@fotojob
Natürlich gab es auch früher schon recht anspruchsvolles Tanzen. Das was aber noch lange nicht der Tanz der Massen. (Wer konnte schon im 19. Jahrhundert Wiener Walzer tanzen.) Der normale Durchschnittsbürger hatte kaum eine Tanzschule besucht, der Boom kam erst in den 60ern mit dem Wirtschaftswachstum, doch noch längst nicht alle konnten sich einen Tanzkurs leisten. Auch meine Eltern gingen erst viel später dazu über, als ich es ihnen als Teenager vorgemacht hatte. Davor tanzten die, wie zahlreiche andere auch, den Schieber. Und kaum verbreitete sich der Fernseher, konnten sich auch Modetänze wie der Cha-cha besser verbreiten. Wer kannte damals nicht das Fernsehtanzlehrerpaar Fern. Die Mutigen brachten sich manches untereinander selbst bei.
Doch längst nicht alle, die in den 60erg jung waren, gehörten zur Rock 'n' Roll-, Jive- und Lindy-Hop-Fraktion oder waren Hippies. Ich kenne viele, die sich über die "wilde Musik der Beatles" und die "ungepflegten Langhaarigen" echauffiert haben.
Außerdem dient meine überprägnante Darstellung manchmal einfach dem Ziel, ein Anliegen deutlicher herauszustellen.
Ich will auch keineswegs den Tango (oder andere Tänze) alter Jahre herabwürdigen. Aber was denkst Du, wen man früher gefilmt hat? Vermutlich die, die es ziemlich gut drauf hatten oder gar schon professionell tanzten. Wer sagt, dass das dem allgemeinen Volksstandard entsprach? Und zudem ist es geradezu zwangsläufig, dass auch der Tango in seiner Urform mal sehr viel rudimentärer war, er ist eben aus Volkstänzen und musikalischen Stilrichtungen unterschiedlicher Art (vermutlich) entstanden. Das hat auch damals sicher einige nicht daran gehindert, recht kreativ zu sein. Aber es dürfte einige Zeit gedauert haben, bis sich der Tanz zu dem entwickelt hat, was er in seinen klassischen Hoch-Zeiten und schließlich heute geworden ist. Und bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts gab es zwar schon den Kinofilm, aber Tangoszenen sicher nur selten, und die wiederum werden nicht den Durchschnittstänzer gezeigt haben. Und fürs Kino wurde sicher auch damals schon vom Regisseur vorgegeben, wie etwas ungefähr aussehen sollte, damit es gut zur Dramaturgie des Filmes passt.
Ich denke schon, dass ich weiß, worüber ich schreibe, ich vermute nur, dass ich nicht immer richtig verstanden werde. Kern meiner Aussage: Nicht mit dem Tango-Mythos übertreiben. Er sollte auch als Tanz für den normalen Durchschnittsmenschen verstanden werden, und nicht als elitäre Beschäftigung.
Doch nichts für ungut: Vielen Dank für den auf jeden Fall interessanten und kurzweiligen Filmbeitrag. Definitiv ein schönes Stück Geschichte.