Eigenverantwortung in Beziehungen
Mir fällt seit Jahren bei meiner therapeutischen Arbeit immer wieder auf, dass sich Partner in Beziehungen oftmals vom anderen Partner mehr Eigenverantwortung wünschen. Anfangs war mir das Problem gar nicht so bewusst, aber inzwischen taucht die Fragestellung immer öfter auf.Ein 50-jähriger Mann hat z.B. starken Bluthochdruck, ist aber nicht bereit selbst etwas zur Verbesserung der Situation beizutragen. Täglich schluckt er seine Tabletten, aber zur Gewichtsreduzierung, zur Umstellung der Ernährung oder gar zum Sport treiben ist er nicht bereit. "Das bestimme ich selbst, ich bin ein freier Mensch und lasse mir da nicht reinreden" ist sein Kommentar. Die Partnerin bittet ihn immer wieder etwas zu tun, gerne gemeinsam, um auch in den kommenden Jahren das Leben ohne größere gesundheitliche Probleme bewältigen zu können.
Eine 60-jährige Frau ist dem Alkohol stark zugeneigt, Blut- und Leberwerte sprechen eine eindeutige Sprache. Die Leber macht inzwischen Probleme, eine fortgeschrittene Leberzirrhose wurde bereits diagnostiziert, Diabetes liegt vor und Blutgerinnungsstörungen sind dazu gekommen. Der Partner schlägt gemeinsam mit den Ärzten eine Therapie vor und will seine Frau dabei in jeder Hinsicht unterstützen. Sie lehnt ab, schiebt die Probleme auf eine Hepatitis im Kindesalter und sieht sich keinesfalls in einer Abhängigkeit, da sie offiziell ja nie Alkohol trinkt.
Ein 35-jähriger Familienvater, 2 Kinder im Schulalter, fährt am Wochenende gerne Motorrad. Ab und an gab es auch schon Unfälle mit Verletzungen und einigen Wochen Krankenhausaufenthalt, aber noch nie lebensbedrohlich. Vor 4 Jahren hat man ein Häuschen gebaut, die Frau arbeitet halbtags mit und die Familie macht einen glücklichen Eindruck. Die Frau und die Kinder wünschen sich von Papa bzw. Ehemann, dass er das Motorradfahren ob der bestehenden Gefahren aufgibt. Er lehnt das kategorisch ab, das sei seine Sache und da lasse er sich nicht reinreden.
Eine Frau hat vor 5 Jahren mit dem Rauchen aufgehört. Durch das Rauchen hat sie Probleme mit der Durchblutung im Becken und den Beinen bekommen, was dazu führt, dass sie nur auf der Ebene laufen oder Radfahren kann.Sobald die Belastung auch nur minimal zunimmt, bekommt sie starke Schmerzen. Auf Bitten des Partners hat sie einen Spezialisten aufgesucht, der ihr blutverdünnende Medis verordnet hat. Wenn nach 6 Monaten keine Besserung eintritt, rät er zu einem operativen Eingriff um die verengten Gefäße wieder zu weiten und dadurch wieder schmerzfrei Laufen oder Radfahren zu können. Selbst aktiv etwas sportlich zu unternehmen lehnt die Frau ebenso ab, wie einen operativen Eingriff (dadurch würde auch das Thromboserisiko dratisch sinken). Sie ist nur bereit die Tabletten zu schlucken, mehr aber auch nicht. "Viel laufen muss ich ja nicht, ich lege mich lieber auf das Sofa und die Beine hoch", ist ihr Credo, "das hat schon meine Mutter so gemacht und ist 80 damit geworden."
Ein 55-jähriger Mann hat abends im Bett öfter mal Heißhunger auf Schokolade. Dagegen ist ja erst einmal nichts einzuwenden. So isst er im Bett immer mal wieder eine ganze Tafel Schokolade, ist dann aber zu träge um nochmals aufzustehen und die Zähne erneut zu putzen. Der Zahnarzt freut sich natürlich über immer wieder auftretende Probleme. Auf die Schokolade zu verzichten oder danach die Zähne gründlich zu reinigen ist er auch auf Bitten der Partnerin nicht bereit. Häufige Zahnarztbesuch und oftmals auch teure Eingriffe sind die Folge.
Das sollen mal einige Beispiele aus meiner Praxis sein, die mir in den letzten Wochen begegnet sind. Die Argumentation ist immer dahingehend angelegt, dass die Betroffenen auf ihre Selbstbestimmung und Eigenverantwortung pochen und nicht bereit sind Änderungen herbei zu führen.
Argumente die da kommen:
- Ich bin ein freier Mensch
- Ich lasse mich nicht bevormunden
- Das entscheide ich schon alleine, bin ja kein kleines Kind mehr
- Schäme dich, du versuchst mich zu ändern
- Ich will bleiben wie ich bin
- Du machst mir immer nur Vorschriften
- Bin kein kleines Mädchen und schon älter als 2 x 12 Jahre
- Das geht dich nichts an
- Mach doch was du willst, das mache ich doch auch
Weder bin ich bereit bestimmte Lebensweisen und Lebenseinstellungen zu verteufeln, noch mich in Beziehungen einzumischen. Aber die Frage, die sich mir doch immer wieder stellt ist, in wie weit habe ich selbst die Verantwortung in einer Beziehung, in der man ja gemeinsam die Zukunft (gesund) erleben will, auch auf meine Gesundheit zu achten?
Eine Frau hat kürzlich zu mir gesagt, dass sie eigentlich nicht mehr weiß, warum sie noch Rücksicht nehmen soll, wenn dem Mann seine eigene Gesundheit ja auch egal ist?
Hier geht es nicht um Krankheiten, die jeden von uns treffen oder auch um Unfälle, die wir alle erleiden können. Es geht um das bewusste Eingehen von Risiken durch eine ungesunde Lebensweise oder unterlassene Maßnahmen zur Gesundung. Seht Ihr das auch so, dass da der Partner nicht reinzureden hat und ich das als Betroffene(r) alleine entscheiden kann? Ist es anscheinend in Ordnung, dass eine Partner auch die gemeinsame Zukunft im Blick hat, Vorsorge trifft etc. und dem anderen das mit den genannten Argumenten offenbar gleichgültig ist?
Bin mal auf die Sichtweisen hier gespannt.