Maggie
Es war in den frühen 80ern – wir lebten in einer tollen Zwischenzeit, ganz im Hier und Jetzt. Der Kindheit und der heiklen Phase der Pubertät entflohen lag die Welt der Erwachsenen noch weit am Horizont entfernt.
Maggie hieß eigentlich Margarete – bereits in den 80ern ein schrecklich veralteter Name. Eine Freundin führte sie in unserer Clique ein. Keiner mochte über die Äußerlichkeiten hinwegsehen und so kam es, dass sie am Rande saß. Sie trug wie wir alle geflickte Jeans aber ihr T-Shirt war verwaschen und löchrig. Nicht das sie arm war – aber ihre Eltern hielten sie kurz - wie wir früher dazu sagten.
Die Jungs redeten abfällig, weil sie eine ziemlich dicke Brille trug und roch. Glasbausteine allererster Güte – die beim Näherkommen die Augen unnatürlich vergrößerten... Unglücklicherweise hatte sie Zahnpflege und regelmäßiges Waschen Zuhause nicht gezeigt bekommen.
Fragt nicht – ich denke die anderen Mädchen halfen ihr nicht, weil sie sahen das sie den knackigsten Körperbau hatte und mit zwei, drei Kniffen an ihrem Erscheinungsbild alle in den Schatten stellen würde.
Wir kamen ins Quatschen und verstanden uns von der ersten Sekunde. Keine Ahnung – es war einfach ein vertrautes Miteinander, ganz unverstellt redeten wir über unsere Träume und Vorstellungen vom Leben – nicht wie ein Liebespaar sondern wie langjährige Freunde.
Später am Abend brachte ich sie Nachhause und sie spielte mir ihre Lieblingsmusik auf dem Kassettenrekorder vor, während sie sich aus der Jeans pellte und im Slip und Shirt unter die Bettdecke schlüpfte.
Ich legte mich hinzu und nahm ihren intensiven säuerlichen Körpergeruch deutlich wahr. Als sie über die bevorstehende Party redete und fragte ob sie wohl bei meinem Kumpel Karsten aus unserer Clique eine Chance hätte gestand ich ihr ganz unverblümt, dass halt allen auffällt das sie mit einem dicken Pelz auf den Zähnen rumläuft. Man riechen könne das sie sich nur selten duscht. Und dass die Jungs über ihre kaputten löchrigen Shirts heimlich lachten.
Das war gelogen – in Maggies Abwesenheit waren sie noch viel derber und lästerten übelst abwertend – wir Jungs können halt echte Arschlöcher sein...
Sie erstarrte kurz und bekam einen roten Kopf. Pragmatisch sagte ich ihr, das wenn sie sich regelmäßig vor dem Ausgehen duschen und die Zähne putzen würde und sich dazu ein neues Shirt besorgen würde, dass sich dann alle Jungs nach ihr umdrehen würden, weil sie vom Körperbau der heißeste Feger unserer Stadt sei. Nur müsse sie dann ihre Brille aufbehalten, weil sie sonst mit ihren strahlenden Augen alle blenden würde.
Letzteres war nicht geschmeichelt – ich verstand es damals nicht, warum niemand so einem lieben und fröhlichen Wesen wie Maggie nicht einfach die Wahrheit sagte. Sie war zwar schüchtern aber nicht dumm – ich sah keinen Grund sie nicht auf ihren blinden Fleck aufmerksam zu machen. Zum Glück waren wir von der ersten Sekunde so vertraut, dass ich mich leicht dabei tat, ihr zu gestehen was mir an ihr auffiel.
Zwei Tage später war ich bei ihr eingeladen. Ich parkte meinen Zweipedal-Tret-Chopper auf dem Rasen und klopfte an ihr Fenster. Der Coolnessfaktor gebot damals, dass man durch das Fenster eintrat, obwohl ihre Eltern nichts gegen männlichen Besuch hatten. Das was ich sah brachte mich dazu, am Fensterrahmen zu straucheln und mehr oder weniger hinein zu stolpern…
Vor mir stand Maggie in einer nagelneuen, hautengen Jeans und einer gut geschnittenen weißen Bluse. Aber was mich wirklich flashte, war ihr tolles Strahlen.
Sie erzählte mir das sie ihrer Mutter alles erzählt hatte, was ich ihr gesagt hatte, woraufhin ihre Mutter spontan ihre Handtasche holte und sie zusammen einkaufen gingen. Maggie zeigte mir voller Stolz ihre neue Jeansjacke und auch eine Sonnenbrille fehlte nicht. Sie wirkte zweifach frisch - sauber geduscht und wie neu geboren…
Ich weiß noch das ich in dem Moment meinen Freund Karsten beneidete und mich feige hinter meiner damaligen Lieblingsrolle als cooler einsamer Kumpelwolf versteckte.
Zwei Abende später auf der Party toppte sie ihr Erscheinungsbild noch einmal. Geht doch – ihre Freundin hatte sie geschminkt und die Haare gemacht. Sie lachte mich an und flüsterte „Sag niemanden das ich ohne Brille blind bin wie ein Maulwurf“. Ich lachte „Ist vielleicht auch besser so – dass Du nicht mitbekommst das alle Blicke auf Dich gerichtet sind“.
Irgendjemand legte Maggie May von Rod Stewart auf, woraufhin sich alle hüftschwingend auf die Tanzfläche bewegten. Nach wenigen Augenblicken legten wir uns alle gegenseitig die Arme auf die Schultern und bildeten einen Kreis. Zum Takt der Musik bewegten wir uns im Kreis immer wieder aufeinander zu. Die Mädchen aus der Clique wussten von Maggies Schwärmerei und halfen in dem sie dafür sorgten, dass sich beide gegenüber bewegten und sich näher kamen. Am Ende des Liedes fegte einer schnell zum Plattenspieler und startete das Lied von neuem. Alle sangen mit und wir sahen zu wie sich die Blicke der beiden trafen.
Alle waren glücklich und lachten. Nach dem dritten oder vierten Mal rief einer das wir dieses Lied nun die ganze Nacht spielen. Und das taten wir – sahen wie sich zwei fanden und irgendwann zu zweit aneinander gekuschelt in unserer Mitte tanzten. Wir lachten, tranken und sangen bis zum Morgengrauen. Die Zeit schien stehen geblieben zu sein – das Glück des Augenblicks war mit uns auf Endlosschleife...
Die Legende sagt, dass das Lied sechs und halb Stunden am Stück gespielt wurde. Maggie war sprichwörtlich in unserem Kreis angekommen und blieb dort – auch als nach wenigen Monaten die Liaison mit Karsten zerbrach war sie mit ihrer Art und Erscheinung der Herzens- und Augenstern von uns allen geworden.
Prolog:
Ich habe Rod Stewart Anfang der 90er live auf einem Open-Air-Konzert zusammen mit Tina Turner gesehen und ihn zuletzt vor drei Jahren erlebt, wie er mit über 70 Jahren in Hamburg die Bühne gerockt hat. Und ja bei Maggie May habe ich auch heute noch jedes Mal Glückstränen in den Augenwinkeln...