Ich bin traurig.
Ich bin traurig aus verschiedenen Gründen.
Ich bin traurig, weil ein großartiger, auf Verständigung der Kulturen eingestellter Mensch gestorben ist.
Ich bin traurig, weil viele Menschen in seinem Land seine Stellung und Position nie gewürdigt haben und ihn stattdessen wegen des Untergangs der UdSSR verflucht haben.
Ich bin traurig, weil gerade Deutschland hätte dankbarer sein können, nein müssen! Dabei geht es nicht um wirtschaftliche Zusammenarbeit, Rohstoffe oder ähnliche Dinge - es geht um Völkerverständigung und da ist uns Russland häufig - bis heute - fremd geblieben. Gorbatschow selbst hat genau das kritisiert zuletzt - aus meiner Sicht zurecht.
Regierungen, politische Systeme....alles ändert sich mit der Zeit, meist setzt sich der Freiheitsgeist der Menschen durch. Daher ist es immer am wichtigsten, Verständnis füreinander zu schaffen, ein Miteinander zu schaffen, über alle Kulturgrenzen und Ideologien hinweg. Menschen für und mit Menschen. DAS ist seit Ende der 1980er Jahre nicht gelungen.
Ja, das macht mich traurig, denn heute haben wir den Salat - viele Russen fühlen sich unverstanden, fühlen sich gedemütigt und sehnen sich nach alter Stärke zurück. Das führt zur psychologischen Grundlage der Unterstützung von Putin - mal losgelöst von seiner Gleichschaltung der Presse wie im dritten Reich. Hier haben wir in Europa und in Deutschland besonders versagt, was mich traurig und betroffen macht. Durch den Tod eines Menschen, der den Mut hatte, in einer für ihn und die UdSSR schier ausweglosen Zeit, gegen die politischen Kräfte und mit Weitsicht bahnbrechende Umwälzungen zu ermöglichen, werde ich besonders daran erinnert.
Wir in Deutschland waren immer besonders beschäftigt...mit der deutschen Einheit, mit Wiederaufbau, wirtschaftlichen Umwälzungen in den neuen Bundesländern, Gerechtigkeitsfragen z.B. in Bezug auf Stasimitarbeiter und Ostrenten, mit "blühenden Landschaften" - oder eben auch nicht, mit geweckten und enttäuschten Erwartungshaltungen, mit der "schnellen Mark" im Porno- und Autogeschäft in den neuen Bundesländern..... wir waren wohl so beschäftigt, dass wir uns um die Völkerverständigung nicht richtig gekümmert haben. Die Ostdeutschen hatten die Nase voll von der Verständigung mit Russen. Die Westdeutschen hatten keinen Bezug dazu außer wirtschaftliche Interessen.
Und dennoch bin ich glücklich und dankbar. Dankbar dafür, dass Gorbatschow den Weg gegangen ist, obwohl er wusste, dass er dafür verschmäht werden würde. Dankbar vor allem, dass es viele neugewonnene Freiheiten sowohl für die ehemaligen Bürger der DDR als auch für Menschen der UdSSR gab.
Das hallt mehr nach, als die Nachteile, die mit dem Zerfall der UdSSR verbunden waren und noch sind.