Tantra-event
Tantraevent – KurzepisodeNun hat Zoe den Tantraevent doch gebucht, obwohl sie ein leicht ungutes Gefühl beschleicht. Aber von jeher ist es für sie wichtig, manche Erfahrungen tatsächlich real, körperlich zu machen. Tantra bedeutet für Zoe in der körperlichen Wirklichkeit zu leben und mit allen Sinnen zu spüren. Dazu gehören auch immer wieder neue Erfahrungen. Die einer tantrischen Großveranstaltung mit über 100 Menschen hatte sie noch nie gemacht.
Und nun ist Zoe am Veranstaltungsort in einem winzigen Zimmer, welches sie mit einer kleinen, zarten, älteren Dame die nächsten Tage teilen wird. Die süße Dame ist ganz aufgeregt. Sie war schon öfter hier und hofft sehr, doch diesmal eine tantrische Bekanntschaft zu machen, die von Bestand sein wird. Sie hat zwar einen tantrischen Bekannten und das fühle sich eigentlich auch ganz gut an. Aber nur in den wenigen Stunden im Monat, in denen er für sie präsent ist. Sobald das Miteinander vorbei ist, entsteht eine eisige Kälte, eine herzlose Unverbindlichkeit, die sie mit Tantra überhaupt nicht in Verbindung bringen kann. Sie ersehnt sich auf diesem Event eine Begegnung, bei der es anders werden soll, bei der sie Herzenswärme spüren kann. Das ist ihr Wunsch, ihr Bedürfnis und das ist das, worauf sie sich freut.
Da ist sie wieder, die Absichtslosigkeit und Erwartungsfreiheit des Tantra, registriert Zoe. Sie hat keine Erwartungen. Aber sie hat eine Absicht. Ohne die wäre sie nicht hier. Sie möchte schauen, was in so einem großen Tantraevent abläuft, was Tantra für andere bedeutet. Sie möchte Begegnung mit Menschen haben und spüren, wie sich das anfühlt. Zoe hat keine Erwartung an irgendeine spezielle Begegnung oder an irgendetwas, was daraus entstehen sollte.
Und da sich Zoe schon sehr lange mit Tantra beschäftigt, Tantra lebt, hat sie ein ganz spezielles energetisches Feeling für Menschen, Abläufe und Rituale.
Das unstimmige Gefühl will irgendwie nicht weichen. Egal. Sie wird jetzt nicht wieder wegfahren. Sie wird die Tage hier verbringen und wirken lassen. Sie ist schon einige Jahre in der Lage, Energien zu kompensieren, Energien so zu wandeln, dass sie auch mit Unstimmigkeit eine Weile umgehen kann.
Zoe weiß, dass nicht alle Energien von jedem Menschen für jeden stimmig sein können. Das ist energetisch nicht möglich. Sie lässt es auf sich zukommen.
Dann findet der Eröffnungsabend statt. Alle Teilnehmer sind in einem großen Saal versammelt. Sie werden von den Tantrameistern berieselt, u.a. damit, dass doch alle Gekommenen sehr voller Probleme seien und hier Lösungen suchen. Zoe denkt immerzu, nein, ich habe keine Probleme. Ich möchte einfach tantrisch interessierte Menschen kennen lernen und eine angenehme Zeit verbringen. Diese Fixierung auf Probleme und Grenzen empfindet Zoe als sehr pauschalisierend und unangenehm. Sie meditiert danach lange und wandelt die Negativsuggestionen in kraftvolle Energie um.
Am nächsten Morgen gibt es eine Morgenwanderung durch die wunderschöne Natur. Zoe freut sich darauf und ist pünktlich zur Stelle. Sie liebt die Natur, die Begegnung mit den Pflanzen und Tieren, die Stille und Reinheit, jedes einzelne Blättchen, jedes Vogelgezwitscher, alles liebt sie. Diese Wanderung soll zur Entschleunigung sein. Weil die meisten Menschen ja Probleme mit Stress und der Schnelllebigkeit des Alltags haben.
