Beifuß (Artemisia vulgaris)
Auch Besenkraut, Gürtlerkraut, Mugwurz, Sonnenwendgürtel, Pipoz/Biboz (althd.) genannt
Es gibt um die 200 Beifußarten; ihre Blätter sind grünlich-grau, der Geschmack ist oft recht bitter, ihr Duft herb-würzig und die windbestäubten Blüten winzig und unscheinbar. Beifuß erweist sich als besonders zäh und wächst wild auf Ödland, Schutthaufen, an Wegen, Hecken und Flussufern. Er gehörte zu jenen Pflanzen, die nach dem Rückzug der Gletscher vor 10.000 Jahren die Tundren Eurasiens besiedelten. Er kommt auch in Nordamerika und Nordafrika vor. Schon die Großwildjäger der jüngeren Altsteinzeit kannten diese aromatischen Pflanzen und schätzten sie als Heil- und Zauberkräuter.
Bereits die indigenen Völker Nordamerikas rieben sich mit Beifuß ein um mit ihren tierischen Schutzgeistern in Kontakt zu treten. Wer ein Tabu verletzte oder einen Fetisch berührte musste in Beifuß baden, denn diese Pflanze vertrieb alle bösen Einflüsse. Getrocknetes Beifußkraut wurde in die Glut gelegt, damit der Rauch böse Geister oder das Nachwirken eines Alptraums vertrieb. Jagd- und Kriegswaffen wurden mit dieser Pflanze rituell gereinigt.
Interessant ist, dass die Beifußarten in der Alten Welt vom Atlantik bis zum Pazifik ähnlich verwendet werden. Mit ihnen wird geräuchert, geheilt, der Mut der Krieger beschworen, heilige Gegenstände geweiht und Besen gefertigt, um damit sakrale Orte zu fegen. Dies und die Tatsache, dass der Umgang mit Beifuß überall stark ritualisiert ist, bestätigt die Annahme, dass die Wurzeln des Kults in der alten Steinzeit zu suchen sind.
Der Beifuß wurde als Schutz gegen Dämonen verwendet. Die Römer hängten Beifußkränze in ihren Häusern auf, um unsichtbare Störgötter zu vertreiben und den bösen Blick abzuwehren. Im ganzen Mittelmeerraum war in der Antike die Pflanze der Göttin Artemis gewidmet. Sie ist die Herrin der wilden Tiere, die ungebundene Jägerin, die das Joch der Ehe verabscheut, aber den Gebärenden und kleinen Kindern hilft. Diese durch die Wälder streifende Bogenschützin, trägt archaische, steinzeitliche Züge. Sie ist ein Aspekt der Großen Göttin der früheren Menschheit.
Für die germanischen Stämme war der Beifuß „Mugwurz“ (Machtwurz) die mächtigste aller Pflanzen. Und noch im Mittelalter feierte man sie als
Herbarum Mater. Sie ist die Erste der neun Wunderzweige, mit denen der Schamanengott Woden (Odin) die giftige, krankmachende Schlange schlug. Er und die Kräuterkundigen sprachen den Beifuß wie folgt an:
Erinnere Dich, Mugwurz, was Du verkündetest,
was Du feierlich festgesetzt hast.
Una heißt Du, Älteste der Kräuter,
Macht hast Du gegen dreißig und gegen drei,
Macht gegen das fliegende Gift,
Macht gegen das Übel, das über das Land führt.
Wer ist nun diese mysteriöse Una, die so viel Macht besaß? Nordische Runenritzer oder Barden verkehrten gerne die Buchstaben magischer Worte, wodurch ein Gegenzauber erschwert oder unmöglich gemacht wurde. Una ist also Anu oder Ana, die Ahnfrau der Götter in vielen indoeuropäischen und semitischen Mythologien.
Bei den Kelten erscheint sie als Dana – aus Dea (Göttin). Der Name erscheint wieder in der irischen Ana, einer Göttin der Erde und Fruchtbarkeit, in der indischen Göttin Anapurna und in der Ana-Perenna der Römer. Viele Heiligtümer dieser Muttergottheiten wurden von den Christen übernommen und der hl. Anna (Mutter Marias und Schutzpatronin aller Frauen) geweiht, auch deutlich in der altitalienischen Diana (Dea-Ana), die Göttin der Jagd und Beschützerin der Jungfräulichkeit, welche Artemis gleichgesetzt wurde.
In kaum einer anderen Pflanze manifestiert sich die Göttin der weiblichen Mysterien so stark wie im Beifuß. Die gynäkologische Anwendung ist universell. Wahrscheinlich schon in der Steinzeit nahmen die Frauen Sitzbäder um die Menstruation anzuregen, oder tranken sie bei der Geburt, um die Nachgeburt oder einen toten Fötus abzutreiben. In starker toxischer Dosierung konnte frau sich eines
„unerwünschten Bastards“ entledigen. Vermutlich betrieben die Cheyenne-Indianerinnen damit eine Art Geburtenkontrolle, denn sie bekamen nur alle sieben Jahre ein Kind.
