Liedtexte zähle ich auch mal zur Lyrik.
Dieser Song begleitet und berührt mich schon seit Jahrzehnten. Bahnhofskino von BAP. Er ist aktueller denn je.
Bahnhofskino
Eine Nacht wie manche, ich liege wach,
Ein blasser Mond, am Chlodwigplatz bremst eine Straßenbahn.
Kaum zu glauben, dass eine Stadt wie diese auch mal still sein kann,
Doch da ist ein Film in mir und der läuft immer wieder von vorne an.
Ohne Handlung, Hauptdarsteller,
In dem Film ist jeder Statist
In einem Tunnel, der „Zuflucht“ heißt,
Doch nur eine ganz billige Endstation ist.
Roter Teppich vor der Rezeption
Und dahinter, wie eine Flunder so flach, steht ein Zinnsoldat,
Der seinen Text gut drauf hat, doch den kennt man schon,
Man weiß nur nicht, ob von einem Steckbrief oder einem Wahlplakat.
Paar Schritte weiter läuft Russisches Roulett
Für Schutzengel, die arbeitslos sind,
Der Revolver, der rumgeht, ist sicher,
Denn da sind sechs Kugeln drin.
Wird es nie mehr hell im Parkett?
Ist wirklich alles zu spät
Hier im Bahnhofskino?
Es führt ein Drahtseil von einem Minarett
Bis zu einem Dom, der als Parkhaus verkleidet die Luft anhält.
Darauf balanciert ein leeres Trojanisches Pferd,
“Was soll das?“, brüllt es noch, ehe es in Zeitlupe runterfällt.
Es wird im Namen des Volkes verwarnt
Von einem Henker, der veitstanzt und tobt:
Einfach fallen sei unverantwortlich,
Wir säßen alle im selben Boot.
Einstein, der im Schatten der Bombe
Rotz und Wasser flennt, weil selbst jetzt keiner ihm näher kommt
Und ihm beim Kreuzworträtsel hilft, beim letzten Wort:
“Afrikanischer Fluss mit drei Buchstaben“ – findet er nicht.
Vom Berg Sinai kommt über Fernschreiber
Gerade das Elfte Gebot,
Während Dürer die Apokalyptischen Reiter
Nach Zahlen buntmalt.
Wird es nie mehr hell im Parkett?
Ist wirklich alles zu spät
Hier im Bahnhofskino?
Castaneda, Karl May, Brecht, Wilhelm Busch, Chuck Berry und Fritz Lang
Pokern um das Patent vom Perpetuum mobile.
Der ewige Verlierer wagt alles, setzt auf Null und sprengt die Bank.
Es regnet Petrodollar, Silberlinge, Lire, Yen, Peseten,
Drachmen und Deutschmark, die allesamt nicht koscher sind,
Denn auf all den Münzen ist Janus drauf, der eben enttarnt wurde als Pawlowscher Hund.
Jedes zweite Hummelfigürchen dreht durch und macht auch noch zu guter Letzt Stunk.
Aus Verzweiflung setzt sich Aga Khan
Seinen goldenen Schuss in einer Nische, wo ihn keiner sieht,
Und schreibt mit Lippenstift: „Midas ist bloß ein Scharlatan“
Auf die Scherben des Spiegels in der Präsidentensuite.
Buster Keaton lacht sich halb kaputt,
Weil ihn immer noch keine Sau versteht,
Denn das Licht da am Ende des Tunnels
Ist eine Panoramatapete.
Der Morgen ist grau, du schläfst in meinem Arm,
Dein Atem geht ruhig, die Turmuhr schlägt fünfmal an.
Ein Nebelhorn, vom Fluss her, noch relativ weit entfernt,
Wie die Fanfare zum nächsten alltäglichen Babylon,
In dem Fortschritt Zerstörung bedeutet,
Das sich abfindet mit jedem Verlust.
Hat das Kind in dir wirklich nur die Chance
Einer Schneeflocke Mitte August?
(C) Wolfgang Niedecken.