Doch was ist das. Die tantrische Führerin der Wanderung schlägt ein Tempo an, was mit Entschleunigung nichts zu tun hat. Es ist ein Rasen durch Wald und Flur ohne die Möglichkeit, zu verweilen, einfach mal zuschauen, in Ruhe die reine Luft zu atmen und zu genießen. Zoe folgt also ihrem tantrischen Ruherhythmus und bleibt weit zurück. Sie genießt diesen Weg und nimmt ein paar wunderschöne bildliche Impressionen mit.
Während der Tage wird viel getanzt, immer wieder gemeinsam geatmet, massiert, berührt. Es gibt überwiegend Veranstaltungen, in denen durch Zufallsprinzip männliche und weibliche Wesen zusammengewürfelt werden, um u.a. nackt umschlungen Atemmeditation zu praktizieren.
Es fühlt sich für Zoe nicht gut an, mit einem Mann, dessen Geruch, dessen energetische Ausstrahlung für Sie sehr unangenehm sind, solch ein Ritual zu praktizieren. Sie sagt es ihm und teilt mit, alleine meditieren zu wollen. Er ist ungehalten und wendet sich mit anklagenden, unhöflichen Worten an sie.
Das soll Tantra sein? Im Tantra gibt es keine Zwänge und keine Vorgaben. Wenn sich etwas nicht stimmig anfühlt, dann hat jeder das Recht, es nicht zu tun und sich darüber zu äußern oder nicht.
Und wenn jemand nicht mit einem anderen meditieren oder atmen möchte, ihn nicht berühren möchte, dann nehme ich das so an, respektiere es, akzeptiere es und weiß, dass das für ihn genau so gut ist.
Die kleine Dame ist an diesem Abend sehr aufgeregt. Ja, da wäre doch wieder jemand gewesen, bei dem es sich gut angefühlt hat und er hatte es ihr auch so gesagt. Aber kurze Zeit später wendet er sich einem anderen weiblichen Wesen zu und sagt ihr genau dasselbe. Kaum ergibt sich eine angenehme Energie, ist sie wieder flüchtig. Diese Oberflächlichkeit, diese Unverbindlichkeit, machen der süßen Dame mächtig zu schaffen. Sie legt sich ins Bett, dreht sich um und weint leise ins Kissen.
Zoe setzt sich hin und meditiert wieder. Sie fühlt sich in die Schwingungen dieses Raumes, dieser Umgebung ein. Wohl fühlt sie sich nicht, spürt viele Spannungen.
Etliche der Teilnehmer scheinen zwischenzeitlich gestresst, gehetzt, unbefriedigt. Eine seltsame Stimmung schwingt.
Und dann kommt noch ein tantrisches I-Tüpfelchen für Zoe. Der alte Tantrameister, vor welchem viele Teilnehmer ehrfürchtig darnieder sinken, geht neben Zoe die Treppe hinab, überholt sie, öffnet die Tür, tritt hinaus und lässt die Tür direkt vor Zoes Nase zuschlagen. Sie steht fassungslos angesichts dieser „Achtsamkeit“.
Als Zoe noch immer so dasteht, kommt die kleine, süße Dame die Treppe herab, öffnet die Tür und bittet Zoe hinaus. Offenen Herzens zu sein, die Wirklichkeit und jeden Augenblick zu sehen, hinein zu spüren und mit dem Herzen der anderen verbunden zu sein, das ist doch Tantra. Zoe umarmt die süße kleine Dame spontan, welche sichtlich gerührt ist.
Als Zoe wieder nachhause fährt, fühlt sie, wie Erleichterung und unbeschwerte Freude in sie fließen.
Sicherlich sind die Menschen, die dort Tantra vermitteln, auf ihrem Weg. Und alle, die seit zehn Jahren oder länger immer wieder dorthin laufen und immer noch Probleme haben, auch auf ihrem Weg. Jeder kann und wird den Weg gehen, der für ihn richtig und stimmig ist.
Zoes Weg wird es nicht wieder sein.
© Esteva Hara