Gundermann
auch Donnerrebe, Engelskraut, Erdefeu, Gewitterblume, Guck-durch-den-Zaun, Gundelrebe, Heckenmännchen, Heilrauf, Totenkraut, Soldatenpetersilie, Heilreif, Huder, Zieckelkräutchen, Garten/Erdhopfen und noch viele mehr
Schon an den vielen volkstümlichen Namen kann man erkennen, wie bekannt diese Pflanze ist. Im germanischen Glauben gehörte Gundermann dem Donnergott Thor. Deswegen sollte dieses Kraut bei sich getragen auch bei Gewitter und vor Blitzschlag schützen. Unter seinen herb-balsamisch duftenden Blättern halten sich gerne die mit dem Hof verbundenen Geister und Heinzelmännchen auf.
Als Zeichen der Verbundenheit mit der beseelten Natur flocht man sich an besonderen Festtagen, wenn die Geister und Götter nähertraten als üblich, Kränzlein aus Gundermann ins Haar. Zur rechten Zeit getragen, etwa beim Sonnenwendfeuer, machte er den/die Träger/In sensibel, ja geradezu hellsichtig. Da das Kräutlein sich an jedem Knoten mit der Erde verwurzeln kann und selbst nicht in die Höhe wächst, konnte man damit verhindern, dass die Seele in der Sommerekstase zu hoch fliegt und nicht wieder herunterkommt.
Oft fand man die Heilkräuter bei den Hecken, die die Gehöfte umgaben. Dort suchten auch die heilkundigen alten Mütterchen, die für das gesundheitliche Wohl der ganzen Sippe verantwortlich waren, nach Heil- und Zauberpflanzen. Beim Sammeln und dem hineinkriechen in die Hecken und in die Natur, sahen die Frauen die ätherischen Wesenheiten, die Haus-und Hofgeister, die mit den Heilkräutern verbunden waren. Diesen alten Heckensitzerinnen (Alth. Hagesussen, heute Hexen) verrieten die Pflanzengeister ihre Namen, ihre Kräfte und die Zauberworte, mit denen sie aufgerufen werden konnten.
Für die Kelten und Germanen verkörperte die Gundelrebe, die mit Vorliebe solche Hecken besiedelte, denn sie sucht wie Holunder und Brennnessel die Nähe der Menschen, eines dieser magischen Wesen. Die Namen, die dem Kräutlein gegeben wurden erinnern an die Namen der Zwerge, Elfen und Elementarwesen: Guntermann, Gundelese, Huderich, Hedgemaid…etc.
Die Gundelrebe, das Kraut der Venus, das ein eher antipatisches Verhältnis zum griesgrämigen Saturn hat, ist dagegen ganz dem Jupiter, dem reichen Erntegott und Blitzkeilträger zugeneigt. Der joviale Götterkönig ist Herr der Tafelfreuden und der berauschenden Getränke. Den Völkern im kalten, rauen Norden erschien er in Gestalt des Donar/Thor. Wir kennen ihn als Schirmherrn des Bieres und der Bierkräuter.
Das Donnerkraut gehörte vor der Erfindung des Reinheitsgebots von 1516 zur Liste der Bierkräuter und wirkte aphrodisierend.
Gundermannbier war bei den Engländern derart beliebt, dass sie ihre Bierschenken als Gill-house (Gundermannhaus) bezeichneten. Erst durch die Mönche kam beim Bierbrauen der Hopfen ins Spiel, weil dieser den sexuellen Trieb beruhigt.
Seit dem Reinheitsgebot sind die anderen Bierkräuter verschwunden. In England war übrigens der Hopfen –
„ein böses Kraut, das den Geschmack des Bieres verdirbt, die Menschen krank macht und ihr Leben verkürzt“ (John Evelyin,
Pomona, 1670) – bis weit ins 14. Jahrhundert verboten, bis zur Zeit Heinrichs VI. (1556) verpönt und wurde erst im 17. Jhd. in größeren Mengen angebaut.
Haltbar machende Bierkräuter waren bis dahin: Heidekraut, Dost, Schafgarbe, Wermut, Mädesüß, Fieberklee, Ginster und so manches rauschsteigernde, aphrodisierende Nachtschattengewächs wie das Bilsenkraut.
