Mehr brandheiße Inhalte
zur Gruppe
Tango Argentino & Nuevo
1012 Mitglieder
zum Thema
Was machen Frauen falsch?186
Hier gibt es einen Strang: was machen Männer falsch?
zum Thema
Feminismus vs. patriarchische Sicherheit in der Beziehung749
Auf Grund von diversen aktuell laufenden Forenbeiträgen und den…
Das Thema ist für dich interessant? Jetzt JOYclub entdecken

Streitschrift: Von (Fehl-) Entwicklungen und (Un-) Sitten.

***rt Mann
941 Beiträge
Themenersteller 
Streitschrift: Von (Fehl-) Entwicklungen und (Un-) Sitten.
Tango in Deutschland. Von (Fehl-) Entwicklungen und (Un-) Sitten
25 Jahre sind eine lange Zeit. Ziemlich genau so lange gibt es Tango Argentino in Deutschland.

Dieser so lebendige, leidenschaftliche, Tanz hat sich im Verlauf seines langen Lebens ständig weiterentwickelt, neue Strömungen erlebt, "Krisen" und "Moden" überstanden.

Manche Moden sind schnell und lautlos wieder verschwunden, andere haben deutliche Spuren hinterlassen, wenige haben den Tango sogar verändert.

Verändert hat sich aber nicht nur der Tanz selbst, sondern -leider- auch das Ambiente, die Umgangsformen auf (und jenseits) der Tanzfläche.

Verändertes Benehmen:

Während man "früher" niemandem erklären mußte, daß es nicht nett ist, "Körbe" zu vergeben und es doch bitte nicht sooo schlimmm ist, als Fortgeschrittener auch mal mit Anfängern zu tanzen, interressiert das heute nicht mehr wirklich viele der "Cracks".

Es ist absolut üblich, daß eine Frau auf einer Milonga stundenlang herumsitzt, ohne, daß sie zum Tanzen aufgefordert wird...
(Bevor ich gehängt werde: Ich weiß, daß es individuelle Ausnahmen gibt. Es soll sogar Milongas geben, auf denen so etwas nicht vorkommt, aber auch diese sind die große Ausnahme.)


Groteske Auswüchse durch Männermangel

Es ist sogar weit schlimmer, als bislang geschildert:

Wie oft ich schlechte bis mittelprächtige Tänzer gesehen habe, die völlig schmerzlos die besten Tänzerinnen über die Tanzfläche schleifen, sie immer und immer wieder in die gleiche "Figur" zwingen, weil sie einfach nicht so funktioniert, wie gedacht und womöglich auch noch lauthals der Frau erklären, "was sie gefälligst zu zun hätten und das sie ja wohl noch nicht so lange dabei seien", obwohl sie schlichtweg schlecht, zu spät oder gar nicht geführt haben, was die Frau aber tanzen sollte! *rotekarte*

Wie oft ich so etwas gesehen und mit diesen Frauen gesprochen habe, kann ich nicht mehr zählen, aber die Antworten sind immer die gleichen:

"Wenn ich ihm gesagt hätte, daß er schlecht führt, oder nach einem Tanz aufgehört hätte, dann würde er ja nicht mehr mit mir tanzen!"

Leider haben diese Frauen damit recht!

Aber wenn das nicht Masochismus ist, was dann?

Das Problem ist einfach, daß die Frauen sich einem gnadenlosen Auswahlverfahren unterziehen müssen, wenn sie mit einem der wenigen Männer tanzen wollen.

Da wird Frau NOTGEDRUNGEN anspuchsloser und viele Männer nutzen das schamlos aus.

Fragt die Frauen, bitte, falls ihr das für übertrieben haltet!

Das führt zu einer brettharten Selektion:

Sehr attraktive Frauen werden zumeist auch dann von guten Tänzern aufgefordert, wenn sie noch nicht gut tanzen.

Gut tanzende Frauen, auch dann, wenn sie nicht ganz "dem gängigen Schönheitsideal" entsprechen.

Andere Frauen haben genau 3 Optionen:

Manche hören auf Tango zu tanzen, weil sie sich das entwürdigende Verhalten nicht antun wollen.

Andere sind hartnäckiger und dickfelliger und halten es sehr lange aus. Warten. Hoffen. Lächeln.
Und haben irgendwann das Glück, einen festen (Tanz-) Partner zu finden.

Wieder andere erlernen die Führungsrolle und tanzen lieber "als Mann", denn gar nicht.


Veränderte Kleidung

Während Frauen tendentiell im "kleinen Schwarzen" und schön gemacht zur Milonga gehen, gibt es immer noch (Tendenz zunehmend) Männer, welche sogar auf Bällen und Festivals, Cargohosen, zerissene Jeans, T-Shirts und Turnschuhe für angemessen halten...


Nur, daß wir uns nicht mißverstehen:

Ich trage auch Cargohosen und zerrissene Jeans! Aber ich weiß auch, wo NICHT!

In Pràcticas, im Unterricht etc. ist das m. E. völlig OK!
Aber immer dann, wenn die Ladys sich -mehrheitlich- herausputzen, sollte das ein guter Indikator für die Männerwelt sein, sich daran BITTE anzupassen, findet Ihr nicht?!

Es scheint fast so, als glaubten viele Männer (und einige Frauen) daß man heute gar nicht mehr "underdressed" sein kann...

Soll ich mal "aus dem Nähkästchen" plaudern, was die Körperpflege (Mundgeruch, Schweißgeruch, fettige Haare etc.) angeht? *duschen*
Ich erspare Euch die Detàils. Nur soviel:

Fragt die Frauen Eures Vertrauens...

Ich bin irgendwann dazu übergegangen, in Kursen, Prácticas und Milongas immer Pfefferminz, Lakritz etc. zur freien Verfügung hinzustellen...


Zunahme von "Amateurlehrern"

Zugleich hat sich auch die "Kaste" der Tangolehrer verändert. Die Tendenz geht (zumindest quantitativ) in Richtung "sogenannter Tangolehrer"...

In Berlin war (und ist) das Zentrum einer Entwicklung, die es heute überall gibt:

Bereits Ende der 90er Jahre schossen plötzlich immer mehr "Tangolehrer" aus dem Boden.
Menschen, welche eine längere oder auch kürzere Zeit qualifizierten Unterricht erhalten hatten, fühlten sich "berufen", die vorhandenen Kenntnisse zu nutzen und nun selbst Unterricht anzubieten. In kirchlichen Gemeindesälen, Yogastudios, Volkshochschulen etc. konnte (und kann) beobachtet werden, daß das alte Sprichwort noch gilt, daß "der Einäugige unter den Blinden König ist"!

Die "Blinden", also die Anfänger, merkten nicht, oder erst spät, daß die allermeisten (nicht alle) "Tangolehrer" weitgehend ohne Konzept, ohne Methodik und Didaktik, versuchten zu vermitteln, was sie so gut zu können glaubten: Tango, Milonga und Tango-Vals.
Gerne auch alle drei Tänze an einem Wochenende oder zumindest doch Ganchos, Boleos, Sentadas und die komplexesten Drehungen in 4 Stunden...

Bitte glaubt mir: Ich übertreibe leider nicht, denn diese armen und hoffnungslos überforderten Menschen kamen und kommen immer noch in die Prácticas und Kurse renomierter Schulen und die fassungslosen Kolleginnen und Kollegen haben dann den undankbaren Job, diesen Leuten zu vermitteln, daß ihnen jede Basis fehlt, um derartig komplexe Dinge zu führen und auszuführen bzw. daswas sie tun FURCHTBAR ausschaut, schlampig, wackelig und falsch ist, ohne daß diese Schüler völlig gefrustet das Handtuch werfen!

Noch dazu erfreut es jede Schule, daß sie gegen unlauteren Wettbewerb antreten müssen, weil die "Freien Radikalen", die mal hier, mal dort, mal gar nicht unterrichten, zumeist weder GEMA, noch Steuern zahlen...

Vielen Tangoschulen geht es wie dem Tango auf den Tanzflächen:
Mehr schlecht als recht.

