Ich kenne das Stück nicht, erinnere mich aber an den Medienhype nach der Fernsehausstrahlung, und auch hier im Joyclub gab es eine heftige Diskussion dazu. Ich habe mich jetzt über den Inhalt des Stücks in Wikipedia schlau gemacht.
Soweit ich erkennen kann, gibt es bei dem Thema grundsätzlich zwei sehr unterschiedliche Herangehensweisen an die im Stück / Film aufgeworfene Problematik, die man im Interesse einer halbwegs strukturierten Diskussion möglichst nicht vermischen sollte:
1. Abstimmung gemäß der angeblichen Aufforderung des Autoren, ob derjenige, der den Befehl zum Abschuss des Flugzeugs gab, um somit zwar die Insassen des Flugzeugs vor einem Gericht dem sicheren Tod auszusetzen, aber gleichzeitig eine wesentlich größere Anzahl von Menschen zu retten, die sich einem voll besetzten Fußballstadion befanden, auf das das Flugzeug in terroristischer Absicht Kurs genommen hatte, schuldig zu sprechen sei.
oder
2. Die Selbstbefragung im Sinne von: Was hätte ich an seiner Stelle vermutlich getan und aus welchen Gründen?
Ersteres ist eine Frage des Strafrechts, letzteres eine Gewissensbefragung.
Zur Beantwortu,g des juristischen Sachverhalts fehlt mir das nötige Fach- und Hintergrundwissen, also enthalte ich mich jeglicher Aussage hierzu.
Was die Gewissensentscheidung angeht, so wünsche ich mir, dass ich nie in eine solche Lage kommen möge, wo ich eine ähnliche Entscheidung zu treffen habe. Grundsätzlich wichtig dabei ist für mich die Erkenntnis, dass es in solchen Situationen ganz einfach nicht möglich ist, unschuldig zu bleiben, egal, wie man sich entscheidet. Es geht also auch um die Frage des "kleineren Übels" und die Notwendigkeit, eine Wahl treffen zu müssen zwischen zwei Alternativen, die beide Schuldbehaftet sind bzw. wo ich nicht die Möglichkeit habe, keine persönliche Schuld auf mich zu laden, und darum, dass es zum Mensch sein gehört, sich dieser Unausweichlichkeit zu stellen und auszuhalten, dass man den Rest seines Lebens mit dieser Schuld leben muss.
Ob das Odysseus war, der die Wahl hatte zwischen Scylla und Charybdis (entweder er wählte eine Meeresroute, wo er, sein Schiff und alle Gefährten vernichtet würden oder eine andere, wo er sechs seiner Gefährten zu opfern hatte), oder Helmut Schmid, der im Falle der Schleyer-Entführung durch Mitgleider der Rote Armee Fraktion zu entscheiden hatte, ob er mit den Terroristen verhandeln sollte, wobei unklar war, ob er das Leben Schleyers retten könnte, oder stattdessen bei der Linie bliebe, dass der Staat nicht mit Terroristen verhandeln könne / werde, was aber unausweichlich bedeutet, den Tod Martin Schleyers durch Ermordung hinzunehmen, oder ob es um die Frage der Rechtfertigung eines Tyrannenmords geht.
Hier geht es also um Gewissensentscheidungen, und damit nicht um konsensgestützte Rechtsnormen, sondern um ethisch-moralische Kategorien, die jeder einzelne nur als Gewissensentscheidung zu treffen hat.
Der schwarzamerikanische Theologe James Cone hat bereits in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts ein immer noch sehr lesenswertes Buch mit dem Titel "Unschuld, die schuldig macht" geschrieben, in dem er sehr klar Stellung aus einer protestantisch-christlichen Sicht bezog und deutlich machte, dass seiner Überzeugung nach auch ein nach christlichen Grundsätzen handelnder Mensch sich einer konkreten Handlung nicht entziehen dürfe, um die eigene Unschuld zu bewahren, sondern dass es darum gehe, aus dem Bewußtsein der unumgänglichen Notwendigkeit heraus zu handeln, dass in einer solchen menschlichen Grenzsituation jeweils die Wahl zu treffen sei, die letztlich das eigene Gewissen klar vorgebe.
Gewissensentscheidungen aber entziehen sich der juristischen Beurteilung weitgehend. Nicht von ungefähr ist zum Beispiel auch in unserem Regierungssystem einer freiheitlichen Demokratie wenn es um Parlametsabstimmungen über ethisch-moralische Fragen geht, der sogenannte "Parteienzwang" der gewählten Abgeordneten aufgehoben. Damit wird der Aussage im Grundgesetz, dass die Abgeordneten frei gewählt und nur ihrem Gewissen verantwortlich seien, Rechnung getragen.
Beitrag wurde hierher ins passende Thema verschoben. Liebe Grüße! Der Antaghar