Gundermann gehörte auch dazu.
Wollte man Gundermann sammeln, musste man den Geist der Pflanze vorher als Ritual ansprechen. Er wurde als „Ältester“, als „Mutter“ oder gar als Gottheit angerufen und, wie der Beifuß im angelsächsischen Neunkräutersegen an das Versprechen erinnert, das er den Menschen einst zu Anfang der Zeiten gegeben hatte.
Noch im MA, lange nachdem die Europäer Christen geworden waren, gehörte das richtige Ansprechen der Pflanze zum Ritual des Heilpflanzensammelns.
„Guntreben Ger (Ger = Speer oder Schössling), ich brech dich zu unserer lieben Frauen Ehr und zur Ehr unseres lieben Herrn Jesus Christ.“
Im Mittelalter verwendete man die Pflanze als Schutz gegen Hexen und schwarze Magie, besonders beim Melken von Kühen. Ein Zweig der Pflanze, den man bei sich trug, sollte einen dafür beschützen, von Feen geraubt zu werden. Ein Kranz aus Gundelrebe in der Walpurgisnacht getragen, konnte für den Träger Hexen enttarnen. Dadurch, dass Schemel, Milchkanne oder eine Kutschbank, die sie auf ihrem Kopf trugen, sichtbar wurden.
Eine thüringische Sage erzählt von einer Dienstmagd, die sich mit einem Gundermannkranz auf dem Kopf an einem Sonntag zu Walpurgis in die Kirche begab. Zu Ihren Entsetzen sah sie, dass fast alle Frauen, die brav in ihren Bänken beim Gottesdienst saßen, Hexen waren. Sie konnte sehen, wie sie dem Altar den Rücken gekehrt hatten und ihre Seelenleiber auf ihren Besen, Backschaufeln und in Trögen durch die Luft schwirrten. Die Hexen bemerkten, dass sie enttarnt waren und prügelten das arme Ding anschließend fast zu Tode.
Gundermann wurde über Jahrhunderte als Mittel für gute Milchzauber verwendet. Die Kuh war der wichtigste Besitz des Bauern als Nahrungsgeberin und liebe Hausgenossin zugleich. Erkrankungen des Euters und der Zitzen erforderten aufwändige Heilungsrituale.
In den frühen Morgenstunden ging der Bauer, dessen Kuh keine Milch mehr gab, zum Gundermann. Dreimal sprach er die Zauberpflanze mit bestimmten Worten an. Dann pflückte er das Kraut und übergoss es mit Milch, ließ den Gundermann trocknen und gab ihn dann mit Milch dem Vieh zu fressen.
„Guntreben, unser Herr hat dir Gnad gegeben, Gott gebe einen Streich auf die Milch und bring mir das mein und jedermann das sein.“
In einem Zauberbüchlein, verfasst von Albertus Magnus steht:
Wenn einer Kuh das Euter verhext ist, so soll man 3 Kränzlein von Gundelreben winden und jeden Streich dreimal hinten durch die Füße melken. Danach gibt man der Kuh die drei Kränzlein zu fressen und spricht dazu: Kuh, ich geb dir Gundelreben, dass du mir die Milch wollst wiedergeben.
Der Gundermann stand unter der Herrschaft der Venus und des Jupiters, aber eine weitere planetische Signatur offenbart sich. Als Beschützer der Kühe und der Milch weist es auch die Signatur des Mondes auf. Den Alchimisten galt die frische Milch ebenso wie gefallener Schnee, Regen und die sich ständig neu formierenden Wolkengebilde als neu geschaffene Materie. Alles, was aus dem Unsichtbaren neu erscheint, alles, was noch rein und unschuldig, unverändert und unbearbeitet ist, hat seinen Ursprung in der lunaren Sphäre, im Mond.
Schon unsere steinzeitlichen Vorfahren kannten das Kraut als starke Heilpflanze.
Gund im Gundermann führen die Sprachkundler auf ein altgermanisches Wort zurück, das Eiter bedeutet.
