„Schrecken des Krieges“
Kohlezeichnung
ca. 300 mm x 420 mm
1975
Ein freundliches Hallo zusammen!
Wenn ich mich kurz vorstellen darf: Früher hochaktiv mit dem Bleistift auf dem Papier unterwegs, habe ich mich mit den Jahren mehr auf die (erotische) Fotografie verlegt. Näheres hierzu findet die/der Interessierte in meinem Profil SirHenry.
Zwar wurde dieser Beitrag bereits auch in einer anderen Rubrik im Joyclub veröffentlicht, aber aus gegebenem Anlass wird er auch hier noch einmal eingestellt.
Seit über 40 Jahren bewahre ich nun eines meiner Bilder auf, das um ein Haar tatsächlich in der
documenta Kassel ausgestellt worden wäre.
Ich möchte Euch dieses Werk heute hier vorstellen.
„Schrecken des Krieges“ - so lautete die Vorgabe unseres Kunstlehrers Mitte der siebziger Jahre an unserem Gymnasium.
Jede Maltechnik war erlaubt und jeder konnte frei entscheiden, ob er/sie mit Öl- oder Wasserfarben, mit Tusche, Kreide, Kohle oder Bleistift seine Themenumsetzung realisiert oder auch mit Linolschnitt oder Kollage.
Während meine Klassenkameradinnen und -kameraden ihren Fokus sofort auf (zu verurteilende!) Gewaltdarstellungen richteten und Kampfflieger, Bomben, Panzer, Granaten, Kanonen, stürmende und schießende Soldaten, Explosionen und verstümmelte Menschen zeichneten oder malten, überwiegend in Farbe, überlegte ich lange.
Es sollte etwas ganz anderes sein. Ohne direkt sichtbar ausgeübte Gewalt oder solche Kriegs- bzw. Kampfmittel.
Etwas, das den Betrachter sofort mitleidig berührt, traurig stimmt.
Ich richtete meinen Fokus auf Frauen und Kinder, grundsätzlich die primären Leidtragenden von Kriegen.
Obwohl ich überwiegend den Bleistift als mein Zeichenwerkzeug auserkoren hatte, entschied ich mich damals – zum ersten Mal übrigens – für Hartkohle: Mein Bild durfte keine schönen bunten Farben haben. Es sollte die düstere und negative Thematik wiederspiegeln und demzufolge schwarz-weiß werden. Die Abwesenheit von Farbe zwingt den Betrachter in eine engere Betrachtungsdimension; ich wollte klare Kontraste, insbesondere kein grau (Graphitstift), sondern tiefes schwarz, da dies ohne hin die „Farbe“ des Negativen, des Todes, der Trauer ist.
Obgleich eine Kohlezeichnung eine vergleichsweise einfache Maltechnik ist, habe ich, wie ich mich noch gut erinnere, überdurchschnittlich lange für dieses Bild gebraucht, etwa 5 oder 6 Stunden. Es hat mich damals, während ich mein geistiges Bild auf dem Papier realisierte, emotional selbst sehr berührt
Herausgekommen ist diese Impression im Format DIN A3.
Eine deutsche Stadt im Zweiten Weltkrieg bei einem Luftangriff.
Häuser sind zerstört, stürzen ein. An unzähligen Orten brennt es. Die Luft ist von Feuerschein und Rauch erfüllt. Stromleitungen sind runter gerissen.
Eine Mutter will mit ihrem Kleinkind im Kinderwagen in den nächsten Luftschutzbunker laufen, Schutz vor dem Bombenhagel suchen.
Sie schaffen es nicht mehr.
Sie wird von Granatsplittern getroffen und tödlich verletzt. Tödlich getroffen bricht sie zusammen, fällt auf den Boden in den Schmutz und stirbt. Sie kann ihr Kind nicht mehr beschützen.
Der Kleine begreift nicht, was passiert ist. Er versteht nicht, warum seine Mama auf einmal auf dem Boden liegt und völlig verängstigt und ratlos schaut er verzweifelt zwischen ihr und den brennenden Häusern hin und her.
Er ist jetzt alleine. Hilflos. Mitten in der Hölle.
Seine Mutter, die ihn geboren hatte und mit Liebe aufziehen wollte, ist tot.
Der Krieg hat sie ihm genommen.
Kunstlehrer und Lehrerkollegium waren so sehr von diesem Bild eines damals (recht „wilden“) 16jährigen beeindruckt, daß die Direktorin es schließlich der Jury der
documenta in Kassel zukommen ließ. Tatsächlich wurde mein „Schrecken des Krieges“ ein Jahr später für die
documenta offiziell nominiert.
Sir Henry