Das ist eine der schwierigsten Fragen für unsereins neben den sich eventuell stellenden medizinischen Fragen.
Das Doppelleben ist in jeder Hinsicht anstrengend und mich reißt das psychisch auch immer mal ziemlich runter, weil man einfach merkt, dass man nicht immer so sein kann, wie man ist.
Privat lebe ich weitestgehend als Frau (ohne OP) und bevor ich irgendwo in meiner männlichen Erscheinungsform hingehe (weil es angeblich so sein muß /soll), bleibe ich lieber zuhause. Das tue ich mir nicht mehr an.
Im Beruf (ich bin selbständig mit gleichberechtigten Partnern und Angestellten) bin ich leider noch nicht so weit. Es ist intern zwar bekannt und an Tagen, an denen kein Kundenverkehr ist, kann ich auch als Martina arbeiten. Ich persönlich glaube zwar nicht, dass es mit nennenswerten finanziellen Einbußen verbunden wäre, aber man weiß es nicht. Und wenn es Einbußen geben sollte, wäre ich ja nur nicht alleine davon betroffen. Aber ich habe von meinen Partnern das okay dafür, wenn es für mich nicht mehr anders gehen sollte. Sie sind bereit, diesen Weg mitzugehen einschließlich der Nachteile.
Während ich es privat nahezu unerträglich empfinde, kann ich während der Arbeit noch halbwegs damit leben, da ich dann so auf meine Arbeit konzentriert bin, dass ich das andere ausblende.
Aber es kann durchaus sein, dass der Leidensdruck irgendwann so groß wird, dass es sein muß. Dann hat es auch überhaupt keinen Sinn, das Doppelleben noch zu führen. Ich glaube, wenn dieser Punkt erreicht ist, hat man eigentlich keine andere Wahl. Man schadet sich selbst und in der Folge auch seiner Familie. Letzteres kann natürlich trotzdem passieren, wenn man z.B. seinen Job aufs Spiel setzt. Genau deshalb hat man keine Wahl.
Bevor ich mich innerhalb meiner Familie und dann in meinem privaten Umfeld geoutet hatte, ging es mir immer schlechter, worunter auch das Familienleben gelitten hat. Irgendwann hatte es sogar so massive psychische und körperliche Auswirkungen, dass es fast nicht mehr möglich war, zu arbeiten. Ein Psychiater hat mir dann unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass das so nicht mehr lange gutgeht. Wenn ich unter der Erde liege, nutze ich niemandem mehr, auch nicht meinen Angehörigen. Wenn ich jedoch so lebe, wie ich einfach bin, dann verliere ich vielleicht meinen Job und auch vielleicht meinen Partner/in oder andere Angehörige oder Freunde, aber eben vielleicht auch nicht. Es gibt zumindest eine Chance, dass man nicht alles verliert und selbst wenn man Verluste hinnehmen muss, geht das Leben weiter und es ergeben sich neue Perspektiven. Auch für mich sind privat einige Türen zugegangen, dafür haben sich völlig unerwartet neue geöffnet.
Man muss sowohl sich selbst (in allererster Linie) wie auch seinem Umfeld klar machen, dass das nichts ist, was man sich freiwillig ausgesucht hat, sondern dass man eben genauso ist und auch schon immer so war, es vielleicht nur nicht gezeigt hat und auch für sich selbst sehr lange dazu gebraucht hat, es zu merken. Wenn von heute auf morgen eine Krankheit oder Behinderung auftritt (Nein! - Transsexualität ist keines von Beiden!), muss man sich wohl oder übel auch damit abfinden und sein Leben neu gestalten. Auch da hat man keine Wahl.
Das jetzige (Doppel)-Leben ist nicht ausschließlich super und das Leben danach wird es genauso wenig sein - nur anders. Aber auch mit schönen Momenten und Begegnungen.
Wenn man das so dahinschreibt, klingt es so einfach und logisch, ist es aber leider überhaupt nicht. Ich beneide keinen Menschen in dieser Situation und kann sehr stark mitfühlen. Ich wünsche all denjenigen viel Kraft und Mut.