Ich tanze
Standard/Latein auf tanzsportlicher Ebene, Salsa als Hobby und Tango als Lebensgefühl.
Zugegeben, mehrere Hobbys vereinfachen die Sache nicht; durch das immerwährende Hinzulernen ist das Merkvermögen sehr beansprucht. Es gibt viele die, wie berlindancer sagt, ihre Standardhaltung nicht aus dem Kopf bekommen. Aber das geht tatsächlich. Wenn ich zum Fitnesstraining gehe und ein Gewicht bewegen muss, muss ich auch an eine hierfür geeignete Haltung und Ausführung denken, um mich nicht zu verletzen. Mir käme nie der Gedanke "Tanzen" in den Sinn. Genauso muss man erlernen, im Kopf zu selektieren, wenn man zwischen Standardtanzen und Tango oder Lateintänzen und Latindance (Salsa & Co.) wechselt. Randbemerkung: Tango gehört eigentlich zu den lateinamerikanischen Tänzen, ist aber im Tanzsport und Gesellschaftstanz wegen seiner "geschlossenen" Tanzhaltung später den Standardtänzen zugeordnet worden, außerdem brauchte man je 4 Tänze (später 5) je Kategorie und widmete Tango um, als der Jive als Modetanz zu den lateinamerikanischen Tänzen hinzukam.
Probleme bereite mir eigentümlicherweisen meist nicht der Standard-Tango, dessen Eigentümlichkeit (besondere Haltung, Stakkato-Bewegung, gekurvte Vorwärtsbewegung) es einfach macht, ihn vom Tango-Argentino abzugrenzen und so aus dem Kopf zu verdrängen. Die gefühlvoller getanzten Slowfox und langsamer Walzer mit der von berlindancer bezeichneten Standardhaltung machten mir mehr Abgrenzungsschwierigkeiten. Die Arme bilden hier einen stabilen, leicht beweglichen "atmenden" Rahmen, über den die Frau geführt wird; die Bewegungsrichtung wird über die Schulter (Wahrung der Parallelität) bzw. die Dynamik bewirkt, die entsteht, wenn im Rahmen eine Lockerung bei Vorwärtsbewegung bzw. Rückwärtsbewegung des Körpers mit Nachführung des Rahmens durch den Mann erfolgt. Ferner ist hier das "Absenken" im einleitenden Vorschritt ein wichtiges Signal.
Beim argentinischen Tango spielt die Körperhaltung des Paares zueinander und auch die Höhe (nach unten gehen beim Start, nach oben kommen beim Stopp, mehr oder weniger aber nicht allzu subtil) ebenfalls eine Rolle. Aber im Standard ist darauf zu achten, dass ein ständiger Kontakt im Bereich der Hüften und des unteren Rippenbogens erhalten bleibt, im Tango-Argentino gibt es das nicht, ebenso gibt es keinen Rahmen, die von vieleln insbesondere im engen Stil präferierte Dreiecks- oder V-Form im Paar ist keine zwingende Haltungsnorm und der dadurch bestehende Körperkontakt vielleicht erotisch, aber kein explizites Führungselement (ich habe es so verstanden, lasse mich aber gern von erfahrenen Tangueros korrigieren). Die (kontaktlose) Zugewandtheit über den Solar-Plexus, das auch als Stern bezeichnete Nervenzentrum in der Brustmitte sichert hier das miteinander und nicht nebeneinander her Tanzen. Hierdurch entsteht, zumindest bei mir (und ich bin noch relativer Anfänger) das Tango-Gefühl und die Chance, mich von Standardprinzipien abzuwenden. Hüftkontakt ist durch die Neigung im Paar ausgeschlossen. Es erfordert anfangs bewusste Übung, denn ich kenne inzwischen mehrere Tänzer, die früher Standard getanz haben und jetzt gute Tangotänzer sind, sie haben das Frühere schlicht vergessen. Betreibt man beides parallel, ist es ständig erforderlich, die andere Tanzrichtung jeweils situativ zu "vergessen". Wie ich an anderer Stelle mal ähnlich angedeutet habe: Ein Berufskraftfahrer, der privat enen Porsche fährt, wird beim Beschleunigen seines Trucks auf der Autobahn schwerlich an seinen Sportwagen denken, obwohl beides Autofahren ist.
Das Nebeneinander verschiedener Tanzrichtungen hat nicht nur Nachteile: Der geübte Standard-/Lateintänzer hat bereits ein gutes Rhythmus- und Taktgefühl, muss tanzbare Musik ihrem unterschiedlichen Charakterentsprechend interpretieren, muss umschalten können (der langsame Walzer ist völlig anders, als die mit Hüftbewegung über einen hohen Fuß getanzte, offene Rumba), muss Rhythmusvariationen beherrschen (Chasse, Zögerwechsel, etc.) und Lösungen für plötzliche Situationen haben (ausweichen um Kollisionen zu vermeiden) und die Partnerin führen können und ihr die Gelegenheit zum Folgen geben, beide müssen also aufeinander achten und die Signale und Impulse verstehen, auch wenn diese zwischen den Tanzarten unterschiedlich sind.
Allerdings: All diese Techniken erlernt der Gesellschaftstänzer einer typischen ADTV-Tanzschule selten, nicht einmal nach fünf Jahren im Tanzschulclub. Hier werden oft nur massenweise Figuren in immer wiederholender Form aneinandergereiht. Und wer sich daran erst einmal gewöhnt hat, hat natürlich mit der freien Interpretation von Tänzen Mühe, wird vielleicht auch beim Tango-Argentino immer nur mit der eigenen Partnerin tanzen wollen (weil nur die weiß, was jetzt als nächstes "drankommt") und sich außerhalb der Tanzstunde selten trauen, auf die Piste zu gehen.
Und: Wer mehrere Tanzsparten bedient, sollte in Kauf nehmen können, dass die persönlichen Fortschritte langsamer sind, als bei den Spezialisten und er/sie es vielleicht nie zu den ganz hohen Weihen bringt. Die Woche hat nur sieben Tage, da kann man nicht alles dreimal pro Woche üben und trainieren, wenn man noch einen Beruf und andere Pflichten und Hobbies hat (Ach ja, da war doch auch noch was mit XXX? Wenigstens einmal im Monat? Oder vielleicht doch lieber einmal mehr?
) Das zu akzeptieren ist im Zweifel besser, als möglichst viel möglichst falsch zu machen, dann steht man sich nicht nur anderen, sondern auch sich selbst im Wege und verliert den Spaß.
Somit: Es entscheide jeder für sich selbst, was, wie viel und wie oft. Man sollte sich von seinem eigenen Gefühl leiten lassen sund selbst sehen, was geht. Was für mich gut und in Ordnung ist, kann für andere durchaus ein Problem sein. "Ich-würde-das-an-Deiner-Stelle-so-und-so-machen-Ratschläge" sind nutzlos, es steht nur einer an Deiner Stelle, und das bist Du.