In den Szenen herrscht "Hauen und Stechen", es geht drunter und drüber und das Niveau des Tangos geht teilweise den Bach runter.
Es gibt Milongas, auf denen es so etwas wie Tanzrichtungen überhaupt nicht mehr gibt. Ein jüngerer hamburger Tanzlehrer machte mich vor wenigen Monaten zuerst sprachlos und dann traurig.
Er sagte allen Ernstes:
"Eine Tanzrichtung braucht man heute nicht mehr. Das war früher!"

Was soll man da noch sagen...?


"Neotango"

Dennoch: Diese neueste Strömung innerhalb des Tango, hat uns viele interessante Dinge gebracht.
Volcadas und Colgadas zum Beispiel.
Interessante Dynamiken.

Es gibt herausragende Vertreter dieser Mode. Chicho Frumboli und Pablo y Dana (D.N.I.)zuvorderst.
Beide mit großer Jüngerschar. Und das zu Recht!

Leider wird aber außer Acht gelassen, daß diese Ausnahmetänzer zuvor eine solide Ausbildung in klassischem Tango durchlaufen haben, bevor sie neue Wege einschlugen! Sie können auch anders tanzen und tun dies auch, wenn die Tanzfläche das erfordert!

In Europa, speziell in Deutschland, nimmt aber die Tendenz zu, daß absolute Anfänger direkt mit "Neotango" beginnen und nicht anders tanzen KÖNNEN! Eine zärtliche und trotzdem klare Umarmung, eine gute Haltung, richtiges Gehen (DAS MERKMAL EINES GUTEN TÄNZERS!) lernen und können sie daher auch nicht!

Das, was sie lernen, ist derartig raumgreifend (dabei in alle Richtungen tanzend), daß es allen anderen Männern zuvorderst abverlangt, jederzeit bereit zu sein, sich und seine Tanzpartnerin in Sicherheit zu bringen...

Die ruhige, fast meditative gemeinsame Bewegung aller Paare in die gleiche Richtung, engumschlungene Menschen, das Gefühl des Herzschlages der Partner (-in) am Brustkorb zu spüren...?

Sinnlichkeit, scheinbares Verschmelzen zweier Körper?

Fehlanzeige!

"Neotango" ist eher eine "sportliche Art Tango".
Seien wir ehrlich: Eigentlich ist Tango ein urbaner Volkstanz. Tanz- und erlernbar bis ins hohe Alter.
Daneben gab und gibt es noch die Tango Kunstform für die Bühne mit entsprechend ausladenden raumgreifenden sog. "Figuren".
Hier sind Tanzrichtungen nicht notwendig, weil das Showpaar alleine tanzt, oder die Wege sind choreographiert.

Die Notwendigkeit des "adaptarse a la pista", also dem "sich an die Tanzfläche anpassens", ist im "Neotango" leider völlig verlorengegangen!
Ich habe tumultartige Zustände in Bs. As. erlebt, nur weil 2-3 Paare "Neo" betrieben und von diesem Zeitpunkt an die Ruhe und das gleichmäßige Dahinschweben FÜR ALLE unmöglich wurde!
Das führte dann zu besagten Tumulten, weil die übrigen Paare sich das nict bieten ließen und der Organisator die "Neos" rausschmiß, weil sie sich weigerten, bitte anders zu tanzen. (Oder nicht anders konnten?)
In Deutschland ist das undenkbar! Hier gilt es doch als verpönt, im Sinne der Mehrheit, eine Minderheit um anderes Tanzverhalten zu bitten! Es scheint fast wie das Internet zu sein: Jede Einschränkung gilt als "Zensur" und ist des Teufels und jeder, der das versucht ist ein "diktatorischer Gralshüter der reinen Wahrheit"...

Oftmals wird auf die "persönliche Freiheit" hingewiesen... *anbet*

Endet etwa die "individuelle Freiheit" nicht mehr da, wo die "Freiheit der anderen" tangiert wird? Ich denke eigentlich schon...

WEnn die Tanzfläche frei ist, wird niemand klagen, aber die Regel ist doch, daß zum eigenen Vorteil alles erlaubt scheint, EGAL, was das für andere auf der Piste bedeutet!

Wo ich gerade bei dem Thema bin:

Ist es eigentlich "uncool" geworden, sich nach einem "Crash" auf der Tanzfläche, oder wenn man merkt, daß man gerade andere behindert und genervt hat, weil man GEGEN DIE TANZRICHTUNG, oder QUER dazu getanzt hat, ZU ENTSCHULDIGEN? (Und sei es duch eine entschuldigende Geste?) *schaem*

Mir scheint es so...

Für Neotango ist -zumindest für die Frauen- eigentlich eine sehr gute Beweglichkeit (wenn nicht sogar eigentlich eine solide Tanzausbildung) irgendwas zwischen sehr empfehlenswert und absolut notwendig. Oder täusche ich mich?

Wenn ich die "coolen Neotango-Boleos" sehe, bei denen man befürchten muß, daß die Frauen sich den Absatz in den Hinterkopf rammen, kann ich mir gut vorstellen, was es für die allermeisten Frauen bedeutet, sich diesen Anforderungen zu stellen, ohne völlig behämmert dabei auszusehen... Fatal!

Ist Tango doch kein "trauriger Gedanke, den man tanzen kann" sondern "cool" und purer Spaß nach Musik?

Kommt es etwa doch nicht darauf an, daß 2 Menschen versuchen in den Tangohimmel zu gelangen, indem sie die "triadische Harmonie von 2 Menschen und einer Musik" suchen? Ist diese spezielle Innigkeit, dieses Prickeln und jener "vertikale Ausdruck eines horizontalen Verlangens" auch ohne Umarmung möglich?

"Rhythmische Sportgymnastik nach Musik, auf Basis des Tango Argentino" hat mir gegenüber mal eine Gruppe von argentinischen Freunden den "Neotango" genannt.

Ich habe gelacht. Hartcore Milongueros eben, dachte ich damals.

Aber vielleicht haben sie gar nicht so Unrecht. Wer weiß...

Ein Wort zur Musik:

Worin liegt eigentlich der Reiz, zwar Tango tanzen zu wollen, aber dazu weitgehend jede Musik zu benutzen, außer Tango, solange nur "der Rhythmus nicht weiter stört" bzw. er nur langsam genug ist?
Die absolute "Krone" dieser selbsternannten "Tango Avantgarde" legt neuerdings sogar deutschen Rap (!) zum tanzen auf... *vogel*

Ich habe nichts dagegen, mal ein Stück "Klassik" oder einige der sog. "Elektrotangos" aufzulegen, auch wenn ich sicher bin, daß es weder zu wenige (sogar vielen noch unbekannte) schöne Tangos gibt, noch denke ich, daß "Neotango Musik" wirklich kreativ wäre.
Aber es gibt auch sehr schöne Stücke, selbst wenn sie m. E. nicht die wahre Essenz des Tangos ausdrücken können, noch seine künstlerische Qualität erreichen.

Schon beobachte ich, daß sich immer mehr Tangueros sich bereits wieder vom "E-Tango" ab- und der "klassischen Tangomusik" wieder zuwenden. Klassischer "backlash"!


Ausblick

Trotz alledem bin optimistisch genug, zu glauben, daß sich letztlich in der Musik, in der Lehre und dem Tanz, Qualität durchsetzen wird!

Aber es geht eben nicht ohne erhebliche Irritationen und Probleme ab.

Die Zukunft wird zeigen, wohin die Reise gehen wird.

Ganz sicher ist nur, daß der KLASSISCHE Tango überleben wird. Ob das auch für "Neotango" gilt, wage ich zu bezweifeln.

Einige von den Regeln und "Behaviors" der guten alten (und altertümlich anmutenden) Milongas klassischer Art, täten uns allen sicher gut.

Auf der Tanzfläche und im Saal.

Respekt. Rücksicht. Richtung. Achtung. Vorsicht. Einfühlungsvermögen. Galanterie der alten Schule. Und ein gewisser (Kleidungs-) Stil!

Ich bin sicher: Sie sind nicht "out" und werden es niemals werden. Es wird sie immer geben.

Ebenso verhält es sich mit dem "klassischen" Tango. Er ist immer aktuell, überall auf der Welt, und wird es bleiben!

