Opas Tod
Der Tod meines Opas, der in unserem Haushalt lebte und mich groß zog, ist einer meiner bleibendsten Eindrücke in meinem Leben.
Opa war einst für damalige Zeiten Großbauer mit sehr viel Wald und gewohnt, die vorgeschriebene Abschußquote als leidenschaftlicher Jäger selbst zu erfüllen. Daneben war er der pendelnde Kräuterdockter der Gegend, zu dem die Ärzte die Patienten hinschickten, wenn sie mit ihrer Kunst nicht mehr weiter wussten.
In den Wirren des Weltkrieges war er vom NS-Team wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft enteignet worden, dann starb seine Frau bei der Geburt des sechsten Kindes und alle Kinder kamen auf Pflegeplätze in einer bitteren Zeit der allgemeinen Armut. Opa hat sich nie mehr eine Partnerin gesucht und war nur im Geheimen immer verbittert über den von der Hebamme verursachten Tod seiner Frau, den Verlust seiner Landwirtschaft und diese furchtbare NS-Zeit. Ansonsten war er ein sehr gesellschaftsfähiger und humorvoller Mann, den einfach viele Menschen aufsuchten, weil sie seine Hilfe als Winkeladvokat brauchten oder sich herzhaft und lustig unterhalten wollten.
Wir hatten unser erstes schwarz-weiß TV-Gerät als die 400 Jahre Feier der Spanischen Hofreitschule ausgestrahlt wurde. Mein gerade pendelnder Opa rief mich zu sich, weil er mir etwas sagen musste. Er pendelte dabei weiter und meinte: "Siehst du, der Saphir in meinem Amulett ist trüb geworden, ganz dunkel und strahlt nicht mehr. - Nächste Woche wirst du mich am Friedhof besuchen müssen."
Ich entgegnete, dass er sich möglicherweise irrt, obwohl ich wusste, dass sich Opa noch niemals geirrt hatte. Dann meinte er: "Schau, du warst mein Lebenssinn und brauchst mich jetzt nicht mehr, wirst bald eine Frau sein und ich freue mich schon resig darauf, meine Frrau wieder zu sehen!". Ja, er hatte Recht und schweren Herzens sagte ich ihm: "Grüß mir die Oma, den Herbert und die Nanerl drüben."
Am nächsten Tag war es Opa übel, er dachte an Vergiftung und ich zerstreute dies, weil ja er kochte. Dann hatte er Herzklopfen und war unruhig. Sein Baldriantee half nicht und ich besorgte ihm noch schnell Baldriantropfen aus der Apotheke, die dann auch nicht wirkten. Er legte sich etwas ins Bett, stand wieder unruhig auf, saß querbett, überlegte so den Kopf dazu aufgestützt wegen der Übelkeit und plötzlich fiel er vorne über als Sitzender aus dem Bett und reagierte nicht. Ich versuchte ihn hochzurichten und wieder aufs Bett zu setzen und schaffte es nicht. Mir war klar, er hatte mich verlassen und war unterwegs auf seiner Reise. Dann stürzte ich zum Telefon, rief den Hausarzt und meine Mutter im Büro an und sagte, dass Opa möglicherweise gerade stirbt oder schon gestorben ist. Danach saß ich bei ihm am Boden, seine Hände haltend, sagte, dass es ihm bald besser gehen würde - ohne Reaktion. Meine Freundin kam gerade vorbei und wir plagten uns gemeinsam, meinen Opa ins Bett zu bekommen - vergebens. Blitzschnell war der Hausarzt da und stellte fest, dass er für Opa nichts mehr tun könne. Er meinte aúch, dass Opas Tod schön am Vorabend begonnen haben mußte und dies war jetzt eben der Abschluss. Die Lebensuhr war abgelaufen. Selbst Stunden früher hätte er diesen Tod nicht mehr verhindern können.
Gleich darauf kam meine Mutter aus dem Dienst und hatte einen Nervenzusammenbruch. Bereits als sie unser Haus aus der Ferne gesehen hatte, war ihr klar, dass sie ihren Vater verloren hatte.
Wie recht Opa mit meinem Erwachsenwerden hatte, zeigte sich, als ich alle Begräbnisfeierlichkeiten organisierte, denn immerhin war es mein geliebter Opa. Wir beschlossen, ihn seinen Lodenanzug als sein Jagdgewand anzuziehen und selbstverständlich sollte er seinen ganzen Stolz, das goldene Abzeichen für die 50-jährige Mitgliedschaft im Steirischen Jagdschutzveband - den Hubertushirschen mit dem Reis und dem Kreuz am Kopf - als dessen ältestes Mitglied in das Grab mitbekommen und die Jagdbläser mussten für ihn spielen.
Da es uns abends nur mehr zu zweit doch etwas mulmig wurde, kroch ich zu Mama ins Bett und die folgenden Nächte wurden wir beide mittels Rütteln aufgeweckt. Opa stand leibhaftig bei uns am Bett und sagte nur: "Es ist alles in Ordnung. Mir geht es gut."
Nächstes Monat wird es 40 Jahre, dass Opa gestorben ist, doch seine Hilfe und Obsorge leben unsichtbar weiter.
Glaubt mir, wer einen Opa hat, der ist wahrlich reich.