Strand.Gut.
Er war ein stolzer, junger und kräftiger Baum, selbst ausgesät von der Natur, wild und unbekümmert gen Himmel gewachsen.
Mancher Vogel wollte sein Nest in der jungen Baumkrone bauen, doch er war zu stolz und sagte: "Ich habe das nicht nötig, nehmt die anderen. Aus mir soll schließlich mal etwas ganz Besonderes werden". Und wenn der Abendwind von der See über seine Wipfel strich war er sicher, dass ihm noch endlose Zeit beschieden war.
Gerade noch geduldet ruhten sich Seevögel in seinen Zweigen aus. Manch kleine Käfer nisteten unter seiner kraftvollen Borke, hungrige Waschbären kletterten seinen Stamm hinauf, um nach Futter zu jagen.
Ein gnadenloser Novembersturm brachte ihn viel zu früh zur Strecke. Das nur flach wurzelnde Geflecht bot ihm keinen Halt, als andere vor ihm Schutz bietende alte Bäume erst einmal umgenickt waren. Der Wind riss ihn zu seinem grenzenlosen Erstaunen einfach um, obwohl er doch noch so jung und kräftig war. Die raue See riss ihn mit auf eine Reise, die ihn auch den letzten Zweig kostete und seiner schützenden Schale entledigte.
Um Jahre gealtert landete er eines Tages wieder an seiner Bucht. Kaum ein Baum stand inzwischen mehr dort, und er begriff, dass Jugend kein Garant für ein langes und erfolgreiches Leben war. Erschöpft liess er sich von der letzen mächtigen Welle weit auf den Strand werfen und schloss gedemütigt die Augen. Mit der Spitze in den Ufersand gebohrt trat er die letzte lange Reise an. Rotbraunes Blut trat aus seinen Adern, einem Bekenntnis des unabwendbaren Untergangs gleich. Er hatte keine vierzig Jahre überdauert, wie die Jahresringe nun gnadenlos bekundeten.
Über ihm kreisten die selben Vögel, denen er einst stolz und selbstherrlich jeden Zutritt verwehren wollte. "Da liegt er nun, seiner Kleider beraubt, seiner Überheblichkeit zum Trotz... Hochmut kommt eben vor dem Fall..." zwitscherten sie keck und suchten sich eine andere Bucht aus, um ihrer Brut eine neue Heimat zu schenken.
So oder so ähnlich empfand ich bei einem Strandspaziergang an der rauen Ostküste Kanadas. Verrät Ihr mir Eure Gedanken?
Gedankenverlorene Grüße: Martin