Lauterbach... naja.
Feste privat organisierte kleine Betreuungsgruppen für Kinder durch Menschen, die ohnehin nicht arbeiten können oder dürfen, dafür die Klassen halbieren, damit Abstände eingehalten werden können und Wechsel-oder Hybridunterricht stattfinden kann. Ich würde das sofort machen, wenn ich dafür eine Räumlichkeit und vielleicht ein bisschen Geld kriegen würde (von Hartz4 aufgrund der Maßnahmen leben müssen macht nämlich wenig Spaß und schlägt schwer auf die Motivation und die Psyche allgemein).
Damit könnte man alle Einrichtungen, die bereits Hygienekonzepte haben, wieder öffnen, würde damit automatisch die privaten und nicht kontrollierbaren Gruppentreffen eindämmen und hätte die Nachverfolgbarkeit.
Was mich wirklich ärgert und warum ich sehr nahe am Aluhut-Basteln bin:
Wieso gibt es bis heute keine öffentlich einsehbare oder öffentlich diskutierte Abwägung von Kosten und Nutzen der Maßnahmen? Frau Merkel sagte gestern deutlich zwischen den Zeilen, das geht mit den Hilfen so nicht weiter, aber wir müssen weiter einschränken... der Fraktionsvorsitzende der CDU will jetzt die Kommunen mehr in die finanzielle Verantwortung nehmen. Und das, obwohl bisher von den Novemberhilfen noch nichts ausgezahlt wurde.
Ja, wo soll das denn alles herkommen, wenn diejenigen, die den größten Teil der (Gewerbe- und Lohn) Steuern zahlen, keine Einnahmen mehr haben?! Gastronomie, alles was mit Freizeit zu tun hat, Veranstaltungen, Messen, damit auch große Teile des Einzelhandels, Soloselbständige, Kurzarbeiter... hat das alles mal irgendwer durchgerechnet?
Hat mal wer gerechnet, wie viele Menschen durch die Maßnahmen insolvent werden (nachdem dann die staatlich verordnete Insolvenzverschleppung ausläuft) und wie viele Arbeitsplätze dabei flöten gehen?
Hat irgendjemand mitgekriegt, wie viel weniger Geld das Gesundheitssystem von den Steuereinnahmen bekommt, nur mal so auf die Zukunft gedacht? Im letzten Haushalt war das BMG mit über 40% weniger bedacht, dafür bauen wir die Rüstung auf. In der schlimmsten Pandemie aller Zeiten sind Bomben und Panzer wichtiger als unsere Gesundheit... ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen will. Und gerade an Italien kann man sehen, wie ein unterfinanziertes Gesundheitssystem dann zusammen bricht (wie es das übrigens spätestens seit der Finanzkrise jedes Jahr im Winter tut).
Es macht keinen Sinn, Covid-Tote gegen Unfallopfer oder Flugzeugabstürze zu rechnen. Es macht aber Sinn, langfristige gesundheitliche
und ökonomische Folgen der Maßnahmen einzubeziehen. Das nennt sich Kosten/Nutzen-Abwägung und das ist die Quintessenz der Politik. Das hat im Frühjahr ein gewisser Herr Kohn gemacht, wurde dafür gefeuert und seitdem wird nichts mehr darüber berichtet, was der Herr bereits zu Anfang der Pandemie vorhergesagt hat (Kollateralschäden, Klagen, Spaltung der Gesellschaft, deutlich höhere Kosten etc.pp.).
Stattdessen haben wir eine Ministerpräsidentenkonferenz, die es so verfassungsrechtlich gar nicht gibt, die treffen sich regelmäßig und beschließen die neuen Regeln bezüglich unserer Grundrechte und danach tagt dann das von uns gewählte und gut bezahlte Parlament. Damit es seine Meinung kund tun kann, das war es aber auch.
Und ich frage mich jeden verdammten Tag, in welchem Verhältnis steht das alles eigentlich?
Klar, für mich ist es einfach. Ich hatte Covid19, völlig unproblematisch (obwohl ich zwei Autoimmunkrankheiten habe und mich immer als Risikopatientin eingeschätzt habe und von meinem HA auch so eingeschätzt wurde). Ich habe niemanden angesteckt, worüber ich sehr dankbar bin.
Aber das ist persönliches Empfinden. Gehen wir mal auf nackte Zahlen, dann sind weit über 90% der Menschen kaum oder gar nicht von dieser Krankheit betroffen. Wie viele Menschen weltweit von den Maßnahmen betroffen sind, kann man ganz einfach googeln.
Für mich steht das in keinem ertragbaren Verhältnis.
Sperling