Die mittelalterlichen Hebammen benutzen das
„sonderliche Frawenkraut“ zur Förderung der Geburt sowie der Nachgeburt. Auch kalbenden Kühen wurde es zu gleichem Zweck eingeflößt.
Gegen Unfruchtbarkeit wurde es in Bier gekocht und getrunken. Bei jungen Mädchen sollte es - in Wein gekocht - die Regelblutung fördern.
Gegen von Hexen angezauberte Impotenz (Nestelknüpfen) und Frigidität der Frau (Schoßschießen, beides Bindezauber) sollte es helfen, denn Beifuß entkrampft den Unterleib und erwärmt ihn.
Beifuß steht unter der Herrschaft des Saturns und erträgt bittere Kälte im Winter sowie glühende Hitze im Sommer. Gleichzeitig trägt er aber auch Elemente der Venus und des Merkur.
Zur Sommersonnenwende loderten zur kürzesten Nacht des Jahres die Feuer und es wurde getanzt und gefeiert. In heidnischen Zeiten entledigten sich die Tänzer ihrer Kleidung, umgürteten sich mit Beifußzweigen und flochten Blumen sowie Gundermannkränze ins Haar. Man trank mit Bilsenkraut und anderen bewusstseinsveränderten Kräutern versetztes Bier und verschmolz so mit der anderen, der magischen Wirklichkeit.
Einander an der Hand haltend, sprangen Liebespaare durch das Feuer in die 2. Jahreshälfte und nicht selten verbrachten sie die Nacht auf einem Liebeslager aus Beifuß und duftenden Kräutern, denn dieses Fest diente dem Leben und der Fruchtbarkeit. Der Beifußgürtel wurde schließlich in die Glut geworfen.
„Es gehe hinweg und werde verbrannt mit diesem Kraut all mein Unglück!“
Der Sonnenwendgürtel gehörte ursprünglich dem archaischen Donnergott, denn zur Zeit des Mittsommerfestes entluden sich oft kräftige Gewitter. Es war das Liebesfest der Erdgöttin und ihres Gefährten des Gewittergotts. Sein Blitzschlag befruchtete die Scholle. Er besaß den Machtgürtel, den
„Megin-gjader“, den ihm die Zwerge aus Beifußruten gewoben hatten. Damit konnte er seine Kräfte, auch die erotischen, verdoppeln.
Der Beifuß vermittelt also den Lenden die Kraft des Donnergottes und öffnet den heiligen weiblichen Schoß, daher war Beifuß für Liebeszauber prädestiniert. (Beifußbrechen am Johannistag,
„Unter Kissen oder Bett gelegt, bringt Beifuß unkeusche Begier.“ Mattioli 1563).
Dem Christentum war das Ganze ein Dorn im Auge, aber der tief verwurzelte Volksglaube konnte nicht ausrottet werden. Daher wurde Mittsommer kurzerhand zum Fest des hl. (keuschen) Johannes umgedeutet.
Mit einer Pflanze, die dem Gewittergott geweiht ist, lässt sich gut Wetterzauber betreiben. Beifuß wurde um Johanni gesammelt und über die Haustür und unter das Dach gehängt, um Blitzschlag abzuwehren. Gegen Hagelschlag steckte man an die vier Ecken des Feldes Beifuß in die Erde. Auch Regenzauber wurde damit ausgeübt.
Der Beifuß gilt nach Galen als heißes, trockenes Gewächs (heiß im 3. Grad - ähnlich der Brennnessel). Man glaubte, man könne zum Mittsommer unter seinen Wurzeln rubinrote, glühende Kohlen finden. Wer diese
„Narrenkohlen“ fand, der hatte wahrlich Glück. Sie sollten vor Fieber und Fallsucht schützen sowie Erfolg in der Liebe bringen. Natürlich waren sie schwer zu finden und wurden überdies von einem Zauberhund mit tellergroßen glühenden Augen bewacht. Gesucht wurde an Johanni zwischen 23:00 und 24:00 Uhr oder in anderen Regionen nur während der Dauer des Mittagsgeläuts.
Beifuß kennen wir heute hauptsächlich nur noch als Würze beim zu fetten Gänsebraten. Doch dahinter steht eine unglaublich alte Geschichte.
Zu Zeiten als man noch an die große Muttergöttin Huldr oder Hulda glaubte (wir kennen sie als Federbett ausschüttelnde Frau Holle aus den Märchen. Einst war sie eine himmelsumspannende Göttin), waren Gänse bzw. Schwäne das Symbol für neues Leben. Die Gans ist ein uraltes Symbol für die abnehmende und wieder zunehmende Kraft der Sonne. Zugleich auch das älteste Symbol des Schamanenflugs.