Ob das für den sog. "Neotango" auch gelten wird? Ich denke nicht. Einige Elemente werden bleiben. Das, was viele für einen neuen Stil halten, ist meiner Meinung nach schon in wenigen Jahren vorbei.
Was meint Ihr? Bin ich zu konservativ? Täusche ich mich? Ist alles ganz anders?

Ich bin gespannt auf Eure Meinungen!

Nur um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen:

Ich habe teilweise sehr überzeichnet! Das macht mein Grundanliegen deutlicher, denke ich.
Und ich hoffe, daß es zur Diskussion reizt! *zwinker*

Liebe Grüße aus Hamburg - der schönsten Stadt Deutschlands! *raeusper*

Ulli
Cool
****isc Mann
2.638 Beiträge
Auch wenn ich noch...
...zu den Anfängern gehöre, so bewege ich mich doch nun seit vielen Jahren auf Milongas, zHart, und sage aus dieser bis vor kurzem nur Beobachterposition heraus: Du hast meines Erachtens in allem recht.
Hat sich ...
... da jemand ausgekotzt ... oder ...

auf den Punkt gebracht, was wirklich stört?

Ulli
ich bin gespannt wie ein Flitzebogen auf das, was hoffentlich kommt. Ein herrliches Thema und überfällig. *spitze*

Cabal
Der erste Fehler beginnt beim ersten Schritt....
Hi Uli,

auch wenn mir nicht so recht klar geworden ist, welche Veränderungen Du mit Deiner Streitschrift eigentlich bezwecken willst (denn gegen Deine Anmerkungen kann man grundsätzlich ja überhaupt nichts sagen und nahezu jeder, der sich kritisch mit dem Tango Argentino auseinandersetzt, wird Dir zustimmen), will ich doch ein paar Anmerkungen dazu machen.

Ich denke, das Grunddilemma des Tangos beginnt zumindest in Deutschland mit den ersten Stunden in Workshops oder in Kursen. Die meisten Leute gehen zum Tango, weil sie sich von irgendwelchen Filmszenen oder Fernsehberichten inspirieren ließen und innerhalb kürzester Zeit die gesamte Figurenpalette erlernen wollen. Und weil es so ist, wird in den meisten Tangoschulen im Unterricht hierauf der Fokus gelegt. Das Problem ist aber: was nützen einem die besten Figuren, wenn man schlichtweg die Achse nicht halten kann, wenn man die Transportabläufe nicht verstanden hat und wenn man kein Feeling für die Musikalität besitzt.

All das ist aus meiner Sicht Grundvoraussetzung, um überhaupt einen stilvollen Tango zu tanzen. Die Figurenkiste ist nur Beiwerk - und man öffnet sie von allein, wenn man die Grundtechniken beherrscht. Doch welcher der von mir oben beschriebenen Tango-Beginner hat die Geduld, sich erstmal stundenlang über Gewichtsverlagerung und Fußsetzen Gedanken zu machen ? Jeder Tangoschule würden doch die Tänzer weglaufen, wenn darauf die ersten Schwerpunkte des Tanzes gelegt werden. Insofern bleibt der Zwang bestehen, genau das zu unterrichten, was die Leute wollen: Sacadas, Voleos, Ganchos - und das Ganze in zehn Stunden.

Ich habe selbst die ganze Chose mitgemacht, habe in Berlin bei schätzungsweise zehn Tangolehrern Unterricht genommen, habe auch an Workshops von Tangolehrern aus der ganzen Bundesrepublik teilgenommen. Keiner, wirklich keiner hat jemals auch nur eine Stunde abgezwackt, um die Grundphilosophie des Tanzes nahezubringen. Und ich finde, genau das merkt man den meisten Tänzern auf der Tanzfläche an. Es wird Figur an Figur aneinandergereiht, mit den Armen gerudert, in den Oberkörpern abgeknickt - und jedesmal denkt man: gut gelernt und doch nicht den Tango verstanden.......

Auch wenn es hier jetzt so klingen könnte, liegt es mir fern, den Besserwisser raushängen zu lassen. Ich habe auch keine Lösung parat, wie man den Spagat zwischen Tangophilosophie und Figurenvielfalt den Leuten besser nahebringen kann. Ich weiß auch nicht, ob es wirklich wichtig ist, Tangopurist zu sein, denn ich denke, in erster Linie zählt der Spaß und die Freude auf der Tanzfläche. Meiner Meinung nach muss sich jeder selber vor Augen führen, was er vom Tango will. Auch eine Frau, die drei Stunden auf einer Milonga sitzt und dabei nur zu drei Tänzen aufgefordert wird, wird einen Grund haben, sich genau das anzutun. Denn wahrscheinlich sind es genau die drei Tänze, die den Abend zu einem besonderen Erlebnis machen - und sie sind gewichtiger als alle Warterei dafür. So zumindest meine Vermutung.....

Auch wenn Du 1000fach meinen Beifall zu Deinen Ausführungen zum Neotango erhältst, werden wir es beide nicht ändern können, dass beim Neotango die Tanzflächen zu einem Auto-Scooter-Kurs wie auf Jahrmärkten mutieren, in dem ohne Rücksicht auf Verluste die Egozentrik jedes Einzelnen erbarmungslos ausgetanzt wird. Aber soll man deswegen jetzt keinen Neotango mehr auf Milongas spielen ? Jeder hat die Wahl, sich einen Drink zu holen, wenn es zu nervig wird....

Auch ich habe schon zehnfach daran gedacht, dem Tango den Rücken zu kehren - aus verschiedensten Gründen. Aber ich komme nicht wirklich davon los, denn hat sich erst einmal der Virus "Tango Argentino" im Inneren implementiert, ist man hoffnungslos verfallen. Und bei aller Kritik an den (Fehl-)Entwicklungen und (Un-)Sitten, die Du so schön beschrieben hast und die ich zu 90% auch mit Dir teile, sind es doch gerade die kleinen Hoffnungsschimmer, die uns immer wieder die Freuden am Tango zurückgeben.

Ich hatte zum Beispiel kürzlich mal das Glück, einen Abend im Club Gricel in Buenos Aires zu tanzen. Die Tanzfläche voll, wie ich sie kaum einmal in meinem mittlerweile siebenjährigen Tangoleben erlebt habe. Und trotzdem war es ein Genuss, dort zu tanzen. Denn die Zurückhaltung der Tangueros und die gleichzeitig bewundernswerte Ästhetik der Tänze waren es, die diesen Abend zum Genuss machte. Nirgends wurde gerempelt - und trotzdem konnte jeder auf einer minimalen Fläche die ganze Bandbreite an Musikalität zum Ausdruck bringen. Das sind die kleinen Highlights, die den Tango dann doch immer wieder dahin zurückbringen, wo er herkommt, nämlich in eine Einheit zweier Körper im Einklang mit der Musik. Mich hat der Abend im Gricel einen neuen Blick auf den Tango richten lassen - und auch wenn es utopisch ist, so wünsche ich mir von diesem "Spirit" einen Beitrag für deutsche Tanzflächen.

So, jetzt habe ich für heute genug geschrieben. Ich weiß, dass ich mit meinen Gedanken auch keine Lösungen zu Deinen Streitpunkten parat habe und ich weiß, dass ich mit meinen Ansichten erst recht nicht den Tango verändern werde, aber trotzdem war es mir wert, zu skizzieren, was mir der Tango bedeutet - auch bei allem Unmut, den ich hin und wieder mit ihm habe.

Ich denke, jeder hier wird Dir in Deinen Kritikpunkten beipflichten. Aber ich denke auch, dass alle Kritikpunkte sekundär sind, denn das alles entscheidende Kriterium, warum wir alle Tango tanzen, ist doch: wir sind Tangobesessene geworden. Sonst würden wir uns doch nicht alles antun, was dazugehört, um den Tango zu erlernen und zu tanzen *lacht*.

In diesem Sinne allen hier schönste Tangos

André
********otic Frau
164 Beiträge
zHart
Uli, ich stimme Dir voll zu!

