Ich argumentiere jetzt mal ebenso wie
SinasTraum ganz tief aus meinem Bauch heraus, auch wenn ich mit der Philosophie und insbesondere dem darin zu findenden Hedonismus durchaus vertraut bin. Aber auch die Meinung vertrete, Philosophie sollte am Leben stattfinden und nicht abgehoben davon existieren.
SinasTraum schreibt:
Es ist vielmehr so, dass ich da stark aus dem Bauch heraus argumentiere und mein Argument, dass Tanz (Tango) und Hedonismus sich im Grunde ausschließen, beruht einfach auf meinen Erfahrungen a) als Tänzerin und b) mit Begegnungen mit hedonistisch denkenden Menschen.
Ich vertrete:
Tanz und da insbesondere der Tango Argentino (ich schließ da jetzt mal Elektro, Fusion und Nuevo aus) und Hedonismus decken sich im Grunde. Das beruht einfach auf meinen Erfahrungen a) als Tänzer und b) Begegnungen mit hedonistisch fühlenden aber auch gegenteilig denkenden Menschen und c) als Veranstalter und Teilnehmer einer sich explizit auf die Verknüpfung des Tango mit dem Hedonismus berufenden Milonga. »Nackter Tango« dürfte ja nun so ziemlich jedem hier ein Begriff sein.
Ich theoretisiere also mitnichten sondern argumentiere aus einer realen Erfahrung heraus. Eine Erfahrung welche sich nun bisher fünf Mal wiederholt hat und an der Schwelle zu ihrer sechsten wenn nicht sogar siebten Wiederholung steht. Und nicht eine Ausnahme von der Regel aufweist.
Auf keiner anderen Milonga habe ich bisher solch ein kollektives Maß an Rücksicht, Glück, Spannung zwischen Freude und leidvoller Hingabe, Streben nach dem eigenen Glück aber auch dem des Gegenübers, ja des ganzen Kollektivs erlebt. Da wird schon durch das Konzept alleine das Streben nach der Lust, der Freude, dem Glück als oberstes Ziel gesetzt - und es funktioniert!
Die Tangueras und die Tangueros streben danach zum einen eine Innigkeit, ja nennen wir es ruhig lustvolle Intimität im Tango zu finden, die sich andernorts nur ansatzweise und als Ahnung erhoffen lässt. Vielleicht ist es ja das Fehlen bestimmter gesellschaftlicher Konventionen die Lüste jeglicher Couleur betreffend, das sperrangelweite Offenstehen so manches ansonsten verschlossenen Tores, was diese Chance überhaupt erst generiert? Oder in anderen Worten: Der Hedonismus erst macht den Tango Argentino zu dem was er sich erhofft und sich erträumt, zu jenem nach dem der Tango Argentino sich sehnt und nach dem er strebt - aber sich nur all zu oft in asketischer, selbst kasteiender, stoischer* Weise selbst verbaut, sich dem verweigert?
In kaum einem anderen Tanz wird so sehr Moral thematisiert, ob nun den Tanz selbst oder das Verhalten der daran Beteiligten betreffend, ob nun auf oder neben der Tanzfläche, auf der Milonga oder in deren sozialem Umfeld. Warum ist das so? Gerade weil es darum geht! Gerade weil der Tango Argentino mit all seiner Themenvielfalt, seiner Tiefgründigkeit, seinen Wurzeln das Streben nach Lust und Freude und dessen Verknüpfung mit Schmerz und Leid am allermeisten verkörpert.
Tango Argentino in seiner tiefsten Seele ist in Sachen Lust kein so-tun-als-ob wie zB eine Salsa oder ein Merengue, er ist kein bis-hierher-und-nicht-weiter wie ein Wiener Walzer oder ein Quickstep (auch wenn das so einige heutzutage gerne so hätten), nein: Der Tango Argentino ist die direkteste tänzerische Art für ein Paar, sich nicht nur innerhalb sondern genau an der Grenze und sogar darüber hinaus miteinander und der Suche nach der gemeinsamen Lust auseinanderzusetzen und einander hinzugeben, sich zu finden. Dort, in der Freude und der Lust und der Leidenschaft, im gemeinsamen Klimax ist das Ziel, wohin der Tango Argentino ständig strebt - das Ziel, welches er zwar selten (bei manchen auch nie, vielleicht weil sie sich selbst im Weg stehen?) erreicht, welches aber durchaus gerade im Tango Argentino erreichbar ist und dessen Anstreben bereits schon Lust, Freude und Leidenschaft in sich birgt und den Tangueras und Tangueros bringt.
Nicht umsonst hat der Tango Argentino einen keineswegs unbedeutenden Teil seiner Wurzeln in der Halbwelt, in Bordellen, in archaisch-lustvollen Zusammenkünften von Sklaven, in den Orten der Suche nach der ungehemmten Lust, der alles überflutenden Liebe und thematisiert leidenschaftlich die Verknüpfung dieser Suche mit dem damit zwangsläufig auch verbundenen Rückschlag, dem Schmerz und dem Verlust.
Seien wir doch mal ehrlich: Der Tango Argentino, entstanden aus dem Tango Porteno, hat schon so manchen Versuch, ihn zu 'zivilisieren', sprich ihm die Lust aus dem Herzen zu reißen widerstehen müssen. Und konnte dies schaffen, weil insgeheim ein jeder, der seiner Leidenschaft darin frönte, genau die Suche nach der Lusterfüllung darin nie aufgab. Auch wenn das wie ich aus Erfahrung weiß so mancher entsetzt mit ausgestreckten Armen weit von sich weist - um sich dann um so näher, um so intimer in die Arme des Gegenübers zu schmiegen und Wange an Wange, Geist in Geist das 'Weiter', den Klimax zu erträumen wagt...
*(letzteres stellt ja m.E. den Gegenentwurf zum Hedonismus dar, am Stoizismus, der Stoa also ist der Hedonismus zu messen - und nicht an Egoismus, Egozentrik oder Dekadenz: Sondern an leidenschaftlich-lust-voller Amplitude oder aber egalisiert-genügsam-monotonem Unison)
Hugh, mein Bauch hat gesprochen