kritik ist eine frage des stils
...und zwar nicht nur des schreib-stils.
ein thread wie dieser hier sollte in der tat auf keinen fall in das allseitige beweihräuchern einer glücklichen tattoo-community ausarten, wo jeder jeden lieb hat.
dennoch gilt es aus meiner sicht darauf hinzuweisen, dass im falle von irreversiblen körperveränderungen - seien sie kunst oder gemüse - ein besonderes fingerspitzengefühl und eine sensibilität des tones gefragt sind, eine höfliche, elegante und vielleicht auch zärtliche verpackung des kritischen gestus.
so was nannte man früher den 'noble respect'...
eine kleine anekdote aus japan mag hier weiterführend sein: der - noch lebende - tätowiergroßmeister horiyoshi hat einmal gesagt, das misslungene tattoo eines menschen ehrlich aber ohne feingefühl zu kritisieren, sei , als ob man diesem menschen einen teil seiner haut abziehe.
in zeiten, wo die (sogenannte) 'eigene ehrliche meinung' konjunktur hat und dabei zumeist nur alibi für das ausleben von aggressionslust ist, erscheint mir dies höchst bedenkenswert...
noch etwas: ein tattoo ist kein fertiges kunstwerk, es ist nicht mit einem toten gemälde vergleichbar. sein träger hat es durch seinen schmerz mit leben erfüllt und tut diesen in jedem weiteren augenblick.
die ästhetischen kriterien, die hier oftmals angewandt werden - und leider mittlerweile auch in den besten tattoomagazinen abgeschmackte stilblüten produzieren - entsprechen einer rein schematischen geschmacks- und stil-ästhetik und propfen sich (eher laienhaft) auf eine mittlerweile veraltete klassische auffassung auf, die das 'gelungene monument mit ewigkeitswert' jedem anspruch auf gelebtheit und lebendigkeit vorzieht.
langer rede, kurzer sinn: tätowieren ist - auch entgegen dem seltsamen anspruch vieler tätowierer - keine kunst im klassischen sinne und sie ist - entgegen der juristischen auffassung - ebenfalls kein reines kunsthandwerk. ihre wurzeln liegen im ritual der transformation, der veränderung. und wer sich einer solchen unterzogen hat, muss - aus meiner bescheidenen sicht - mit einem mindestmaß an empathie - und sympathie - behandelt werden. eine rein technizistische verfahrens- und objektkritik verfehlt in jedem falle ihr ziel.
besten gruß
tim
(der jedes seiner neun - selbstverständlich großartigen - tattoos als köstliche narbe im fleisch betrachtet ;-))