Und dann sind da noch die dekorativen Damen, die sehr gut tanzen - und die meisten Männer tanzen nicht mit ihnen, weil sie lieber mit Anfängerinnen tanzen. Warum? Da werden sie bewundert und befürchten nicht, dass ihr immer gleiches Einerlei erkannt wird. Sie sind sich ihrer Mäßigkeit oft sehr bewusst und wollen nicht, dass es eine Sie merkt. Sehr viele Tänzer bleiben in einem recht niedrigen Anfängerniveau hängen und lernen nichts mehr dazu. Das ist natürlich jedem überlassen...

Selbst berufene Tangolehrer tanzen ausschließlich mit Schülerinnen, die sie sexuell erobern wollen oder die bei ihnen Privatstunden nehmen oder beides. Sie sind sich jedoch bei weitem zu schade, mit der Mehrheit der lokalen Szene zu tanzen.

Ich sollte wirklich auch die Männerrolle lernen! Ich geh oft nicht mehr zum Tango, nur weil ich zu lange und zu oft rumsitze. Frust pur.

Schöne Tänze, Sandy
***ou Mann
107 Beiträge
Plädoayer für die Vielfalt oder jeder Jeck is anders...
Hallo Gemeinde, hallo ZHart,
als eifriger Milongagänger und bekennder Tango-Fusion-Fan komm ich nicht umhin meine unbedeutende Meinung zu diesem Thema abzugeben.

Ich finde es furchtbar anderen Leute vorzuschreiben was ihnen Freude macht. Tango ist für mich Hobby und dient der spannenden Entspannung. Es geht um Vergnügen. Da spielt für mich vor allem der Wohlfühlfaktor ein Rolle. Zumindest in München und Stuttgart ist die Zahl der Milonga Angebote so riesig, dass sich das Publikum entsprechend über die Veranstaltungen sortiert. Neben den Traditionalisten gibt es eben auch die Neotangofraktion, etc.. Jedem das Seine.

Höflichkeit und respektvolle Bewegung auf der Tanzfläche hat in meinen Augen rein gar nichts mit dem Musikgeschmack oder dem tänzerischen Talent zu tun. Es gibt sehr gut angezogene Rüpel die meinen auf einer vollen Fläche ohne wilde Drehungen und Boleos nicht auszukommen. Schade. Ebenso gibt es sehr gefühlvolle Tangueros, die einfach Lust auf ne sportliche Runde Fusion haben und dabei ihre feine klassische Technik in zerissenen Jeans zur Anwendung bringen. Ich finde pauschale Aussagen einfach unsinnig.

Jeder weiß doch in seinem Umfeld wer die bösen und rücksichtslosen Tänzer sind. Das liegt in den seltensten Fällen an der Cargohose sondern immer an der Person die drin steckt.

Ich für meinen Teil genieße die Schrammelmukke genauso wie ein schönes Stück von Bajofondo. Alles zu seiner Zeit. Die schönsten Milongas sind in meinen Augen die, bei denen es eine unnachahmliche Mischung aus verschiedenen Richtungen gibt und der DJ die Stimmung mit seiner Auswahl unterstützt und lenkt. Weg von der mp3-Playlist mit den immer gleichen Arienzos und Sosas. Hin zu einem Rausch für die Sinne und Ohren. Passende und spannende Übergänge, einfach ein gekonnter Griff in die musikalische Vielfalt.

Positivbeispiele sind für mich das Münchner Lachdach oder die Montagsmilonga im Dalia in Stuttgart. Ebenfalls in München bei Laura und Ulrich findet man nun zwei Floors mit unterschiedlicher Musik. Das ist einfach toll!

Was nun das Verteilen der Körbe angeht führe ich das auch sehr individuell auf die jeweilige Person zurück. Ich kann gut verstehen wenn Frauen nicht mit jedem Tänzer tanzen wollen. Das ist ihr gutes Recht. Niemand sollte zu irgendetwas gezwungen werden. Der Auffordernde kann ja dann seine ganz persönlichen Schlüsse ziehen.

Seien wir doch ehrlich. Es ist einfach auch ein Markt. Der Eitelkeiten, der Befindlichkeiten etc.. Hübsche und gute Tänzerinnen haben es sicher am einfachsten. Es gibt aber auch sehr schöne Tänze mit Anfängern und furchtbar häßlichen Frauen die einfach super toll Tango tanzen und einem ein wahnsinniges Gefühl geben. Zugegeben ich überspitze das etwas. *zwinker*

Spannung und Gefühl können auch entstehen wenn jemand noch nicht 300 Kurse und Workshops besucht hat. Gerade die Individualität des Tanzes und der Tänzerin macht doch den Reiz aus. Die Begegnung, das sich aufeinander einstellen. Jeder Tanz ist anders, jede Tänzerin ein Individuum. Das reklamieren wir Männer doch auch für uns.

Abhilfe aus der Passivität der Frau und eine Belebung des Wettbewerbs schafft doch nur ein gelockerter Umgang mit auffordernden Frauen. Pfui ruft nun der Traditionalist, das geht ja gar nicht! Aber sich beschweren, über die leidenden Masochistinnen. Sind wir denn um 21 Jahrhundert oder nicht. Wollen wir Gleichberechtigung oder nicht. Auch hierzu finden wir vermutlich ähnlich viel Meinungen wie Menschen.

Für mich ist dort die Grenze erreicht wo Menschen in Namen der Sache als Gralshüter auftreten und für sich in Anspruch nehmen den Tango richtig zu interpretieren. Sowohl als Milonguero wie auch als Tanguero. Tango gehört allen! Wem andere Tangueros nicht passen muss eben seine eigene Milonga aufmachen und kann dann sein Hausrecht in Stellung bringen. Vielfalt belebt die Szene.

Die Vielfalt findet sich natürlich auch bei den Lehrern wieder. Auch mir sind die selbsternannten Experten ein Graus. Aber letztlich wirkt doch der Markt. Wer Tango lernt, tut diese über die Jahre bei vielen Lehrern. Was zu einer Zeit richtig sein mag, wirkt Jahre später vielleicht grotesk. Da es nicht "den" Tango gibt gibt es auch nicht den Lehrer. Jeder muss für sich herausfinden was zu ihm paßt und was ihm gefällt. Jeder Mensch lernt anders und versteht die Dinge auf seine unnachahmliche Art. Da gibt es glücklicherweise keine Liturgie und höchstens selbsternannte Hohepriester. Wer auf die hört ist selbst Schuld.

Ich glaub der Mensch hat genug Intelligenz um die Guten von den Schlechten zu unterscheiden. Wer ernsthaft tanzt wird sehr schnell begreifen, das Neotango nicht ohne Tango geht und dann das versäumte schnell nachholen wollen.

Für mich persönlich war eine Tangofusion Veranstaltung der Schlüssel zum Tango. Die schönen Frauen in ihren hinreißenden Kleidern, die flotte groovige Musik und die harmonischen Bewegungen der Paare - eine Offenbarung. Jeder von uns hat doch auf seine Art zum Tango gefunden.

Wie es weitergeht ist reine Spekulation. Am wichtigsten ist doch, daß wir Freude am Tanz und aneinander haben. Ob sich langfristig die Dogmatiker oder die jungen Wilden durchsetzten interessiert keinen.

Gutes Benehmen ist eine Tugend und Geschmack sicher auch. Wer sich und seine Werte über die anderer stellt sollte sich zuerst selbst fragen ob das wirklich opportun ist.

Es lebe die Vielfalt!

Just my few cents
Tilou
***rt Mann
941 Beiträge
Themenersteller 
@ ALLE
Ich finde es klasse, daß es schon jetzt zu einer Diskussion und einem leidenschaftlichen Austausch kommt!

Ich möchte alle LESER ermutigen, sich bitte selbst AKTIV an der Diskussion zu beteiligen!

Traut Euch! *zwinker*

Ich selbst werde die weitere Debatte noch ein bischen abwarten, bevor ich mich wieder einmische und auch gerne Klarstellungen nachzureichen, auf Unterstellungen eingehe etc.

Lebe Grüße - Ulli
Ulli, ich kann da nicht diskutieren
sondern Dir nur zustimmen. In Berlin ist es (das kann ich als Eingeborener wohl sagen) besonders schlimm. Die comunidad de tango sollte sich mal ein paar Sachen von der Swingscene abgucken: Da tanzen auch die Cracks mit Beginners. Arroganz und Rücksichtslosigkeit gibt es dort aber leider auch.

