Ich versuche es nochmal mit der Idee einer langfristigen Lösung...
Dafür bräuchte es zuerst ein definiertes Ziel (welches ich insgesamt in der Diskussion vermisse, was sich auch an den permanenten Vergleichen zu Inseln, Diktaturen, asiatischen Systemen etc. zeigt). Seit Beginn der Pandemie wurde das mehrfach geändert, von "Virus ausrotten" über "flatten the curve" bis zu Todesfälle vermeiden und Gesundheitssystem nicht überfordern. Und jeder Experte denkt eines dieser Ziele mit, erwähnt es aber allzu oft gar nicht.
Jetzt im Moment brennt die Hütte, wenn man der Kanzlerin und Anderen folgen mag. Wenn dem so ist, macht es wenig Sinn, irgendwann nach Weihnachten mit dem Löschen zu beginnen. Ich kenne wirklich niemanden mehr, der das nachvollziehen könnte.
Aber - und da bin ich bei
@***ie - was bitte kommt danach?
Klar ist doch inzwischen, dass Lockdowns mit anschließender Lockerung einen JoJo-Effekt haben, das sehen wir hier und in Österreich besonders deutlich. Einen langfristigen Lockdown, egal welcher Härte, werden weder Wirtschaft noch Gesellschaft auf die Dauer (wie lange die sein mag, kann ich nicht abschätzen) aushalten.
Was wir definitiv wissen: schwere Krankheitsverläufe und Krankheitsverläufe mit Todesfolge finden in erster Linie (nein, nicht nur, aber überwiegend) in der obersten Alterskohorte statt. Viele der Menschen, die am meisten durch das Virus gefährdet sind, sind bereits pflegebedürftig, sei es ambulant, durch Angehörige oder stationär. Fakt ist, dass es immer wieder schwere Ausbrüche in Pflegeheimen gibt, zuletzt meldete das RKI, dass es etwa doppelt so viele sind wie im Frühjahr. Der Altersmedian unter den Verstorbenen liegt über der durchschnittlichen Lebenserwartung in Deutschland.
Da frage ich mich ernsthaft, warum genau da nicht schon lange angesetzt wurde. Das ist extrem komplex und ich behaupte sicher nicht, dass ich das durchschauen würde. Aber ich sehe schon Möglichkeiten, und sie werden teils auch gut umgesetzt- z. B. in Tübingen, wo der böse Herr Palmer genau diese Risikogruppe effektiv schützt, ohne sie zu isolieren.
Ich fände es wichtig, diese stark betroffenen Menschen zu fragen, was sie selbst wollen. Ganz ehrlich, wenn ich die Kanzlerin mit brüchiger Stimme bei der Generaldebatte sagen höre, sonst wäre das für einige Menschen das letzte Weihnachten... dann wird mir anders.
Meine 93jährige Schwiegeroma freut sich wahnsinnig auf ihre Enkelin und ihre Urenkelin, die vor Weihnachten zu Besuch kommen. Und sie sagt mir jeden Tag, dass es vielleicht ohnehin ihr letztes Weihnachten ist. Und ja, dafür nimmt sie das Risiko gerne in Kauf. Ich finde, sie sollte das auch selbst entscheiden dürfen.
Deshalb denke ich, dass man Angebote machen sollte für diejenigen, die sich isolieren wollen. Und man muss eben auch akzeptieren, dass Andere das Risiko auf sich nehmen möchten dafür, dass sie halbwegs normal leben können, mit allen Konsequenzen, die das mit sich bringen kann.
Die Oma hat keine Angst vorm Tod, aber sie hat Angst vor dem Sterben und wenn ich mir so manchen Hochbetagten anschaue, steht sie damit nicht allein. Das bedeutet, dass wir vielleicht mehr über Palliativmedizin informieren sollten und nicht ständig von invasiver Beatmung und deren Folgen, dem schrecklichen Krankheitsverlauf und dem isolierten Sterben zu berichten. Denn ja, das macht Angst und wenn ich mir so anschaue, was im ÖR allein die letzten Monate gelaufen ist... Das war für den psychischen und körperlichen Gesundheitszustand der Oma nicht sehr hilfreich.
Dann fehlt es mir tatsächlich an jeglichem Verständnis, wenn ich Alexander Jorde bei "hart aber fair" sehe, der auf der Intensivstation mit Corona-Patienten arbeitet, seit Monaten nicht getestet wurde. Das verstehe ich einfach nicht. Der hat ja auch Familie, um die er sich vielleicht sorgt, setzt sich permanent der Infektion aus und kriegt noch nicht einmal den versprochenen Bonus.
Das regelmäßige Testen des Pflegepersonals hat in Tübingen dazu beigetragen, dass es dort keine Ausbrüche mehr in Heimen gab. Jetzt, wo wir die Schnelltests haben, kann sich jeder Besucher eines Heims testen lassen. Und dann aber bitte auch Körperkontakt, maskenfrei und Besuche so lange man möchte. Stattdessen haben wir aber im Sommer Reiserückkehrer (kostenfrei) getestet wie doof, zu einer Zeit, in der Corona nicht wirklich Saison hat...
Eine wirklich kluge Teststrategie haben wir immer noch nicht, denn sonst würde in Heimen und Krankenhäusern wesentlich mehr getestet.
Mag sein, dass man hier wegen Angst vor Personalausfall versucht, Quarantäne zu vermeiden. Wenn alle Pflegekräfte (damit meine ich alle, die für die Gesundheit Anderer arbeiten) statt Applaus diesen viel diskutierten Bonus bekommen hätten, wäre das zumindest ein Zeichen gewesen.
Wenn man bei der aktuellen Haushaltsdebatte nicht am Gesundheitssystem sparen würde, sondern vielleicht eher an der Verteidigung, vielleicht könnte man dann ja diese Berufe endlich angemessen bezahlen. Auch das gehört zum langfristigen Gedanken, finde ich.
Die Schnelltests machen viele Möglichkeiten auf, da sie aber eben auch begrenzt sind, würde ich sie für Personal und Besucher von Krankenhäusern und Heimen priorisieren. Damit wäre ein großer Teil der Hochrisikogruppe geschützt und ein sehr wahrscheinlicher Verbreitungsweg gestoppt.
Dann braucht es dringend ein Konzept für die Schulen und Kitas, das über "Lüften und ab und zu eine Kniebeuge machen gegen die Kälte" hinausgeht. Dazu habe ich bereits Vorschläge gemacht.
Und es müssen wieder Freizeitangebote möglich gemacht werden, sei es der Restaurant-, Museums-, Theater- oder Konzertbesuch. Aus wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gründen, davon bin ich überzeugt. Es hat sich deutlich gezeigt, dass alles, was jetzt geschlossen war, nicht die Pandemie angetrieben hat. Übrigens hat man das auch schon nach dem Frühjahr gesehen, es waren die selben Branchen die als erste geschlossen und als letzte wieder aufgemacht haben. Nur dass man genau da Konzepte entwickelt hat, sich auf alles vorbereitet hat. Und ja,
@***ie, viele der in diesen Branchen sicheren Insolvenzen werden gänzlich unverschuldet sein, weil Takeaway und ein paar nicht zurückgegebene Karten einfach nicht ausreichen.
Vielleicht bin ich naiv, ja. Ich versuche das Ganze von der freiheitlichen Seite zu denken, weil das alles ohne Freiwilligkeit nicht funktionieren kann. Um alle zur Zusammenarbeit zu bringen, sollte man vielleicht mal alle anhören, so als ersten Schritt.
Sperling