Wie unterschiedlich die Menschen doch sind...
Mein Gesicht ist auch nicht das heiterste, wenn ich Tango tanze.
Und damit habe ich gar kein Problem!
Wenn ich immer lachen wollte, nur Menschen um mich herum ertrage, die permanent ausdrücken, wie fantastisch das Leben ist, dann sollte ich lieber in eine Salsathek gehen!
Erstens verstehe ich aber den Tango ganz anders, nämlich als einen wunderbar in die emotionale Tiefe gehender Tanz.
Und zweitens ist das Leben eben nicht immer nur fantastisch.
Ich Tänze sehr gerne und ganz gut Salsa, aber auf die Dauer ist sie mir zu oberflächlich im Vergleich zum Tango.
Außerdem verstehe ich die Texte und ich fühle mit, was dort an persönlichen oder gesellschaftlichen Dramen beschrieben wird.
Der Verlust der Liebe, der Frau oder des Mannes, Gram über untreue Partner. Der Tod einer Geliebten Person. Erinnerungen an vergangene Lieben in der Jugend - Wer hätte das alles nicht auch schon erlebt...
Daher paßt ein ernstes, ja auch ein "schmerzverzerrtes" Gesicht ganz gut zum Tango.
Na klar lache ich auch sehr viel auf Milongas, denn dort geht es mir immer gut! Aber zwischen den Tänzen, am Tresen oder im Gespräxh am Tisch.
Für mich ist es geradezu absolut undenkbar, einen wunderschönen Tango zu tanzen, dabei alle meine Antennnen auszufahren um meine Partnerin, den Raum und die Musik wahrzunehmen und dabei zu lachen!
Lächeln tue ich allerdings auch sehr oft dabei, wenn Situationen entstehen, in welchen die Freude, ein Mißvertändnis humorvoll Genkel wird, oder oder oder...
Nur meine GRUNDstimmung ist eben eher hochkonzentriert, tief ruhig, fühlend, fragend, forschend.... Mein "Schmerz" nährt sich vielleicht aus dem tiefen "sich hingezogen fühlen zu dieser meiner Partnerin", der Sehnsucht danach, vilelleicht auch noch weiter zu gehen, mehr von ihr zu fühlen, noch tiefer in uns zu fallen... (Auch dann, wenn ich das real gar nicht will, sondern sich unsere "gemeinsame Erschütterung" nach diesen 9 - 10 Minuten oder 3 Stücken, ganz bestimmt wieder löst!) Bestimmt tragen auch diese "betretenen" Pausen, nach Tänzen die mir ALLES über meine Parnerin (und ich ihr von mir) verraten haben dazu bei...
Woher sollte da (womöglich lautes) Lachen kommen?
Und jetzt lehne ich mich mal sehr weit aus dem Fenster:
Genau das glaube ich schon von Anfang an bei "Neos" erheblich mehr zu beobachten, als bei klassischen Milongas:
Von sehr, sehr wenigen Ausnahmen einmal abgesehen, habe ich zumeist den Eindruck eher in einer Art "Tango-Disco" zu sein! Es geht kreuz und quer, man knallt lustig in andere Paare, ohne sich zu entschuldigen, sondern höchstens genervt zu schauen.
Man unterhält sich beim Tanzen, es wird teilweise laut gelacht, weil der Tango ja scheinbar so lustig ist!?
Das ganze Ambiente ist zum größten Teil anders.
Mein Einsduck ist, dass versucht wird eine gewisse Coolnes, das Verhalten, welches man auch aus Discos kennt mit an Tango angelehnter oder von Tango im weiteren Sinne inspirierter Musik, mit Klassik und Elektro, ja sogar mit Hiphop (Selbst erlebt!) zu vermischen.
Man tanzt auf alles, egal welcher Rhythmus, Hauptsache die Musik stört nicht!
Ich finde es klasse, dass damit eines erreicht wurde, was mit klassischem Tango nicht in dem Umfang funktioniert hat:
Es wimmelt dort nur so von sehr jungem Publikum. Eben wie in Discos.
Das ist ein unbestrittener Versienst der Neoszene.