Allerdings ist es woanders auch nicht viel besser: In Baires können sich Morochas und Negritas den ganzen Abend zusaufen, weil sie nicht aufgefordert werden. Rubias, vielleicht noch con tetas grandes - ¿sabés? - kommen dagegen kaum dazu eine Pause einzulegen.
Der einzige Punkt...
...bei dem ich anderer Meinung bin als Du, Ulli, ist die Kleidung. Zwar kleide ich mich selbst eher "klassisch" und ich empfinde die "Weitehosenmode" der Neotangueros als unschön, aber ich sehe erstmal keinen Zusammenhang zwischen der Kleidung, eventueller Ungepflegtheit und Unhöflichkeit bei anderen Tänzern. Soll doch jeder tragen, was er will, von mir aus auch nix.
nur ganz kurz...
...vom vollen Schreibtisch geschrieben:

Du hast sicherlich mit vielen Dingen völlig recht.

Aber ich denke, dass der Tango - ebenso wie alles im Leben - Veränderungen durchläuft. Es gibt kurzfristige Veränderungen, langfristige Veränderungen, Trends, etc. Jede Neuerung hat auch ihre Reize, und es ist doch interessant, sich Neuerungen anzusehen, sie zumindest auf Zeit auch mal zu leben. Und dann gibt es halt "Versuchende", denen das Neue besser gefällt, und es gibt welche, denen das Vorherige besser gefällt.

Du scheinst einen für meinen Geschmack zu absolutistischen Standpunkt zu vertreten. Ich denke, wir sollten liberaler sein. Auch wenn dabei Entwicklungen zum Vorschein treten, die wir nicht mögen.

Und heute Abend beim Tanzen in jedem Fall ein Vorbild leben ;o)
@André
Du hast mir die Wörter von der Tastatur genommen ;o)

Carsten
***rt Mann
941 Beiträge
Themenersteller 
Ich freue mich SEHR über Eure leidenschaftlichen Stellungnahmen!

Das ist es ja gerade, was Tango immer ausgemacht hat: Vielfalt und "Leben und Leben lassen"!

Das möchte ich keinesfalls ändern!

Ich überzeichne, karikiere gern, denn das fordert oft zum Widerspruch heraus! Ich habe gar nichts gegen z. B. "Neotango". Aber es ist eine Frage des "Wann" und "Wo"! Dazu wäre es aber ZWINGEND erforderlich, Tango tanzen zu können, um ggf. umschalten zu können.

Merke: Wer NUR Neo kann ist schlechter dran!

Und es dürfte doch klar sein, daß es mir eigentlich herzlich egal ist, was andere Männer tragen, oder!?
Es ist nur so, daß ich da einen gewissen Zusammenhang sehe, zwischen unangemessener Kleidung und entsprechendem Verhalten. ICH WEISS, DASS ES NICHT IMMER SO IST!

Und ich finde, daß die Männer dem Bemühen der Frauen mehrheitlich nicht entsprechen, es den Frauen aber MEINER MEINUNG nach schulden. Ich finde es gewissermaßen unhöflich bis respektlos. (Wenn auch hier die Ausnahme die Regel bestätigt.)
Und ja: Da bin ich konservativ! Gern sogar.

Ist es nicht so, daß man sich zu besonderen Anlässen auch besonders -sprich anders als auf der Straße- kleidet? Gibt es dem Ganzen nicht einen würdigeren, stilvolleren Rahmen?

Passt Cargohose mit Schlabbershirt wirklich gut neben eine Frau im eleganten Kleid? Im Ernst? Ich finde das nicht.

Es ist einfach so, daß ich in der Gesamtheit dieser Dinge eine Rückentwicklung sehe, eine Veränderung, die nicht positiv, sondern eher negativ ist.

Ich möchte nicht, damit sagen, daß "Neotango" des Teufels ist und eliminiert gehört, sondern ich bemängele DIE NEGATIVEN FOLGEN auf der Tanzfläche: Rücksichtslosigkeit, Chaos durch Zerstörung der Tanzrichtung und oftmals die Zunahme schlechten Benehmens, auch jenseits des Tanzes. (Beispiel: Entschuldigungen sind eher selten, auch wenn man GENAU weiß, daß man gerade in andere Paare reingerauscht ist!)

Gerade diejenigen, welche lauthals "Liberalität", "Freiheit" und "Toleranz" gegenüber anderen ins Feld führen, zeigen zu oft eigenem Mangel genau daran!

(Es erinnert mich an die leidige Debatte der Raucher, welche Toleranz und Freiheit fordern und sich zu lange nicht um die Gesundheit und das Befinden der Nichtraucher gekümmert haben.)

Ein Verfall der Sitten in der Gesellschaft, Kompagnon der Erosion der Moral als Ausdruck dieser gesellschaftlichen Entwicklung auf der Tanzfläche?

Kann sein...

Das Ergebnis ist diese "Jeder darf alles machen und niemand hat das Recht das zu kritisieren" -Einstellung.
Falsch verstandene Freiheit des Einzelnen führt zur unbotmäßigen Beschneidung der Freiheit anderer. Und genau DAS wird sehr gerne und oft übersehen und in Diskussionen geflissentlich unterschlagen.

Das ist meine persönliche Meinung! Und dafür stehe ich ein.

Ich weiß doch, daß es nicht oportun ist, sich so zu äußern! Immer auf der mittleren Spur fahren und lauwarm duschen macht weniger Ärger. Bloß nicht anecken? Ich bin anders. Und ich finde, daß zu wenige Leute sich öffentlich beklagen, über Dinge die sie auch nerven.

Und zu den reflexhaften Vorwürfen an mich:

"Gralshüter"-----"Ich finde es furchtbar anderen Leute vorzuschreiben was ihnen Freude macht"-----"Wer sich und seine Werte über die anderer stellt sollte sich zuerst selbst fragen ob das wirklich opportun ist.

Bitte vergesst nicht, daß ich schrieb, daß ich absichtlich überzeichne! Und ich stelle meine Werte nicht über die anderer. Aber ich tue das SEHR WOHL dann, wenn diese "Anderen" sich rücksichtslos verhalten und den Spaß der anderen beschneiden!
Wenn ich mal André zitieren darf:
dass beim Neotango die Tanzflächen zu einem Auto-Scooter-Kurs wie auf Jahrmärkten mutieren, in dem ohne Rücksicht auf Verluste die Egozentrik jedes Einzelnen erbarmungslos ausgetanzt wird

Das ist doch keine Einbildung, oder?

Ich hoffe auf noch viel weitere Diskussion!

Liebe Grüße

Ulli
********otic Frau
164 Beiträge
Kleidung...
ist aus meiner Sicht nicht das größere Problem, sondern leider diese Cliquenbildung beim Tango in mitteleuropäischen Szenen - oder sagen wir ruhig, der deutschen Szene.

Wenn ich mich in Italien oder Spanien oder Miami auf einer Milonga befinde, dann werde ich mir aus der Hand gerissen und kann kaum mal mein Wasser trinken. In Deutschland aber ist es ein Drama, aufgefordert zu werden - von einem vollen Saal gibt es zwar einige, die schauen, aber nur ganz wenige, die wirklich auffordern. Leider sind diese Herren dann oft äußerst ungepflegt. Umweltverschmutzung geruchlicher Art.

Ganz schwierig ist es, Männer inititativ aufzufordern... meist gibt es ganz offensichtlich höchst dumme Ausreden oder schlicht "NEIN", insbesondere wenn sich die Herren als Tangolehrer in die Brust werfen.

