Zum leben und Arbeiten in den U.S.A.
Ich habe zweieinhalb Jahre in den USA gelebt und gearbeitet. Bin im Rahmen einer Entsendung für ein französisches Unternehmen in Indiana gewesen. Meine Einschätzung beruht auf dem, was ich in dieser Zeit gelernt habe.
Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich mir den Wunsch von Otto-Normal-Verbrauchern in die USA auszuwandern nur mit Blauäugigkeit erklären kann. Auch wenn es in den verschiedenen Staaten große unterschiede gibt und ich hier nur über meine Erfahrungen aus Indiana spreche, kann man davon ausgehen, dass es überall unterschiede zu Deutschland gibt, die nicht unbedingt nur positiv sind.
Arbeiten:
Bei der momentanen Wirtschaftslage werden nun nicht gerade alle Arbeitgeber hier schreien, wenn ein Ausländer an die Tür klopft - ganz zu schweigen von den Kollegen. Es kommt also sehr stark auf den Beruf und die Erfahrung an, ob man überhaupt eine Chance hat. Außerdem führt der Weg zum Arbeitsvertrag, bei Betrieben mit Union (Gewerkschaft), nur über diese und über die Mitgliedschaft in der Selben - klar das an dieser Stelle US-Staatsbürger bevorzugt sind.
Wer dort als Angestellter arbeiten will, kann sich schon mal von den Standards des deutschen Arbeitsrechts verabschieden. Arbeitsverträge sehen da gerne mal wie folgt aus:
Den Paycheck gibt's wöchentlich (hourly) oder zweiwöchentlich (salary)
Die Kündigungsfrist ist entsprechend (ein oder zwei Wochen)
Suspendierungen (unbezahlt) sind gebräuchliches Disziplinarmittel
Kurzarbeit gibt es dort ggf. auch, nur leider unbezahlt
Urlaub im ersten Arbeitsjahr = 0
Urlaub ab dem zweiten Jahr Betriebszugehörigkeit = 1 Woche
Urlaub ab dem fünften Jahr Betriebszugehörigkeit = 2 Wochen
Urlaub ab dem zehnten Jahr Betriebszugehörigkeit = 3 Wochen
High End 4 Wochen Urlaub nach 15 Jahren Betriebszugehörigkeit
Überstunden werden zwar bei "hourly"-Verträgen bezahlt,
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt es aber erst mal nicht.
12 Std Schichten an 7 Tagen in der Woche sind möglich
Bei "salary"-Verträgen ohne Zusatzvereinbarung sind Überstunden abgegolten - also reines Privatvergnügen
Krankenversicherung zahlt man selbst, aus dem Nettogehalt
Es gibt zwar oft einen gesetzlichen Mindestlohn, der ist aber i.d.R. zum leben zu wenig und zum sterben zu viel (in IN vor 6 Jahren $5,74)
Leben und Wohnen:
Um eine Wohnung, Telefon, Internet, Fernsehanschluss zu bekommen wird gerne mal der sogenannte Credit-Score verlangt. Das ist ein Bewertungssystem der Kreditwürdigkeit, nur dass es einem, anders als bei der SCHUFA, nicht weiter hilft keine Eintragungen zu haben. Ein schlechter oder gar ein Credit-Score von NULL bedeutet vielfach, keine Chance auf eine bezahlbare Wohnung in einer vernünftigen Gegend. Ein schlechter C-S macht den Mietzins auch gern mal teurer.
Ausweg aus dieser Klemme: Ihr habt einen Bürgen, mit dessen Hilfe Ihr bei einer Bank einen Kredit bekommt, den Ihr nach einigen Monaten vorzeitig ablöst oder Ihr kauft ein Haus und zahlt in Bar (soweit das Euer Aufenthaltsstatus zulässt). Letzteres löst aber noch nicht automatisch das Problem mit dem Telefon.
Positiv:
Ich habe die Amis (privat) eigentlich immer als recht offen und neugierig, (weil ahnungslos) was Menschen aus anderen Ländern betrifft, erlebt. Nur mit Themen wie Politik und Religion sollte man dabei echt vorsichtig sein. Da trifft man (vor allem in ländlichen Regionen im Mid-West und im Süden des Landes) gern Mal auf extreme Ansichten.
Unterm Strich:
Die USA sind definitiv eine Reise Wert, aber auswandern?!
Richtig Spaß macht das glaube ich nur Leuten, die sich ums Geld verdienen keine Gedanken mehr machen müssen oder denen, die lieber dort unter einer Brücke schlafen (weil das Wetter unter Umständen besser ist). Wobei letztere ohnehin keine Chance haben einen legalen Aufenthaltstitel zu bekommen und es wahrscheinlich schon am Flug scheitern würde.
Zumindest praktikabel ist eine (zeitweise) Übersiedlung für Leute, die von einem Arbeitgeber geschickt bzw. geholt werden oder eine außergewöhnliche Geschäftsidee, mit dem nötigen Kleingeld sie auch umzusetzen und im Notfall die Reissleine ziehen zu können, im Gepäck haben.
Alle Anderen sollten es vielleicht lieber bei dem Traum belassen. Es ist nicht jeder ein "Conni Reimann"
LG
Er von IRVO