Mein Herbst
hat viele Facetten, und wenn ich mit Grausen an andere Orte dieser Welt (wie Dubai) erinnere, wo es überhaupt keine nennenswerten Wechsel der Jahreszeiten gibt, so freue ich mich auf unsere wundersame Wandlung der Natur in diesen Wochen. Schön, dass wir in diesen Breitengraden leben dürfen.
Die Natur kommt zur Ruhe. Eben wurden die dröhnenden Mähdrescher noch von den Bulldogs mit ihren schweren Pflugscharen abgelöst, welche die Erde der abgeernteten Felder in grobe Schollen umpflügten. Mein Wein auf der Terrasse beginnt sich leuchtend zu verfärben, und der Rasen hat sein Wachstum beinahe eingestellt. Noch habe ich das samstägliche Brummen in den Ohren, wenn die Nachbarn ihre 20 m²-Flächen in stolzer Haltung mit dem Aufsitzmäher traktierten, während mein aus drei Altgeräten zusammengeflickter Senior das Ende der Saison herbeisehnt. Okay, den Ölwechsel muss ich noch machen, dann kann er in den Winterschlaf gehen. Schön, dass ich nun bis April nicht mehr mähen brauche.
Ich freue mich auf den Erntedank-Gottesdienst übermorgen, wenn die Altäre reich geschmückt leuchten mit den Gaben der Natur. Ich freue mich danach auf unser Familienfrühstück und eine herrlich warme Sauna mit Duftöl und Meditationsmusik, bevor ich am Nachmittag bereits wieder auf Geschäftsreise gehen muss. Schön, dass mir nach einem langen Baustellenwochenende solche Inseln der Erholung mit meiner Familie möglich sind.
Ich freue mich auf Spaziergänge mit raschelndem Laub unter den Füßen, auf das Sammeln von bunten Blättern und prallen Kastanien. Auch wenn mir die immer früher einsetzende Dunkelheit zu schaffen macht freue ich mich auf möglichst viele Kerzen und das Knacken der Holzscheite im Kamin. Ich empfinde Dankbarkeit für die reiche Holzernte, die mir bis in den Frühsommer viele Ster Buchenholz bescherte. Schön, dass ich nun bis Februar nicht mehr mit der Kettensäge in den Wald gehen brauche.
Ich freue mich auf unser traditionelles Martinsgansessen, bei dem wir das Fest meines Schutzpatrons jedes Jahr mit ganz besonderen Menschen begehen. Der Duft der Gänse und der Bratäpfel vermischen sich mit Elas Maronensuppe, und nach dem Festmahl sitzen wir bis in die Nacht bei einem guten alten Rotwein und lassen das Jahr Revue passieren. Schön, dass wir jedes Jahr weitere gute Freunde finden.
Ich freue mich auf die stimmungsvolle Dekoration in den Altstadtgassen, auf den Weihnachtsmarkt und die „stade Zeit“ im Advent. Aber auch ein wenig auf die ersten dicken Flocken, denen unsere alten Kater noch immer hinterher jagen wie in ihren frühen Tagen. Schön, dass sie uns auch dieses Jahr erhalten blieben.
Und ich denke mit wehmütiger Freude an große Kinderaugen, wenn ich ihnen vor dem Einschlafen spannende Geschichten erzählte, die ihre ganze Phantasie weckten. Den Abschlussvers durften sie dann immer mit ganzem Stolz vollenden, bevor das Licht ausgelöscht wurde- zum Beispiel
„Im Herbst das Laub fällt von den Bäumen,
im Bett kann man jetzt herrlich .......“