Das Kraut wurde als Wundheilpflanze bei eitrigen Geschwüren und schlecht heilenden Wunden verwendet. Als Heilmittel bei Lungenentzündung erhitzten die alemannischen Kräuterfrauen schon in heidnischen Zeiten Gundelrebenkraut in Ziegenmilch. Im Gegensatz zu Wasser nimmt das Milchfett die flüchtigen ätherischen Öle auf. Diese werden – ähnlich wie Knoblauch – über die Lunge ausgeschieden, wobei sie antiseptische, schleimlösende Wirkung entfalten.
Noch bis in die Neuzeit war Gundermann Bestandteil der Gründonnerstagssuppe (hervorgegangen aus der Neunkräutersuppe der Germanen). Auch den Geißlein gab man davon zu fressen, damit sie kräftig wurden.
Der eigentliche Grund jedoch, warum man Ziegen die grüne Kraftsuppe vorsetzte, ist heute in Vergessenheit geraten. Die weiße Geiß, die in den ersten Frühlingstagen ihre Jungen zur Welt bringt, galt bei den indoeuropäischen Völkern als das Tier der Göttin, die die wonnige Jahreszeit wiederbringt und Feld und Wiesen ergrünen ließ. Im Alten Griechenland war die Ziege der Artemis, bei den alemannischen Vorfahren der Freya geweiht. Die Ziege ist die Göttin in Tiergestalt. Sie ist wie diese das Symbol der Wollust, der Fortpflanzungskraft und der Fruchtbarkeit.
Von Freya und ihrer Lüsternheit wird in der Edda berichtet:
„Du ranntest nach Od(in) immer lüstern, und andere schlüpften dir unter die Schürze; du läufst, edle Freundin, draußen zur Nachtzeit, wie den Böcken Heidrun (die Ziege) nachrennt.“
Der Ziegenbock war das Symbol für überschäumende männliche Lebenskraft, Geilheit und Fruchtbarkeit. Pan, der lüsterne Gott der Antike, und Dionysos, der Gott des Rausches, wurden mit dem Ziegenbock assoziiert. Donars Wagen wird von zwei Ziegenböcken gezogen.
Da die Gundermannpflanze sowohl der Ziegengöttin Freya als auch Donar/Thor, dem „Bock“ heilig waren, ist nun klar, warum die Zicklein in den Genuss kamen und auch warum der Gundermann in Ziegenmilch zu Heilzwecken gekocht wurde.
Selbstverständlich hatte Hildegard von Bingen (1098 – 1179) mit den alten Heidengöttern nichts im Sinn, dennoch verhalf sie den alten Kräutern wieder zur Ehre, denn am Anfang der christlichen Missionierung waren sämtliche Heilpflanzen verboten, die nicht in der Bibel standen. Sie galten als die Machtpflanzen der heidnischen Schamanen.
Tatsächlich ist das“ lästige“ Gartenunkraut eine große Heilerin: Aufgrund der Saponine und der ätherischen Öle wirkt Gundermann schleimlösend. Aufgrund der enthaltenen Bitterstoffe, regt es die Verdauung an und stärkt in Maßen Herz und Leber. Die ebenfalls enthaltenen Gerbstoffe haben die Eigenschaft, wundes, verletztes, eiterndes, wässriges, gequetschtes und schlecht heilendes Gewebe zu festigen und zu trocknen. Auch bei eiternden Zähnen und wundem Zahnfleisch sowie bei leichten Durchfällen. ¬Noch eine wichtige Eigenschaft weist der Gundermann auf: Als Tee zubereitet oder als Salatbeigabe fördert das Kraut die Bleiausschwemmung aus dem Körper. Büchsenmacher und Maler verwendeten es traditionell zu diesem Zweck um einer Bleivergiftung vorzubeugen.
Vorsicht: Für manche Tiere ist Gundermann giftig. Menschen sollten ihn vorsichtig dosieren und nur in Maßen genießen, denn er schmeckt sehr intensiv.
Quellen: "Heilkräuter und Zauberpflanzen zwischen Haustür und Gartentor", sowie "Die Unkräuter in meinem Garten" - beide von Wolf-Dieter-Storl