Die Gründe liegen auf der Hand: Die Elektromusik, die "coole" Atmosphäre und die viel leichter zu erlernende Art zu tanzen. Größter Unterschied zur Discokultur: Man tanzt mit Körperkontakt zumeist an den Händen, manchmal auch an den Armen! Immerhin.
Wem es gefällt...
Ich möchte den Herzschlag meiner Partnerin an meiner Brust spüren, ja und ich möchte auch ihre Brüste, ihren ganzen Körper und ihre weichen Bewegungen hautnah spüren können, ihren Atem an meinem Ohr, den Duft ihrer Haut, ihres Parfums und sogar den, ihres zarten Schweißfilms möchte ich wahrnehmen, wenn ich Tango tanze!
Welcher Gesichtsausdruck wird mir wohl anzusehen sein? Unbändige Freude? Breitestes Grinsen? Ich empfinde tief und so wird mein Gesicht dann wohl auch sein. Eher erschüttert von soviel offener Emottion, von dieser bereitwilligen Hingabe, als heiter...
Ich lege auch sehr großen Wert auf die klassischen Tangos. Unfassbar schöne Kompositionen:
Pure Romantik (z. B. Miguel Caló), weinenden Bandoneóns, jammernden Violinen, deren Bogenstriche bisweilen mein Herz zerschneiden um es sofort danach mit einer schweren Süße wieder zu verkleben!
Mit beschwingten Valses (sehr gern auch von einem Männerduo gesungen (z. B. Alfredo de Angelis, Miguel Caló), deren Texte oftmals im extremstem Kontrast zur süßen und scheinbar leichten Musik stehen.
Mit diesen rhythmischen Milongas "para gastarse la suela" ("um sich die Sohle abzutanzen").
Tangos mit wirklichen Spannungsbögen, die atmet, nervenaufreibend innehält, dann wieder antreibt, wahnwitzige Syncopen erklimmt, nur um danach wieder quälend langsam zu verzögern und bisweilen den Rhythmus zu verlieren scheint, wie sie immer und immer wieder Osvaldo Pugliese zelebriert!
Musik wie man in Argentinien sagt "para abrirse las venas!" ("sich die Adern zu öffnen!" -Im Sinne von aufschneiden)
Menschen, die innig miteinander verschmelzen, voller intensivster Gefühle, die kreisförmig über die Tanzfläche gleiten, ohne Andere in ihrem Tanz zu stören oder ihnen sogar Schmerzen zuzufügen.
Respektvoller Umgang miteinander und sowohl die Frauen (die ja sowieso immer) aber auch die Männer tragen Kleidung, die sich absichtlich von banaler Straßenkleidung abhebt. Schließlich ist man auf einer Tanzveranstaltung oder sogar auf einem Ball und nicht beim Einkaufen...
So gefiel mir die Tangowelt schon immer und so mag ich sie noch heute am liebsten! Eine anachronistische, ganz eigene Welt mit bewußt anderen Regeln, mit dieser melancholischen und doch so kraftvollen Musik und mit diesen "merkwürdig" tanzenden Menschen mit den ernsten Gesichtern. - Zum Weinen schön!
Und mit Verlaub: DAS, genau das ist es, was Tango so besonders macht, was ihn und die Menschen die ihn tanzen, was seine Musik und die gesamte Atmosphäre um ihn herum so einzigartig macht und wofür er in aller Welt geliebt und getanzt wird!
Diese "triadische Harmonie zwischen 2 Menschen und einer Musik", wie es mein schlauer Freund und glänzender Beobachter Arnold Voß in seinem Buch "Aus dem Bauch des Tangos" so treffend ausdrückte.
Ich biete hier Jedem die Wette an, dass genau DIESER klassische Tango auch in 50 Jahren noch getanzt werden wird, dann wenn vom sogenannten "Neo-Tango" wenig bis gar nichts mehr übrig sein wird!
In Hamburg ist diese Entwicklung bereits lange zu beobachten.
In Buenos Aires ist der "Neo" fast nicht existent. (Ausnahmen sind 2-3 Miolongas und Prácticas) Dort war es nie anders und es wird nie anders sein. Top - die Wette gilt!