In BsAs habe ich 3 Wochen mit den über 70jährigen tanzen müssen, bis ich mich qualifiziert hatte, die 25jährigen Wilden ab zu bekommen... das war dann allerdings auch so, dass sie einem ihre Argumente in die Weichteile drückten... Kompliment?!! hahahha....
Vielleicht eine Frage ...
... des Stils.
Nun machen Kleider nicht nur Leute, sondern die Leute auch Kleider und Tango. Im Gegensatz zu dem, was einige hierzu meinen, scheint sehr wohl ein Zusammenhang erkennbar zu sein. Natürlich kann jeder tragen, was er will ... aber Ulli hat auf einen wesentlichen Gesichtspunkt hingewiesen, und dies könnte der Respekt sein. Nicht nur gegenüber den Frauen, sondern auch gegenüber dem Tango. Der Tango war und ist, auch wenn er nicht still steht. Es ist schon sonderbar, dass oftmals die tangueras den Tango stilvoll und mit angemessener Bekleidung willkommen heißen und manche Herren gerade nicht. Herren deshalb, weil sie womöglich keine tangueros sind. Ich frage mich manchmal, ob es eine falsch verstandene männliche Emanzipation ist, die nicht verstanden hat und kann. Sie sehen möglicherweise nur sich. Dann ist die Kleidung auch völlig wurscht. Sollte dies so sein, sind sie vielleicht beim Tango überhaupt nicht angekommen, sondern lediglich in diese sie neugierig machende Welt auf der Suche eingebrochen. Dabei müssen nur die Augen geöffnet, sich umgeschaut und wahrgenommen werden, um zu sehen. Das Spiegelbild aber fällt nur zurück und verschließt die Sicht.

Im Haus der Sinne kann ich mich an ein amüsantes Erlebnis mit einem glatzköpfig rasierten Herren in Turnpuschen und zerschlissenen Hosen erinnern. Alles, was nach tanguera aussah, wurde betanzt. Ist ja grundsätzlich prima. Nur auf der Tanzfläche sah man in seinen Armen keine tanguera, sondern nur noch einen im Takt pfeifenden kahlgeschorenen – was weiß ich -, der wieder etwas in der Hand hatte, um vielleicht zu erzwingen, was nicht vergönnt war und ständig an sich herunter schaute und seine Bewegungen bewundernd beäugte.

Übrigens, wenn er die Damen entließ – und oftmals nicht an den Tisch zurückgeleitete – durfte man etwas wahrnehmen, was einige Zeit verborgen war. Eine tanguera, die viele Augen auf sich zog und nun ihre Blicke durch den Raum schweifen ließ ... auf der Suche nach Respekt.

Nachdenklicher Cabal *gruebel*
Tango mit Herz!
Lieber zHart,

ich finde deine "Streitschrift" bemerkenswert und sie spricht mir aus der Seele. Ich bin noch nicht so lange beim Tango, aber mir sind deine Kritikpunkte auch schon aufgefallen.

Es geht vielen Männern nicht darum, ein inniges Erlebnis mit einem anderen Menschen zu haben, sondern sich auf der Tanzfläche zu profilieren und allen Umstehenden zu zeigen, wie toll sie sind. Dadurch ist der Fokus mehr auf das außen gerichtet und nicht so sehr auf die Wahrnehmung der Partnerin. Ich unterrichte Feldenkrais und tanze Ballett, kreativen Ausdruckstanz und andere Tanzformen, seit ich 14 bin und kenne mich deshalb recht gut mit Bewegung aus und kann auch spüren, wenn der andere mich spürt ... oder wenn er mit der Aufmerksamkeit nur bei sich selbst bleibt.

Leider vermisse ich auch genau das was du geschrieben hast: eine freundschaftliche Community, die auch Anfängerninnen gegenüber offen ist und die mehr Wert legt auf eine menschliche Begegnung als auf einen allseits bewunderten Neotango Showtanz. Ich habe Männer erlebt, die mir während des gesamten Tanzes versucht haben Privatunterricht zu geben, um mir zu zeigen, was ich noch nicht kann - anstatt sich auf mich einzustellen und mit mir die Schritte zu tanzen, die ich beherrsche. Viele Männer tanzen immer mit den gleichen Frauen, die sie halt schon länger kennen und die eben sehr gut tanzen.

Auf einer Milonga zu sitzen und nicht aufgefordert zu werden ist leider nicht besonders angenehm und da sind auch 1 oder 2 Tänze kein "besonderes" Highlight, auf das man den ganzen Abend wartet.

Aber da ich natürlich immer auch für mein eigenes Glück verantwortlich bin, habe ich mir 2 Taktiken ausgedacht, die sich bewährt haben. Zum einen verabrede ich mich meistens mit einem festen Herren für eine Milonga. Das heißt nicht, dass man den ganzen Abend aufeinanderhängt, aber zumindest gibt es einen backup, wenn mal kein anderer Tänzer auftaucht.

Und dann hab ich angefangen einfach selbst aufzufordern. Wieso soll ich immer darauf warten, bis mich jemand auffordert, den ich vielleicht noch nicht mal mag? Selbst ist die Frau! Die netten Jungs sind jetzt nicht mehr vor mir sicher und die Reaktion war bisher eigentlich immer positiv.

Lieber Gruß von
Sarah
Jedem Tierchen sein Pläsierchen!
Dazu fällt mir eine Äußerung ein, die ich vor Jahren irgendwo von einer Frau gehört habe

Dadurch ist der Fokus mehr auf das außen gerichtet und nicht so sehr auf die Wahrnehmung der Partnerin

Sie sagte:
"Sieht toll aus und fühlt sich sch...e an und sieht sch...e aus und fühlt sich toll an". *gruebel* Anscheinend der Ausdruck praktischer Erfahrungen. *nixweiss*

Besser scheint es aber zu sein, dass es sich toll anfühlt und auch so aussieht. Ungeachtet dessen kann diese oftmals wahrzunehmende Profilierungssucht schon anöden.

LG
Cabal *zwinker*
******_bw Mann
240 Beiträge
Diesen Beitrag habe ich das erste Mal gelesen, als wenige Stunden zuvor eine Tänzerin ihren Achselschweiß auf meinem Hemd gelassen hat *panik* und mich über meine Toleranzgrenzen neu nachdenken ließ.

Mittlerweile ist hier vieles gesagt:
O mores, o tempores! (Welch Zeiten, welch Sitten)*oh*
Die Entwicklung des Tango. Sie verläuft ähnliche wie in anderen Kunstrichtungen. Weg vom Vertrauten, hin zu neuen Ufern. Es gibt Jahre, in denen alles im Stillstand erscheint und dynamische Jahre. Welch Skandal waren einst Sergej P. Djagilew und sein russisches Ballett. Der Aufschrei, als die Expressionisten ihre Bilder veröffentlichten. Die Anfeindungen, die J.S. Bach über sein Weihnachtsoratorium anhören musste. Um nur beliebige Beispiele zu nennen. Und um beim letzten zu bleiben, J.S. Bach bleibt unübertroffen, und ich gehe sehr gerne in Konzerte von z.B. Arvo Pärt oder anderen lebenden Komponisten und bin dort erfüllt.

Tangomusik ändert sich. Immer und immer wieder. Zum Glück gab es Astor Piazzolla. Zum Glück gibt es immer wieder Musiker, die nicht danach fragen, wie ihre Musikrichtung heißt sondern die gerne Musik machen. Mit dem Hintergrund und den Möglichkeiten, die sie haben. Persönlichkeit, Bildung, Prägung, Erfolg, Chancen ... Die Musik, jede Kunstrichtung steht in Zusammenhang mit dem Zeitgeist, dem jeweiligen. Manche überzeugen, manche setzen sich durch, viele Eintagsfliegen werden rasch vergessen. Heute und angeblich auch schon in den goldenen Jahren des Tango. Und Genies nehmen den späteren Zeitgeist auch schon mal vorweg. Die Zukunft wird über die Gegenwart urteilen. Dass der Zeitgeist auch im Tango vielfältig ist wurde gesagt. Der Zerfall in all den Indidualismus.

Was mir auffällt, neben dem schon Gesagten: Die Musik, all die neue wird einfach gerne gehört. Als Tänzer kann ich ohne sie leben, mit ihr tanze ich gerne länger. Auch meine Tänzerinnen. Ob Fusiontango, ob Non-Tango, es wirkt aufputschend. Temperamentvermehrend. Intensivitätsvermehrend. *gg*
Veranstalter merken, dass ihr Haus voller wird oder bleibt, wenn nicht nur klassisches aufgelegt wird. Die meisten wollen ein volles Haus haben, dies bringt die Bestätigung und die nötige Kassenfüllung. Und, ich will keinen historischen Tanz tanzen, so wie anno dazumal. Mein Tango findet jetzt und hier statt, und ich bin hier in Mitteleuropa mit meiner Biografie, mit meiner Prägung, auch der medialen, mit meinen Bedürfnissen. Und die Musik, die ich einen langen Abend tanze, muss damit etwas zu tun haben.