Die Göttin flog auf ihrem Gänserich im Spätherbst und Winter mit ihrer Schar der Hulden in wilder Jagd über das Land.
In einigen abgelegenen Gebieten - wie z.B. den Alpentälern, leben noch schwache Erinnerungen an die Göttin fort. Man spürt das Herannahen der Percht und man räuchert mit Beifuß.
Dies war die Zeit für die weisen Frauen, Schamanen und Zauberer sich selbst auf einen magischen Flug ins Jenseits zu begeben um mit ihren Göttern und Geistern zu verkehren.
Um dies zu bewerkstelligen, kochten sie eine "Flugsalbe". Dazu wurde eine Gans rituell geopfert. Das heilige Tier der Göttin wurde mit Beifuß ausgerieben, denn dieser vertrieb nachhaltig alle bösen Einflüsse.
Das kostbare Fett wurde ausgelassen und u.a. mit Bilsenkraut, Tollkirsche, Schierling… etc… gekocht. Die Giftkräuter waren dabei genau dosiert und wenn man sich mit dieser Salbe einrieb, so war es die Absicht, das Bewusstsein vom Körper abzuspalten und nun als gewordene Gans den schamanischen Flug zu absolvieren und dabei die hohe Dornenhecke zu überwinden, die die Welt der Lebenden von der der Toten trennte und mit wertvollen Botschaften daraus zurückzukehren.
Für die christlichen Missionare waren die Göttin und ihre Hulden eine böse Dämonenschar, die es zu verbannen galt. Aus der Weihegans wurde die Weihnachts- bzw. Martinsgans, die wir noch immer mit Beifuß ausreiben, weil Beifuß bei der Fettverdauung hilft.
„Was bitter ist im Mund, ist dem Magen gesund.“ Auch angeraten bei anderen fettreichen Speisen wie Aal, Hammel- oder Schweinebraten.
Doch damit ist seine Bandbreite noch immer nicht abgedeckt. Beifuß gilt auch als Pflanze der Wanderer. Bei langen Fußmärschen wurde sie
„beim Fuß“ getragen, sie sollte dem Wanderer Kraft und Ausdauer geben. Ebenso wurde er als Wurmmittel eingesetzt.
Heutzutage wird die therapeutische Verwendung einer Heilpflanze hauptsächlich von der Wirkung ihrer Inhaltsstoffe bestimmt. Auf der Grundlage von ätherischen Ölen, darunter Cineol und Thujon, Bitterstoffe, Gerbstoffe und Inulin findet Beifuß folgende Anwendung:
Als Teeaufguss bei Blähungen, Appetitmangel, Magen- und Darmkrämpfen (Nicht bei Schwangeren wegen der abtreibenden Wirkung!), zur Förderung der Monatsblutung
Als Wurzelabkochung bei epilepsieartigen Verkrampfungen
Im Kopfkissen gegen Schlafstörung. Der Duft wirkt beruhigend auf das zentrale Nervensystem. (Wirkt im Schrank zwischen der Kleidung auch gegen Motten.
Durch das ätherische Öl Thujon hat er ebenfalls psychedelische, euphorisierde, tranceähnliche, narkotische und antidotische (Gegengift) Wirkung.
Das blühende Kraut kann von Juli bis September gesammelt werden. Geerntet werden die ganzen Beifußrispen mit den graugrünen Blütenköpfchen, die sich noch nicht geöffnet haben. Gleich nach der Ernte muss man noch in frischem Zustand möglichst alle Blättchen abzupfen, weil diese, ebenso wie die braunrötlich aufgeblühten Köpfe, zu bitter schmecken und den angenehmen Geschmack der Blütenköpfchen vollständig überdecken. An einem luftigen, schattigen Ort trocknen und gut verschlossen aufbewahren. Die Wurzeln werden im Spätherbst ausgegraben. Nicht waschen, nur abgebürstet im Schatten trocknen und bei Bedarf zu Pulver stoßen.
Reinigende Beifuß-Räucherung:
Beifuß-Triebspitzen, getrocknet, 1 Tonschale gefüllt mit Sand, glühende Holzkohle oder Räucherkohle
Die glühende Holzkohle wird auf den Sand in der Tonschale gelegt. Darauf gibt man den getrockneten Beifuß.
Vorsicht in geschlossenen Räumen wegen der glühenden Kohle!!!!
Wichtigste Quelle: „Heilkräuter und Zauberpflanzen zwischen Haustür und Gartentor“ Wolf-Dieter Storl, weitere: „Das BLV Heilkräuterbuch“ Peter Spiegel, „Wildkräuter“ Siefersheimer Kräuterhexen