Selbstverständlich gehört zu jeder guten Beratung und Hilfe auch das Zuhören und der Versuch des Verstehens Obwohl ich da oft bei meiner Arbeit an Grenzen kam: Ich hab niemals einen Vergewaltiger oder Kindermörder zu verstehen gelernt - vielleicht war ich zu blöd dazu?
Es gibt die therapeutische Richtung, die z. B. Du, liebe
Luna53 vertrittst, und die hat zweifellos ihre Berechtigung, aber leider auch ihre Grenzen.
Wenn ich z. B. einen Fixer therapeutisch betreue, der schon mehrere Entzüge hinter sich hat und ich deshalb weiß, dass sein nächster Rückfall sehr wahrscheinlich der letzte sein wird, weil er daran stirbt, dann kann ich ihm leider nicht alle Zeit der Welt lassen, ihm sein eigenes Tempo erlauben. Dann kann ich auch nicht mich lässig zurücklehnen und innerlich "loslassen" nach dem Motto. Ist mir doch egal, wenn er sich nicht helfen lassen will, ist ja nicht mein Problem.
Das gleiche gilt für potenzielle Selbstmörder, für sich ritzende Borderlinerinnen, für magersüchtige Mädchen mit fast tödlichem Untergewicht, für Vergewaltiger und Pädophile und so weiter. Da hat man oftmals nicht unendlich viel Zeit, da kann man den Weg dieser Menschen
nicht nur mit Verständnis pflastern, sondern muss ihnen manchmal sogar gewaltig in den Hintern treten, sie fördern, heilen und befreien durch Fordern, durch Herausforderung.
Die derzeit absolut erfolgreichste Therapie für Alkoholiker kommt z. B. hier aus Stuttgart, wurde dort entwickelt und erprobt - und hat eine sensationelle Erfolgsquote und extrem niedrige Rückfallquote, weil sie knallhart ist und die Suchtkranken schonungslos und direkt mit sich selbst konfrontiert - ohne jegliches Verständnis! Dafür durch knallharte Forderungen und Herausforderungen.
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Ich will ein Beispiel aus der Realität erzählen, dass hier leider in einem Nachbarort so geschehen ist: Da lebte eine Mutter mit zwei Kindern, fühlte sich total überfordert und kam mit der kürzlichen Trennung von ihrem Mann (und dem Vater der Kinder) einfach nicht zurecht, wollte aber auch um keinen Preis der Welt an sich arbeiten. Sie war, obwohl längst geschieden, immer noch extrem eiferüschtig auf die neue Partnerin ihres Ex-Mannes, wohl auch, weil sie hier einfach keinen richtigen Anschluß fand.
Meine Empfehlung (ich wurde extra um Rat gefragt, weil ich in solchen Dingen für meine erfolgreiche Arbeit bekannt war), ihr die Kinder vorübergehend wegzunehmen (was die mutter keinesdfalls wollte) und sie in eine therapeutische Einrichtung zu geben, wurde lächerlich gemacht.
Und ich hab exakt die Argumente um die Ohren gehauen bekommen, die Du, liebe
Luna53, hier sehr gut dargestellt und vorgetragen hast: Man müsse der Mutter zuhören, ihr mit Verständnis begegnen und ihr Zeit lassen, sie habe eben ihr eigenes Tempo und dürfe selbst entscheiden, wo sie gerade steht und was sie will. Ich wurde trotz meiner dreißigjährigen Erfahrung in derartigen Fällen für meinen Hinweis geradezu ausgelacht: Ich sei eben zu alt für solche Fälle, heute mache man das anders, vor allem mit Verständnis und auf die sanfte Art. Und alle an dem Fall beteiligten Sozialarbeiter und Therapeuten waren sicherlich überzeugt, mit diesem besagten Hintergrund das Richtige zu tun.
Und das, obwohl die Frau seit zwei Jahren sich immer nur beklagt und gejammert, aber niemals etwas für sich unternommen und getan hat! Sie hat keinen einzigen Rat befolgt, sondern wollte sich immer nur "ausheulen" und getröstet werden, immer nur hören, wie arm sie doch dran ist (therapeutisch nennt man so etwas "
das arme Ich" oder "Festhalten an der Opferrolle") und wie schwer sie es im Leben hatte.
Es ist nun etwa drei Jahre her: Die Frau hat nach etwas mehr als zwei Jahren voller Verständnis und Trost, voller Zuhören und Zuspruch, ihre beiden Kinder (ich glaube, die beiden waren 5 und 7 Jahre alt) in der Badewanne ersäuft.
Sie wollte sich partout nicht helfen lassen. Man ließ ihr das eigene Tempo - und wusch anschließend seine Hände in Unschuld. Ich hab keine Ahnung, wie es den am Fall beteiligten Fachleuten heute geht, aber ich denke mal, sie haben vermutlich innerlich "losgelassen": Es waren ja nicht ihre Kinder, so etwas passiert eben leider manchmal, kein Grund, an der Methode und am Vorgehen zu zweifeln.
Hätte man meinen Rat befolgt oder die Frau statt mit Verständnis und Zuhören zu "verwöhnen" und damit in ihrer Situation auch noch indirekt zu bestärken, nichts zu ändern (weil sie sich ja immer wieder bei jemandem ausweinen durfte und es ihr dann besser ging), einfach mal herausgefordert, ernsthaft an sich zu arbeiten und ihre Trennung samt den dahinterliegenden Problemen aus der Kindheit energisch und effektiv aufzulösen, würden die Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit, so denke ich, heute noch leben.
Es gibt viele therapeutische Wege, und jeder hat seinen Platz, seine Berechtigung und seine Zeit - und nicht immer ist der Weg, den Du, liebe
Luna53, hier sehr schön und eindrücklich dargestellt hast, wirklich der einzige, vor allem aber nicht immer der beste und heilsamste Weg. Es gibt auch andere, und die haben ebenfalls ihren Sinn und ihre Berechtigung.
Ansonsten hast Du aber meine volle Zustimmung zu Deinem Beitrag. Und für viele Bereiche ist das sicher auch völlig richtig.
(Der Antaghar)