Die neue Marke
Erich stand schon seit einer Stunde vor dem Konsumer-Automaten und versuchte diesem mit wachsender Verzweiflung klarzumachen, dass er ihm bitte drei Tüten Milch aus der Glasbox direkt vor ihm im Regal reichen sollte und nicht immer wieder ein neues Vergissmeinnicht vom ganz anderen Ende der unendlich langen Regalreihe. Er wusste sowieso keine vernünftigere Verwendung für diese blau-violetten Blumen, als sie seinem Tamagotchi mit Echtpelzüberzug als Fresschen in den Napf zu legen und darauf zu hoffen, dass dieser auch vegan mochte, ohne ihm gleich einen gehörigen Abzug an Punkten auf seinem Liebhabkonto zu verpassen. „Was will ich denn mit Blumen bitteschön?“, dachte Erich verzweifelt und spürte, wie er stärker und stark das Schwitzen anfing und sich seine Handinnenflächen immer mehr wie eine glitschige Seife anfühlten, wobei er bei jedem Anlangen einer Sache errötete, weil er nicht in die Welt hinausbrüllen wollte, dass er Kaudwelsch redete, obwohl er alle Sätze, Worte, Buchstaben, Hieroglyphen und Symbole sowie Zeichen seiner Umwelt verstand, wie er sie hätte verstehen sollen, wenn man ihn nicht ständig vorführen und zum Affen machen würde. Nur weil er vor diesem blöden Regalautomaten verzweifelte und langsam mit inniger Wut reagierte, weil dieser ihn dazu zwang, sich in seiner Sprachgewohnheit zu vergewaltigen.
„Was ist denn das bitte? Wieso darf ich nicht Milch meinen, wenn ich Baumkuchen sage, weil ich diesen nun einmal backen will? Oder von mir aus auch: ‘Ich habe dich lieb‘, wenn ich Orangen hinter der Glaswand in den Regalauslagen liegen sehe, diese justament aber gar nicht kaufen mag, weil es keine Bauklötzer sind, die ich eventuell verschenken könnte?“, ärgerte sich Erich maßlos.
War er jetzt beschränkt oder aber dieses System der konkreten Sprache, das aber auch wirklich alles ganz genau benennen und kategorisieren wollte, um es schließlich in seine Schubfächer der Begrifflichkeiten zu verstauen.
Es konnte ja sonst irgendwer kommen, diese Kategorien abschaffen, um dann irgendetwas über schillernde Seifenblasen zu behaupten, in denen man eintauchen und davonfliegen konnte, um somit die Welt auf den Kopf zu stellen.
„Was wäre denn zum Bespiel, wenn ich mich mal beim lieben Herrgott darüber beschweren würde, dass ich als Mann gelesen und angesprochen werde, obwohl ich mich ja eigentlich auch als Frau fühle? Denn ich habe zwar gar keine Titten, dafür aber eine Mumu und obendrauf noch einen Schwanz im Kopf sowie zwei gesunde Hände und natürlich auch zwei Beine nebst den Füßen unten dran?“, überlegte Erich und wusste nicht recht, ob er lachen oder weinen sollte oder ob ihm gar nach beidem zugleich zumute war.
„Was, wenn ich ihm die Meinung darüber geigen würde, dass die Frann dem Mau in mir eine backpfeift und umgekehrt, wenn irgendwer von ihnen das kategorisieren anfängt, wobei sie selbst ja auch schon Begrifflichkeiten sind, und sie beide darüber verzweifeln, weil es nun einfach mal hinten und vorne nicht passen mag?“, kicherte sich Erich ins Fäustchen, während er dem Einkaufregal hinter der Glaswand den Rücken zukehrte, dem Automaten davor ‘nen Stinkefinger zeigte und den Discounter mit einem leeren Jutebeutel wieder verließ.
„Was, wenn der liebe Herrgott dann herzlich loslachen würde und sagen würde: ‚Kaerich, du bist weder Erich, noch Erika. Du bist Kaerich und kehrst oder scherst dich einen Teufel um Männl oder Weibl. Denn du bist mein bester Menschfreund mit Besen auf Erden. Nur du kannst so fegen wie Beppo der Straßenkehrer, wenn du die Muse und die Geduld dazu hast. Also nur Mut und frisch ans Werk‘?“
Erich, äh Erika, ach nee, nein, Kaerich lachte sich eins ins Fäustchen bei diesen Gedanken, und er fühlte sich wie ein umstürzlerischer Geist, als er zu seinem Besen griff, der wie immer und überall an den Hauswänden lehnte und auf seinen Meister wartete.
© CRSK, LE, 06/2020