Schwur? Gericht!
Alle waren sie versammelt. Alle Priester, Diakonen, Erzdiakonen waren zusammengekommen, ja sogar der alte, massiv übergewichtige Bischof mit den schmalen, zynischen Lippen wollte sich die Zeremonie nicht entgehen lassen. Sie hatten im düsteren Altarraum des hohen Kirchenschiffes Platz genommen und konnten ihre massigen Leiber nur mühsam in die engen, doch kunstvoll gedrechselten Holzsitze zwängen. Draußen prasselte heftiger Gewitterregen auf die Schindeln, und immer wieder wurde die weite Tiefe des Gotteshauses durch grell zuckende Blitze dämonisch erleuchtet.
Umso genervter warteten sie darauf, dass der Inquisitor im flackernden Kerzenschein endlich mit dem Verlesen der Anklageschrift begann. „Du, trostloser und armseliger Sünder hast gegen Gottes höchste Gesetze und Gebote wissentlich verstoßen! Hast schamlosen Ehebruch begangen mit einer verheirateten Frau, die sich einer Hure gleich dir andiente; ihren wohlhabenden Mann verriet, nur für einen sinnlosen Augenblick der teuflischen Fleischeslust... Was hast du zu deiner Rechtfertigung vorzubringen? Sprich, du Ausgeburt der Sünde!“
Mühsam regte sich der von Kerkerhaft abgemagerte Mann, dessen einst stolzer, von der harten Feldarbeit durchtrainierter und gebräunter Körper kaum mehr wieder zu erkennen war, in den rasselnden Ketten.
“Hast du uns nichts zu sagen, oder verhöhnst du uns mit deinem Stolz?“ mahnte der fettleibige Gottesmann ungeduldig. „Nun, ich tat es aus bedingungsloser Liebe, aus tiefster Überzeugung und Wunsch nach dem wahren Glück, und würde sie sofort heiraten, wenn es möglich wäre, denn wir sind als Seelenverwandte einander von höherer Macht versprochen und wollen...“ Sofort traf ihn ein gnadenlos heftiger Peitschenhieb eines schweren Lederriemens, der ihn trotz der schweren Eisenketten umfallen und bewusstlos zu Boden sinken ließ. Blut quoll aus der geplatzten Haut, und im Gotteshaus herrschte empörtes Schweigen.
Als erster fand der alte Bischof die Besinnung zurück und schrie mit hasserfüllter, gellender Stimme, die sich mit mehrfachem Echo durch das alte Gemäuer brach. „Hinweg mit ihm“, „dem Teufel ist er geweiht! Schlagt ihn ans Kreuz!“
In diesem Moment fuhr ein mächtiger Blitz in einen der beiden Kirchtürme und bohrte sich bis in die Eingeweide des Gotteshauses. Schwerer Donnerschlag folgte im selben Atemzug, der alle bis ins Mark traf. Sie rannten entsetzt hinaus, wie vom Leibhaftigen gehetzt, und sahen schon bald den gesamten Dachstuhl in Flammen aufgehen.
Der arme Sünder wurde von seiner Geliebten hinausgeschleift und auf einem Eselskarren unter Jutedecken versteckt zu den Toren der Stadt hinausgefahren. Als sie den nahegelegenen Wald erreichte, sah sie hinter sich das mächtige Kirchenschiff unter Glutwogen einstürzen. ER hatte ein Zeichen gesetzt.