Beginnen möchte ich mit einem Komponisten, Bandoneonspieler und Orchesterchef, bei dem ich mich schon lange frage, warum er von „Experten“ nicht zu den „Großen Vier“ (oder Fünf) der EdO gezählt wird: Osvaldo Nicolás Fresedo (1897-1984):
Schon 1913 begannen seine musikalischen Auftritte, zunächst mit seinem Bruder Emilio an der Violine. Bereits Anfang der 20-er Jahre hatte er ein eigenes Orchester – bis 1980 produzierte er über 1250 Aufnahmen. Fresedos „Sound“ erkennt man leicht an der grandiosen Eleganz und Gebundenheit seiner Interpretation – wunderschön zu vertanzen! Er komponierte Tango-Welterfolge wie „Vida mía“, „Sollozos“ und „Arrabalero“. Unvergesslich sind auch seine Ausflüge in den Jazz, beispielsweise mit dem Trompeter Dizzy Gillespie. Mit einer Spielzeit von 63 Jahren ist sein Orchester das am längsten aktive unter den Künstlern der „Goldenen Ära“.
Nach meinen Erfahrungen ist eine Fresedo-Schnulze das probate Mittel, um sofort das Parkett zu füllen. Nummer eins in dieser Kategorie ist sicherlich der Hit „Vida mía“ („Mein Leben“) – 1933 von Osvaldo Fresedo selber komponiert und von Bruder Emilio getextet. Meine favorisierte Aufnahme stammt aus dem Jahr 1952, als Fresedo für 5 Jahre mit meinem Lieblingssänger Héctor Pacheco (1918-2003) zusammenarbeitete. Ich kenne keinen anderen Tangotenor mit einem solch polierten Schmelz.
Teppich zurückgerollt? Socken oder Tanzschuhe an? Dann los:
Da zu viel Süßes auf einmal ungesund ist, wechseln wir nun zu einer Fresedo-Milonga mit deutlichen Anklängen des schwarzen Candombe-Rhythmus: „El Tamborilero“ („Der Trommler”) nannte der Komponist Roberto Pérez Prechi sein Stück, das 1959 aufgenommen wurde. Passend zum Titel, aber untypisch im Tango sind die Percussion und kurze Chor-Einwürfe:
Das Angebot an süßen Melodien ist bei Fresedo riesig. Ich habe mich für den Titel „Única“ („Einzige“) von Eugenio Majul (Text) und Roberto Pérez Prechi (Musik) entschieden, den Fresedo 1961 mit dem Schauspieler und Sänger Hugo Marcel (geb. 1942) aufgenommen hat. ...
Zum Schluss geht es nochmal in die Vollen: Ebenfalls 1961 hat Fresedo die Milonga „Capicúa“ (katalanisch für „Kopf und Schwanz” - im Sinne von "Palindrom") von Roberto Nievas Blanco aufgenommen. Man muss es den „alten Säcken“ schon lassen: Mit welcher Energie die das Parkett geflutet haben, ist fallweise sensationell. Wieso viele konservative DJs stets die langweiligeren Titel spielen, bleibt deren Geheimnis…
Vorab die Warnung: Das Stück enthält rhythmisch etliche ziemlich verzinkte Stellen......