Ein (un)schönes Thema!
Höflichkeit,
ein (un)schönes Thema.
Ich kann aus Zeitgründen nichts längeres dazu sagen, außer, daß ich sie gerade in Krisenzeiten wie der gegenwärtigen noch stärker vermisse als eigentlich immer schon, so letzte Woche z.B. auf der ach so wichtigen Buchmesse.
(Stichwort und Kontext: Überall spürbare Angst in Folge von ICE-Pannen und Achsen-Mißstands-Verschleierungen, Hysterie in Folge von Bankencrash, Aufgeregtheiten der Branche in Folge von e-book - und am Rande zusätzlich noch Fernsehpreis-"Skandälchen" (Reich-Ranicki), die eigentlich gar nicht am Rande sind, sondern mittendrin, weil es in allen Belangen immer um das selbe Prinzip geht: Qualitätsdebatten.)
Also Mainhattan: Der Ort, wo man im wahrsten Sinne die ausgefahren Ellenbogen der angeblich so kultivierten und ach so bedeutsamen Banker, Journalisten und Autoren in der eigenen Magengegend spüren konnte, während wir uns angesichts dieses Tollhauses auf einen eigenen Pressetermin zu konzentrieren bemühten.
Klar, wer wie Verleger, Autoren und vielleicht auch Journalisten zu fürchten hat, daß ihm die eigenen Fonds-Töpfe um die Ohren fliegen, benimmt sich halt mal instinktiv wie ein überlebensbedrohter Lemming am Abgrund...
Je intellektueller, je schlimmer, denken wir manchmal und wir gehören definitiv nicht zu diesen Intellektuellen, für die nur die Intelligesia zählt, aber nicht die soziale Intelligenz. Und die
Vorbildlich sind diesbezüglich - nicht alle, aber mehr als man denkt - die sogenannten "einfachen Leute", die Leute von der Straße und oft auch selbst die Leute, die auf der Straße leben müssen und wie Abschaum behandelt werden. Ich habe mit vielen an diesem Tag gesprochen. Sie stellen sich dieselben Fragen wie wir alle: Wo geht es hin, in welcher Gesellschaft wollen wir leben? (siehe bei Interesse irgendwas mit www und gesellschafter.de)
Der schönste - und höflichste - Moment an diesem schwarzen Buchmessen-Freitag - war für uns das durch ICE-Pannen stundenlang verzögerte Nachhausekommen in unsere kleine provinzielle Wahlheimat. Uns lief auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause ein Obdachloser (kein Alkoholiker!) in die Arme und bat uns sehr höflich um einen Euro. Wir gaben ihm 10, denn diese Summe fehlte ihm, um ins städtische Nachtasyl zu kommen, duschen zu können - und essen zu können.
[- Klingt nach Sozialromantik, macht aber nix, denn das ist eine Geschichte, die das Leben schrieb. Insofern - leider - knallharte Realität. Und wir haben im übrigen auch nix gegen Romantik, wenn sie sozialen Zwecken dient. -]
Natürlich wollte sich der Obdachlose überschwenglich bei uns bedanken. Wir haben das unterbunden, nicht zuletzt, weil wir an diesem Tag im Zentrum einer verrückten/kranken Gesellschaft einfach nur nach Hause wollten, um in Ruhe ein gutes Glas Wein auf dem Sofa zu genießen und das zu verarbeiten, was wir an diesem Tag erlebt haben.
Zum Abschied sagten wir beide dem Obdachlosen, daß dies "der wichtigste Moment des Tages für uns" gewesen sei, nicht der Pressetermin, nicht die eigene Karriere, nicht die Buchgeschenke auf der Buchmesse, nicht das eigene Ego.
Er sagte kurz und knapp: "Auch meiner!"
Und wir hatten alle drei Tränchen in den Augen.
Und das ist auch gut so!
johnandjacky