Gut, das nehmen wir jetzt einfach mal als Ärgernis zur Kenntnis, damit ihr aber den Groll eines inzwischen 61 Jahre alten Mannes besser verstehen könnt, will ich euch einige Beispiele geben, auf was man früher geachtet hat, als Gerndern noch nicht so prominent in den Nachrichten vertreten war (könnte auch daran liegen, dass 1933 links und rechts überall Krieg war und die Leute nix zu fressen hatten oder sich 1983 vor Angst über die kommende atomare Apokalypse in die Hose gemacht haben):
Zum einen das von mir bereits erwähnte Eumig Radio von 1933. Das Gerät wurde vor über 90 Jahren gebaut (ein Werksstempel im Inneren ist auf April 33 datiert). Das Holzgehäuse wurde mit einem wunderbaren Walnusswurzelholz furniert, das immer noch eine noble Ausstrahlung hat, trotz jahrelanger Misshandlung durch einen zu feuchten Abstellplatz in einer unbeheizten Garage. Der Lautsprecher, eines der ersten elektrodynamischen Modelle (keine Sorge, ich habe auch noch einen elektromagnetischen Lautsprecher von Celestion im Lager), ist mit einem wunderbar altmodischen Bouclé Stoff abgedeckt, wie bei Omas Häkeldecke. Die Knöpfe sind aus einem haptisch ganz wunderbaren braunen Bakelit gefertigt, die Senderskala könnte heutzutage so niemals hergestellt werden, denn jeder Controller würde die blöden Inschinöre, denen nix zu schwör ist und die sich so eine Spielerein einfallen haben lassen, zum Teufel jagen. Diese Spielerei dürfte allein etwa 20-30 Schilling = 18-27 RM zum sicherlich hohen Gerätepreis von etwa 450 - 600 Schilling beigetragen haben. Mein Elektriker-Großvater hat zu dieser Zeit etwa 180 Schilling im Monat verdient (so ein Gerät kostete also mehrere Monatslöhne!). Dann die Rückseite, die stolz die Wundmale ihrer jahrelangen Vernachlässigung und Misshandlung zeigt und trotzdem noch immer Würde ausstrahlt. Röhren waren damals Standard, es sollte noch 15 Jahre dauern, bis Bratten, Bardeen und Shockley den Transistor erfanden (wofür sie zu Recht den Nobelpreis kassieren durften). Und die kupfernen Abschirmbecher. Welcher Finanz-Fuzzi (vulgo Controller, Prokurist oder eben CFO) würde heutzutage so etwas in der Produktion heute noch dulden? Das hat alles gefälligst billig zu sein, für Schönheit zahlt doch niemand mehr! Die meisten kennen heute noch die Schönheits-Konkurrenzen für klassische Autos, wie etwa Pebble Beach oder Villa d’Este, aber große Verwunderung macht sich breit, wenn man den Leuten erzählt, dass es in den 1930er Jahren tatsächlich Schönheitswettbewerbe für Motorräume gab! Wer würde sich heutzutage für die Schönheit von etwas, nachdem man ohnehin nie schaut, ernsthaft interessieren? Genau, niemand!
Vor 41 Jahren wurde der Verstärker meiner Stereoanlage gebaut, ein Luxman LX33, den ich 1983 erworben habe und der nach frisch erfolgter Renovierung inzwischen wieder die Bibliothek erwärmt und mir die auf dem etwas später gebauten schottischen Plattendreher meine Langrillen zu Gehör bringt oder ganz konventionell eben CDs. Bild in der Anlage.
Ebenfalls aus dieser Zeit (1983) ist ein Tondokument angehängt, das in dieser Form heute sicherlich nicht mehr veröffentlicht werden könnte oder würde, nämlich den Track „Die Galeere“
von der Langspielplatte „Werwolf-Romantik“. Stefan Weber, ein Mittelschulprofessor, dem seine ständigen Deutsch-, Erdkunde- und Lateinstunden offenbar zu langweilig geworden waren, hatte anfangs der 1980er Jahre die Creme de la Creme der österreichischen Musikszene um sich herum versammelt und eine Anarcho-Combo erster Güte namens „Drahdiwaberl“ gegründet. Die Band hatte mehrere Superhits, die sogar tatsächlich ausgestrahlt wurden (und zwar im öffentlich-rechtlichen Rundfunk), wie z.B. „Sado-Maso“ und der auch heute noch bekannte Hit „Der Kommissar“, was den damaligen Bassisten und Sänger der Band namens Johannes Hölzl ermutigte, eine eigene Band unter seinem Rufnamen „Falco“ zu gründen. Schwarzgeld lag zu der Zeit noch in Liechtenstein und nicht in Panama. Und mit dem „Steuermann“ in diesem Polit-Rap ist übrigens der damalige österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky gemeint, der ein Ferienhaus auf Mallorca hatte. Der gute Mann stand mit vollem Namen und Adresse im Wiener Telefonbuch und wurde trotzdem nie mitten in der Nacht von wütenden Bürgern angerufen. Für seinen Personenschutz stand eine Telefonzelle vor dem Haus, wo ein einsamer Polizist seinen Dienst versah. Ich habe mir das mit eigenen Augen angesehen, denn selbstverständlich hat es mich interessiert wie mein (damaliger) Bundeskanzler so wohnt. Und ja, das war vor 40 Jahren tatsächlich noch möglich.
Ich könnte mir denken, dass eine Frau Merkel oder ein Herr Scholz heutzutage nicht mehr im Telefonbuch zu finden sind und schon gar nicht mit voller Wohnadresse. Obwohl die meisten Menschen heute gar kein Telefonbuch mehr haben oder vielleicht einfach nicht wissen, wie so etwas überhaupt aussieht. Man könnte vielleicht auch sagen, dass die Manieren schlechter geworden sind in den letzten 40 Jahren. Ganz sicher schlechter geworden ist der Service all jener Firmen, die unter dem Begriff „Dienstleistungssektor“ zusammengefasst werden, wie etwa Versicherungen und Banken. Dort bekommt man heutzutage bestenfalls eine digitale Assistentin zu hören und falls das eigene Anliegen nicht zu den Auswahlmöglichkeiten 1, 2, 3 oder 4 passen sollte, hat man eben Pech gehabt.