Der Tanz: Fällt es mir noch einigermaßen leicht, zu guter(!) Musik der 30/40er zu tanzen, so sehr versage ich tänzerisch bei neuer Musik. Ich rette mich auf vertraute Bewegungen zurück oder lasse den Gaul in mir durchgehen. Das geht übrigens auch in guter, sensibler Beziehung zur Partnerin und zur Tanzfläche. Ich spüre schon, wie sehr mir die starke Energie von Otros Aires gut tut, sie findet aber nicht den ebenbürtigen Weg in die Bewegung. Ein Weg liegt vor mir.

Aber nicht nur vor mir.
Die Katastrophentänzer, die Terminatoren gibt es in vielen Orten. Das Verteilen von Brunftdüften mag eine Ursache sein. Das nächste, dass sie immer wieder bestätigt werden. *tomaten*
Das Missverstehen von der Idee von Tanzfläche das nächste. Dann fallen mir die Tanzlehrer, und die ach so oft in B.A. gewesenen auf, die Killerschritte gehen (rückwärts, nach rechts) ohne zu schauen; die eine cortina durchtanzen, die sie in B.A. und in Gesprächen so toll fanden. Ich verstehe es einfach nicht. Genauso wenig ich die 'Gralshüter' verstehe, die bei Apocalyptica auf die Tanzfläche stürzen. Wenigstens kann ich mich dann amüsieren. *kopfklatsch*

Meine Schuldigen sind Tanzlehrer, die sich mal alles mit wahnsinnig viel Arbeit angeeignet, dann aber nicht gemerkt haben, dass ihr Publikum anders wird. Dass die Zeit anders wird. Wie wichtig die kleinen Zwischenbemerkungen sind. Die noch nicht gemerkt haben, dass man über Achtsamkeit reden und diese auch üben muss. Man muss auch erwachsenen, gebildeten Menschen heutzutage erklären, dass man nach der Toilette die Hände wäscht, von anderen Hygiene und Pflegemaßnahmen abgesehen. Kann man ja im Kurs geschlechtsgetrennt machen, aber das gehört imho dazu.
Von den selbstgestrickten Tanzlehrern, die nach 3jähriger Tanzerfahrung unterrichten möchte ich gar nicht anfangen. Was ich beobachte, ist kurzfristige Befriedigung von Kunden.

Meine Schuldigen sind Djs, die ihre Playlists vom laptop abnudeln oder ihre Augen auf dem Bildschirm statt auf der Tanzfläche haben. Der DJ kann unglaublich viel auf der Tanzfläche gestalten, wenn er diese einfach im Auge behält. Er kann sie anpeitschen und beruhigen, beschleunigen und besänftigen, füllen oder leeren. Das hat nichts mit 10000 Titeln auf der Festplatte zu tun, sondern mit Einfühlung, Kontakt, Zuhören...

Mein Ausblick:
Ich unterrichte Feldenkrais und tanze Ballett, kreativen Ausdruckstanz und andere Tanzformen, seit ich 14 bin und kenne mich deshalb recht gut mit Bewegung aus und kann auch spüren, wenn der andere mich spürt.
Dem ist ja nichts hinzufügen.
Tanzlehrer, beschäftigt euch mit der Funktion des Körpers, mit der Systematik von Bewegungen, all den Zusammenhängen!
Ich selbst habe die größten Fortschritte gemacht, seit ich keinen Tangoworkshop mehr mache, dafür regelmäßig Feldenkrais. Gut, das ist mein persönliches Ding.

Ja, es gibt sie, die Lehrer, die selber forschen, wie sich Musik und Bewegung verbinden lassen. Die nicht kopieren, was andere vorgekaut haben. So, dass es halt stimmig ist.

Ausblick2:
Transparenz.
Als Forderung an Lehrer und Veranstalter. Macht euch selber klar, was ihr könnt und anbietet und kommuniziert dies möglichst exakt. Sucht nicht nach vielen Kunden, sondern nach denen, die zu euch passen. So schwierig das sein mag. Lasst nicht zu, dass Zustände wie in B.A. entstehen, wo die Amateurlehrer sich angeblich vermehren wie die Karnickel. Arbeitet langfristig und kommuniziert das. Bietet Schnupperstunden an, wo man euren Unterrichtsstil kennen lernen kann.

..."Frauen, die lange sitzen"...
Wieder andere erlernen die Führungsrolle und tanzen lieber "als Mann", denn gar nicht.
Das halte ich für eine gelungene Reaktion, von einer Ausgangssituation ausgehend Neues zu gestalten.

.."Hygiene bei Tänzern"....
Ich bin irgendwann dazu übergegangen, in Kursen, Prácticas und Milongas immer Pfefferminz, Lakritz etc. zur freien Verfügung hinzustellen...
Vorbildhaft!

... "unflätiges Verhalten auf der Piste"...
Das führte dann zu besagten Tumulten, weil die übrigen Paare sich das nict bieten ließen und der Organisator die "Neos" rausschmiß, weil sie sich weigerten, bitte anders zu tanzen. (Oder nicht anders konnten?)
Such mal den Veranstalter hierzulande, der sich das traut!

Ist Tango doch kein "trauriger Gedanke, den man tanzen kann" sondern "cool" und purer Spaß nach Musik?
...
Worin liegt eigentlich der Reiz, zwar Tango tanzen zu wollen, aber dazu weitgehend jede Musik zu benutzen, außer Tango, solange nur "der Rhythmus nicht weiter stört" bzw. er nur langsam genug ist?
Es gibt Veranstaltungen, die sind eher Tangoparty. Gut, wenn man's vorher weiß, was immer sich daraus einmal entwickelt. Ärgerlich, wenn der Veranstalter das als Milonga ankündigt.

Respekt. Rücksicht. Richtung. Achtung. Vorsicht. Einfühlungsvermögen.
Hänge ich künftig an die Toilettenspiegel der von mir besuchten Milongas!

Positivbeispiele sind für mich das Münchner Lachdach
Für was positiv? Für ein einst innovatives musikalisches Konzept, das sich seit 3 Jahren nicht weiterentwickelt? Positiv, dass der Terminator sich, seine Partnerinnen und die Tanzfläche gefährdet, und zwar nicht das Tanzvergnügen sondern die körperliche Unversehrtheit. Hast du das gesehen, wie er einst ausgestreckt und hilflos auf der Tanzfläche lag? Positiv, dass sehr gute Tänzerinnen und hochattraktive Frauen wie blöd stundenlang an der Seite sitzen und nicht wissen, wie tief sie ihr Dekollete noch zupfen müssen um mal aufgefordert zu werden?

In BsAs habe ich 3 Wochen mit den über 70jährigen tanzen müssen, bis ich mich qualifiziert hatte, die 25jährigen Wilden ab zu bekommen... das war dann allerdings auch so, dass sie einem ihre Argumente in die Weichteile drückten... Kompliment?!! hahahha....
Warum warst du denn in B.A.? Um Erwartungen erfüllt zu bekommen? Um ein Bild zu leben?

Besser scheint es aber zu sein, dass es sich toll anfühlt und auch so aussieht.
Es sieht toll aus, wenn es sich gut anfühlt. Definitiv! Es lohnt sich daran zu arbeiten. Aber vielleicht entspricht es nicht dem tollen Bild, das du hast, oder dein Partner. Das ist dann allerdings nicht ein Problem des Tanzens....
******_bw Mann
240 Beiträge
Jute Jüte
Au jeh,
sind das viele cm geworden. Dann dank ich mal denen, die obiges tatsächlich durchlesen,
Und danke zhart für den Impulsstart hier. *danke*
***rt Mann
941 Beiträge
Themenersteller 
@ brujo:
*bravo* *spitze* *top2*
*******8_zh Mann
20 Beiträge
Zuviel des Guten...
... ist vielleicht auch nicht schlecht. Jetzt habe ich mich durchgelesen und fand ganz vieles ganz toll... aber etwas fehlt mir doch.
Ich war einer von denen die 1980 in Buenos Aires, während des Falklandkrieges, auf den Spuren des Tangos unterwegs war. Mein damaliger Tanzlehrer, Juan Andino, brachte mir zuerst bei quer durch den Raum zu gehen, mich hinzusetzen, eine Zigarette anzuzünden und sie wieder auszumachen, einen Blick hinter mich zu werfen und meine Hände nicht wild herumfuchteln zu lassen. Dann musste ich lernen wie ein Compadrito zu denken. Nicht einfach.

