Francesca, ich kann dir nachfühlen und könnte heulen...
Vor zwei Monaten war ich einem alten Studienkollegen in einem Einkaufszentrum über den Weg gelaufen und wir fielen uns in die Arme. Wow, hatte der seinen Weg gemacht! Mindestens 1-2 Mal jährlich Urlaub in New York und Städte wie okio, Singapur und Honkong kennt er wie seine Westentasche. Dazu eine Prachtvilla in der Stadt, vier Kinder, wovon selbstverständlich jedes Golf spielte und höchste Ansprüche hatte. Dafür arbeitet er auch sieben Tage die Woche 14-18 Stunden als Geschäftsführer einer großen Baufirma. - dort hatte er bis knapp vor unserem Treffen gearbeitet, 30 Jahre lang. Das Eigentümerehepaar war in Pension gegangen und hatte die Firma ihren Kindern übergeben. Diese wollten jungen, frischen Wind in der Firma und keinesfalls diesen "Alten" da, meinen Kollegen. Sie haben ihn gemoppt und schließlich aus der Firma hinausgebissen. Eine 25-jährige Controlling-Expertin arbeitete dabei fleißig mit, wollte sie doch den Junior-Chef ehelichen.... - Mein Kollege war körperlich und seelisch einfach gebrochen, er konnte und wollte nicht mehr. Er war ausgebrannt.
Klar, dass ich ihm sofort einen psychiatrischen Coaching-Experten für sein Seelenwohl nannte und fürs Berufliche ist die Berufsunfähigkeitspension wohl das Mittel der Wahl, bevor er auf noch konkretere Suicidgedanken kommt.
Heute traf mich dann fast der Schlag, denn ich sah in der Buchhandlung éinen anderen Studienkollegen. War das ein selbstbewußter, dynamischer, stattlicher, verbal schlagfertiger Wortakrobat, ein groß gewachsener hübscher Mann - gewesen. Als Leiter der größten politischen Fraktion unserer Hochschülerschaft kannte er die Tricks der Industriellen und hatte immer Tipps auf Lager. Und nun? Die Hose hing ihm zerschludert in den Hüften, das Hemd war teilweise herausgerutscht und er ging gebückt mit tief eingezogenen Schultern, wie ein geprügelter Hund, der drei Tage auf der Parkbank geschlafen hat. Er sah mich und nickte mir nur zu. Sofort war ich bei ihm und fragte ihn: "Christian, kann ich dir irgendwie helfen?" Er winkte ab. Nein, heute hätte er keine Zeit. Vielleicht, wenn wir uns irgendwann mal zufällig wieder treffen....
Als ich ihn vor ein paar Jahren das letzte Mal getroffen hatte, meinte er nur, dass "es" für ihn nicht so optimal liefe und er hatte sich viel mehr erhofft und erträumt, als er dann letztlich bekommen hat.
Sein Job, seine Ehe, seine Kinder - was war geschehen.....
Wir werden vom Schicksal je nach Charakter hart- oder weichgeklopft und die Mitte des Lebens ist nicht immer eine schöne Zeit.