Falsche Frage? Soso...
Lieber Gluecksjaeger,
ich habe Deinen Beitrag aufmerksam gelesen und doch schon sehr schnell die Stirn kraus gezogen.
Warum? Weil Du leider fast gänzlich von falschen Annahmen ausgehst!
Mich würde mal interessieren, woher Du Deine Meinung speist, denn
das hier:
"Vielleicht hat es damit zu tun, dass tatsächlich nicht sehr viel bekannt ist über Tango-Kultur. Dies ist ein weiterer Punkt, den ich problematisch finde an der Fragestellung. Eine ernsthafte wissenschaftliche Auseinandesetzung mit Tango gibt es noch nicht sehr lange. Und die Wissenschaft ist hier mit dem Problem konfrontiert, dass die Quellenlage sehr dünn ist.
ist leider ziemlich falsch! Und das gleich in mehrerer Hinsicht.
Die Quellenlage ist alles andere als "dünn" und es ist ganz im Gegenteil nicht nur sehr viel, sondern fast alles über Entstehung und Entwicklung des Tangos bekannt.
Schon zu Anfang des "Tango-Booms" in Europa, wurde dies 1982 vom Künstlerhaus Bethanien, in Berlin, in einer wahrhaft beeindruckenden Weise dokumentiert!
Die Ausstellung hieß schlicht "Tango" und war verbunden mit einer Rauminstallation "Tango Palast".
Das hervorragende und sehr beliebte Buch dazu "Melancholie der Vorstadt", war lange Zeit vergriffen und wurde zu astronomischen Preisen gehandelt.
Es ist inzwischen wieder erhältlich und ich rate Dir (und allen Interessierten) sehr an, es zu lesen (hat aber auch viele hübsche Bilder) denn es ist wirklich empfehlenswert und es wird die Kenntnisse über Tango und seine Entstehung entscheidend verändern.
http://www.amazon.de/gp/offe … d_mbc?ie=UTF8&condition=used
http://www.zvab.com/buch-suc … utor/kuenstlerhaus-bethanien
Hier ein sehr schöner SPIEGEL-Artikel aus der Zeit:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13509453.html
Diese Aussage ist ebenfalls nicht korrekt!:
"Das notwendige Wissen zur Wiederbelebung des Tanzes speiste sich danach vermutlich aus den Kenntnissen alter Hasen, aber von einer breiten dynamischen Bewegung, kann nicht wirklich die Rede sein.
Die "breite dynamische Bewegung" war nicht inexistent, sondern nur kleiner, als zuvor und schon nach wenigen Jahren waren diejenigen "alten Hasen", die vorübergehend wenig getanzt hatten, wieder omnipräsent.
Und eines ist auch hierdurch völlig unstrittig:
Es gab reichlich Informationen und sehr viele und hervorragende "Anschauungs-Objekte", die Milongueros. Die
wirklichen Milongueros.
Ich darf Dir versichern, dass ich sie fast alle persönlich gekannt und von vielen gelernt habe und mit einigen bin ich sogar befreundet bzw. war es bis zu ihrem Tod:
Jorge Virulazo, Pocho Pizarro, Pupi Castello, Teté Rusconi, Eduardo Arquimbeau, Pepito Avellaneda, El Chino, El Flaco Dany, Miguel Balmaceda (Vater von Julio) und so weiter...
Manche von ihnen leben nicht mehr, aber alle haben ihr Vermächtnis, welches sie in ihren Stadtteilen von ihren Vorgängern vermittelt bekommen hatten, in der einen oder anderen Form an andere, Jüngere weitergegeben!
Daraus ergibt sich, dass auch die folgende Meinung von Dir leider nicht zutrifft:
"Im Gegensatz zu nordamerikanischen oder europäischen Tänzen, ist der Tango früherer Jahre filmisch nicht nennenswert dokumentiert. Ich denke, jeder der tanzt, wird unterschreiben, wie schwierig es ist einen Tanz nur in Worten zu erläutern."
Zu Deiner letzten diesbezüglichen Meinung:
"Lange Rede kurzer Sinn: da zwischen heute und der großen Zeit des Tango Argentino gewissermaßen ein dunkles Zeitalter existierte, ist die "spezifische Tanzkultur", von der hier die Rede ist, eher das allgemeine Bild einer Tanzkultur. Und Bilder werden meist recht individuell und subjektiv verwertet. (....) Wer aber meint, er wüsste wie die Tango-Kultur des früheren 20. Jahrhunderts aussah, steht auf Glatteis. Ganz so wie jemand, der mittelalterliches Leben simuliert, ohne zu realisieren, dass seine Kenntnisse über diese Zeit auf Relikte und Handschriften zurückgehen."
Das ist - mit Verlaub- leider wirklich völliger Unfug! Sogar ich weiß ziemlich genau, "wie der Tango des frühen 20. Jahrhunderts" aussah!
Ein "dunkles Zeitalter" existierte nie im Sinne von verlorengegengenen Informationen, denn es gab direkte Zeitzeugen (und es gibt noch einige von ihnen) lebende und tanzende Menschen, die entweder selbst in der Zeit mit Tango groß geworden sind bzw. die von jenen Tänzern ausgebildet worden waren!
Wer sich soziologisch oder tanzhistorisch interessierte, konnte und hat sich unmittelbar und direkt informieren, beobachten, Fragen stellen, tanzen und lernen können.
Deine sonstigen Gedanken und Erklärungen finde ich allerdings zum größten Teil gut nachvollziehbar und in sich stimmig!
Auch wenn ich sie nicht alle teile, aber darauf kommt es ja auch gar nicht an.
Warum Pina Bausch sich dafür interessierte, weiß ich sehr genau, denn sie hat es mir in vielen, langen Gesprächen persönlich erzählt. Bei viel Rotwein (wir) und noch mehr Zigaretten (sie).
Denn ich hatte das unverdiente, große Glück, auf Vermittlung von Teté Rusconi, der in Wuppertal 2 Wochen mit ihrer Compagnie gearbeitet hatte, unmittelbar im Anschluß daran ebenfalls 2 Wochen mit Pina und ihrer Tanz Compagnie arbeiten zu dürfen!
Teté mußte seine Tournee fortsetzen und Pina bzw. die Compagnie hatte ihn gefragt, wen er empfehlen könne, weil sie noch weiteren Unterrichtsbedarf hatten...
Das war 1995 oder 1996, bin da nicht ganz sicher.
Diese Zeit in dem alten Kino, im 1. Stock, dessen Eingang direkt (!) neben einem Porno-Shop und -Kino lag, werde ich niemals vergessen, denn sie war ein absolutes Highlight in meiner Karriere!
Auch nicht das denkwürdige Telefonat im Vorfeld, bei welchem Dominique Mercy, der damalige Assistent und Solotänzer von Pina Bausch, mich angerufen hatte und mich fragte, ob er mit Ulli spräche und als ich das bejahte sagte er, dass er jetzt den Hörer an Pina Bausch weitergeben würde.
Ich sagte: "Ja klar! und ich bin der Kaiser von China!" und legte den Hörer auf.
Zwei Mal!
Beim dritten Klingeln war dann Teté am Apparat, der sich köstlich darüber amüsierte, dass ich gedacht hatte, jemand wolle mich verarschen!
Am nächsten Tag war ich freudestrahlend in Wuppertal...