Danach arbeitete ich fast 10 Jahre in verschiedenenen Ländern als Tangolehrer und Choreograf bis ich 1995 ganz aufhörte mit der komerziellen Tanzerei und es heute noch als Hobby betreibe.

Ein Grund für mich aufzuhören war die Erkenntniss das ich auch mit Schnurrbart und Nadelstreifenhosen kein Porteño bin.

Als Mitglied der Generation welche in den männlichen Grundfesten erschüttert wurde durch die berechtigten Anliegen der Frauen fand ich in der klaren Haltung der Compadres einen Zugang zur eigenen Männeridentität. Ja es gibt einen positiven Machismo und der ist im Tango fest verankert.

Juan Andino sagte: Tango ist gehen und zusammen Musik hören.
Meiner Meinung nach hat er recht. Die Schulen des "Argentinischen Tangos" in Europa sind mit wenigen Ausnahmen keine. Feste Schrittabfolgen und choreographierte Figuren sind "Neotango". Der Standardtango ist der Versuch das "Reptil" zu zähmen. Ist meiner Meinung nach der Schritt in die Richtung - sehr europäisch - der Sinnlichkeit ein Kleid zu verpassen. Die Seele des Tangos ist auch im Walzer (wer liebt ihn nicht den "Loco"), in der Musette, im Fado, praktisch in jedem Paartanz zu finden. Ein Heterotanz. Ein Paartanz.
Und das ist das Schöne daran. Ob nun ein Gymnasiastenpäärchen im langsamen Blues versinkt oder Klärchen und Peter sich beim Slow Fox näherkommen... Hauptsache... darum geht es doch... zusammen tanzen!
Der "neueuropaische" Tango wird wieder verschwinden (auch wenn er sich noch kräftig an Troilo und Rudolfo Biagi klammert) das Tanzen und dabei träumen wird bleiben.
Ueberall... und wenn man es Tango nennen will darf man das... im Badeanzug oder in Uniform ist wurscht.

Liebe Grüsse, David
Man möchte nach ...
... dem Lesen der Streitschrift meinen, Tango sei ein Tanz, der von dem erzählt was man nicht hat und früher war alles besser.

Verändert hat sich aber nicht nur der Tanz selbst, sondern -leider- auch das Ambiente, die Umgangsformen auf (und jenseits) der Tanzfläche.

Dies ist nicht verwunderlich, wenn Menschen am Werk sind.

Es ist absolut üblich, daß eine Frau auf einer Milonga stundenlang herumsitzt, ohne, daß sie zum Tanzen aufgefordert wird...


Die gelebte egoistische Gesellschaft macht doch auch nicht auf einer Milonga halt und verändert ihr Gesicht. Mag es auch sein, dass eine praktizierte Solidarität innovativ und nachhaltig wirkt, gehört hierzu ein gewisses Maß an Erkenntnis. Ist dieses Phänomen vom Veranstalter erkannt worden, könnte er leicht für Abhilfe sorgen, wenn es ihm tatsächlich wichtig wäre. Immerhin sitzen Frauen nicht mehr stundenlang herum, wenn erkannt wird, dass sie aufgefordert werden und tanzen. Manchmal hat man den Eindruck, sie werden nur auf der Tanzfläche tatsächlich wahrgenommen. So könnte das im Eingangspost angesprochene Auswahlverfahren sehr wohl relativiert werden, wenn man denn wirklich will.


Wird eingangs die Frage aufgeworfen, ob Tango doch kein "trauriger Gedanke sei, den man tanzen kann" sondern "cool" und purer Spaß nach Musik ist, erscheint dies nicht ganz unberechtigt. Leidenschaft – egal in welche Richtung – wird auf den Milongas (aus) gelebt. Wirrungen und Fehlentwicklungen sind bereits oben angesprochen worden. Dabei ist der Tango, und dies wird m. E. nach oftmals falsch verstanden, nicht die Leidenschaft selbst, sondern die Zügelung der Leidenschaft.
gezügelte Leidenschaft
Lieber Cabal,

du hast da einen sehr interessanten Aspekt aufgeworfen

Dabei ist der Tango, und dies wird m. E. nach oftmals falsch verstanden, nicht die Leidenschaft selbst, sondern die Zügelung der Leidenschaft.

Darin liegt wahrscheinlich dieser besondere Reiz im Tango, dass einerseits eine sehr intime körperliche Nähe hergestellt wird und andererseits die daraus resultierenden Gefühle, auch die sexuelle Erregung nicht wirklich ausgelebt werden kann. Zumindest nicht auf der Tanzfläche. (Das wird sich allerdings nach dem Stuttgarter "Nackt Tango" entscheidend verändern *zwinker*

Ich hatte gestern Abend eine wunderschöne Begegnung mit einem Tänzer, mit dem sich gleich bei der ersten Berührung etwas magisches eingestellt hatte ... einfach in den Armen des anderen ruhen, sich nicht mehr loslassen wollen ... und mit dem ungestillten Verlangen völlig erfüllt alleine nach Hause zu gehn ... und sich auf das nächste Mal zu freuen. Das ist Tango!

Sarah
Etwa ...
... eine Begegnung der dritten Art, die nicht unheimlich ist, sondern sich nach Wiederholung sehnt? *nixweiss* Dann handelt es sich durchaus um ein positives Gefühl. Ist doch schön, Tango zu erleben. *zwinker*
******_bw Mann
240 Beiträge
Nicht auf der Tanzfläche... NOCH nicht...;-)
(Das wird sich allerdings nach dem Stuttgarter "Nackt Tango" entscheidend verändern
Noch 43 Tage! *rotfl*
Tango-Changes
Ulli,
Du sprichst auch mir überwiegend aus der Seele.
Angefangen vor 10 Jahren, u.a. bei Dir im La Yumba sehne ich mich zurück nach den Zeiten von rot-schwarz, dem Foyer des Schauspielhauses in purpurner Marmorpracht, den kleinen sauberen Figuren des Salonstils.

Nach ungefähr fünf Jahren mehr oder weniger Zwangspause finde ich eine völlig veränderte Szene vor:

Veränderter Kleidungsstil, erinnert mich an Fitnessstudios, veränderte Musik, Sound wie aus dem MP3player meiner Tochter, andere Figuren, die mich an meine alten Tanzschulzeiten erinnern, Rock and Roll, Salsa, was auch immer, ein wilder Mix, Hauptsache nicht zu eng, hauptsache Aussenschau, raumgreifend, teilweise akrobatisch - Chapeau!
Aber wo ist die Führung mit dem Herzen geblieben, statt dessen wildes Herumreissen am Fahrradlenker des Tanzgerätes weiblicher Natur, jedenfalls unter Anfängern, ätzend.

Ich breche die Lanze für Innigkeit, Berührung zweier Menschen zur Musik und in den Pausen zwischen den Tönen, sich auf einander Einlassen Wollen, unabhängig vom Niveau der persönlichen Tanzkünste, auch einfaches Gehen kann ein wahrer Genuss sein..
Volcadas sind eine Bereicherung, keine Frage, aber Neo- und Non und sonstwieTango, besser als kein Tango, aber nicht mein Favorite;-))

Oder um es noch anders auszudrücken - von der Kommerzialisierung und Profanisierung einer weiteren Kunst oder warum durch Fusiontango jeder möglichst schnell und sogar allein Tango tanzen kann, wie auf der Münchner Site propagiert - nicht mehr mein Tango...

Angele
Anmelden und mitreden
Du willst mitdiskutieren?
Werde kostenlos Mitglied, um mit anderen über heiße Themen zu diskutieren oder deine eigene Frage zu stellen.