Just my five cents
Ja, so ziemlich jeder Paartanz hat in der Tat das erotische
Potential - das liegt schon in der Natur des
Paartanzes begründet.
Selbst mancher Solotanz hat das - wenn der Solotänzer in Interaktion mit Zuschauern tritt oder sich für den Tänzer resp. die Tänzerin autoerotisch manifestiert. Siehe zB Burlesque, erotischer Erfahrungstanz, Striptease, alle zum 'balzen' sich eignenden oder sich selbst ein sinnliches Gefühl bereitenden Solotänze...
Zweitere (Interaktion mit Zuschauern als auch die Autoerotik) treffen auch auf den Paartanz zu, in welchem noch dazukommt, dass die beiden Beteiligten in ihrer Autoerotik eine kurzzeitige Verbindung aufbauen
können, ja sogar miteinander verschmelzen
können zu einer
gemeinsamen Erotik, eine 'Paarautoerotik'.
Man sieht vielleicht auch schon worauf ich hinaus will: Das Potential, dass ein Paartanz auch erotisch ist, liegt begründet bei den Protagonisten. Ist bei einem oder gar beiden die erotische Bereitschaft und deren Ausleben vorhanden,
ist es de facto ein erotischer Tanz.
Speziell auf die Erotik im Tango Argentino bezogen:
Wie auch aus den Beispielen zum Solotanz abzuleiten, eignen sich manche Tänze besser als andere, dieser Erotik einen Raum zur Entfaltung einzuräumen.
Davor möchte ich jedoch noch differenzieren: Es gibt zwei Perspektiven dieser Erotik. Die Aussenansicht und die Innenerfahrung.
Bei der Aussenansicht beobachten Betrachter den Paartanz in seiner erotischen Expressivität. Etwas was man zb beim Showtanz beobachten kann, ja was letztendlich auch ganz bewusst versucht wird zu erreichen, wenn es sich nicht gerade um akrobatische, technische beeindruckenwollende Tänze handelt. Ob da Erotik drin ist? Na, das mag jeder für sich selbst entscheiden
Aber in der Innenerfahrung - da wird es nun erst so richtig interessant im Sinne der hiesigen Fragestellung... da unterschieden sich die einzelnen Paartänze eklatant. Es gibt da eine gewaltige Spannbreite, sagen wir mal vom Rock'n'Roll über die Polka oder den Wiener Walzer bis hin zum Tango Argentino. Wobei für mich persönlich der Tango Argentino den Gipfel abschießt (und ich habe schon vieles getanzt, auch bis hin zur Profiklasse im ballroom dancing [Standard+Latein hierzulande]:
In keinem anderen Tanz den ich so kenne,
kann es in so einem derart hohem Maße zu einer gemeinsamen Erotik kommen wie im Tango Argentino. In keinem anderen Tanz können die autoerotischen Komponenten so hochgradig miteinander verschmelzen, dass sogar der Effekt auftreten
kann '
deutlich mehr als Summe der Komponenten'. Ein sagenhafter Wow-Effekt, der mich selbst schon in meinen Anfängen im Tango Argentino bisweilen so richtig 'erwischt' hat - mit den einfachsten Mitteln (sprich Figuren und Schrittfolgen)! Es ist also nicht eine Frage dessen,
was man tut oder
kann. Sondern schlicht
dass man tut und tun
will.
Das passiert nicht oft in diesem Maße, aber doch recht oft beim Aufeinandertreffen zweier dafür (und zueinander) bereiter und offener Menschen - und ganz besonders leicht im Tango Argentino, die ideal geeignete Plattform dafür. Gerade weil dieser von der Art und Weise der Interaktion her aber auch vor seinem kultur-geschichtlichen Background (die Idee eines Tanzes, in allen unseren Köpfen vorhanden, spielt
immer auch eine wesentliche Rolle) dafür geradezu wie geschaffen ist.
(Ich muss dabei allerdings auch innerhalb des Tango Argentino differenzieren, wenn auch wahrscheinlich höchst subjektiv: Die moderneren Tango-Stile schließe ich dabei aus. Im Nuevo, Elektro, ... sind zwar
expressive erotische Elemente enthalten, aber die Verschmelzung der Autoerotik scheint darin nicht (mehr) zu funktionieren - zu sehr geht es da wohl in Richtung von Akrobatik, Expressivität nach aussen und zu sehr ist deren Idee vermutlich von der des Tango Salons als Verschmelzung nicht nur zweier Körper sondern auch zweier erotischer Geister entfernt als dass es dabei so weit kommen kann, sozusagen
miteinander fast an der Schwelle eines getanzten Orgasmus zu stehen, mal vielleicht übertrieben ausgedrückt...
Weshalb vermutlich der Satz "Tango und Erotik - das ist lediglich eine Legende, eine laienhafte Außenansicht", zumeist von 'modern affinen' oder aber technisch-perfektionistisch orientierten Tango Argentino Tänzern geäußert wird (als ich diesen Satz zum ersten Mal hörte, war ich entsetzt).
Während von 'traditionell-kulturell verhafteten' Tango Salon Tänzern immer wieder mit strahlenden Augen von einer solchen getanzten "Nah-Orgasmus-Erfahrung" berichtet wird...)