Führen und geführt werden, fühlen und gefühlt werden!
Das ist schon sehr lange mein Motto!
Der Führende muss zugleich fühlen und sich dabei fühlen lassen, wodurch das Gefühlte wiederum Einfluss auf seine Führung hat. Und umgekehrt.
Es beschreibt also (mit anderen Worten) genau das, was Dein Zitat:
„Um sich selbst zu verstehen, muss man vom anderen verstanden werden. Um vom anderen verstanden zu werden, muss man den anderen verstehen.“
lieber Chilliliebre, auch ausdrückt, nicht wahr?
Und eine geschätzte ehemalige Partnerin und Hamburger Kollegin, meint sicherlich etwas ganz ähnliches, wenn sie schreibt:
"Wer sich hingeben will, muß sich erst einmal selbst haben!"
Denn wie wollte man führen, oder geführt werden, ohne "sich zu haben"?
Ich finde im übrigen, dass das theoretische Konzept, Tango Argentino sei im Grunde eine Körper-Sprache gar nicht so falsch, wenn dies auch im strengen Sinn sicher so nicht haltbar ist.
Dennoch vermittelte ich (so gut ich konnte) immer Bewegungsmöglichkeiten in diversen Formen, Richtungen und Tempi aber keine "Schritte" im Sinne von Choreographien.
"Feste Schrittfolgen" sind extrem behindernd bei der
unbedingt notwendigen Improvisationsfähigkeit, welche sich mal früher, mal später und bei manchen gar nicht herausbildet.
Wer als Führender, gleich welchen Geschlechts, nicht gut improvisieren kann, wird bei plötzlich auftretenden "beweglichen Hindernissen", also quertanzenden Paaren etc. nicht sozial-adäquat reagieren können. Das bedeutet, er wird entweder (und im besseren Fall) abrupt stoppen müssen (Er zu Ihr: "Mist! Schon wieder ist xyz im Weg! Komm, wir fangen nochmal von vorne an.").
Im weniger guten Fall wird er einfach gnadenlos in andere Paare hinein tanzen, weil er ja seine Schrittfolge unbedingt durchbringen will! Und natürlich ist er ja NIE "schuldig" sondern immer nur "die Anderen"...
Aus meiner jahrzehntelangen Erfahrung als Tangolehrer kann ich sagen, dass die Vermittlung von Schrittmustern die Lernenden für sehr, sehr lange Zeit behindert und typabhängig sogar richtiggehend fesseln kann!
Ein Beispiel:
Da wir Lehrenden ja auch immer Lernende sind und von unseren Schülern, ihren Problemen und emotionalen Hemmnissen noch immer am allermeisten lernen, modifizieren die schlauen unter den Tangolehrern ihre Methodik und Didaktik immer wieder.
Irgendwann bemerkte ich, es vielen Anfängern quasi unmöglich ist, sich aus der Choreographie "Grundschritt" zu befreien. Sie MUSSTEN dieses Muster zwingend bis zum Schlussschritt zu Ende tanzen, bevor sie wieder in der Lage waren, irgendetwas anderes zu führen. Das missfiel mir sehr, denn selbstverständlich kann man z. B. nach dem Kreuz (Mann steht im parallelen System, also mit geschlossenen Beinen) die Frau anstatt nach hinten, auch zu ihrer rechten Seite in einen Seitschritt führen und erst dann nach hinten oder nach vorne oder, oder, oder....
In der Folge experimentierte beispielsweise einige Zeit damit, meinen Anfängern erst gar nichts von einem Grundschritt zu erzählen, obwohl sie diesen durchaus schon längst führen und ausführen konnten, sprich: Sie tanzten ihn.
Da der Grundschritt aber nicht als feste. Choreographie ("Ich zeige Euch mal den Grundschritt!") vermittelt wurde, sondern die einzelnen Teile in anderer Reihenfolge erlernt und zuerst ohne, später mit Kreuz oder alternativ mit Ocho gezeigt wurde, war ihnen nicht klar, dass diese spezielle Folge der sogenannte Grundschritt war.
Das hat durchaus eine Zeit lang gut funktioniert. Ich sah Paare, die alle möglichen Varianten des GS tanzten und zwischendurch immer wieder mit allen möglichen Alternativen spielten.
Dennoch gab es auch "Probleme"....
So druckste irgendwann mal ein Schüler etwas herum, bevor er endlich mit der Sprache herauskam:
Er war irgendwo anders auf einer Práctica und wurde dort von einem Kollegen aufgefordert, den GS zu führen. Als mein Schüler daraufhin erklärte, dass er den noch nicht erlernt habe, lachte der halbe Saal darüber, bei welchem Stiesel er denn wohl Unterricht habe...
Diese Aussage verunsicherte ihn, denn er konnte wirklich bereits gut tanzen und improvisieren (!) fühlte sich auch wohl, befürchtete aber, dass irgend etwas mit dem Unterricht nicht stimmen könnte.
Nun, ich könnte das schnell aufklären aber es gab mir zu denken...
Also, mein Fazit:
Beim Tango geht es prinzipiell um Beziehung!
Es geht um die Frage, wie man miteinander in Beziehung tritt, wie man diese entstehende Beziehung entwickelt und ausbaut und wie man sich innerhalb dieser sehr filigranen Beziehungswelt verhält!
Dazu gehört notwendigerweise immer auch die Frage nach der Kommunikationsart und den Übertragungswegen ebenso, wie danach, wie man sich im Fall einer möglichen "Kommunikationsstörung" verhält.
Dazu könnte man wiederum ganze Abhandlungen verfassen, was ich auch bereits mehrfach ernsthaft in Erwägung gezogen, aber nie verwirklicht habe.
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch der Gedanke daran, dass es hier nicht nur um die "Binnen-Kommunikation" innerhalb des Paares gehen sollte, sondern auch um diejenige, die zwischen den verschiedenen Tanzpaaren stattfindet, wenn es toll läuft!
Davon hängt u. a. die Tanzflächen-Hygiene in erheblichem Ausmaße ab.
Und Last but Not least, handelt es sich ja auch um eine weitere Kommunikationsebene, wennschon um eine einseitige: Die Musik kommuniziert ja auch noch mit uns und unseren emotionalen wie technischen Fähig- und Fertigkeiten...
Mein Freund Arnold Voss, hat in seinem Buch "Aus dem Bauch des Tangos" die treffende Metapher von der "Triadischen Harmonie von zwei Menschen und einer Musik" gefunden.
So gesehen, ist Tango wohl wirklich nicht nur der schönstens sinnlichste, sondern auch leider (?) der komplexeste Paartanz der Welt.
Ohne Einschränkung empfehlenswertes Buch "Aus dem Bauch des Tangos":
http://www.amazon.de/Bauch-T … -weltberühmten/dp/3933059011