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COVID

COVID
Es gibt so Monate, da habe ich so etwas wie "Schreibdurchfall". Vielleicht ist es auch die persönliche Lebenssituation, dass ich nur unter höchstem Druck arbeiten kann - oder vielleicht auch nur eine Muse, die mich hier inspiriert hat schmunzel - gewöhnlich schreibe ich nicht so schnell nacheinander. Diesmal geht es aber nicht anders, ist zu aktuell. Ich wünsche Euch viel Vergnügen.
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Diffuses Grau sickerte ins Zimmer und gab den Möbeln Kontur. Hartwig schlug die Decke zurück, tapste auf nackten Füßen zum Fenster und öffnete es.
Es war kurz vor zwei in der Nacht und nichts mehr los. Hier, in ihrer Gegend, wurden abends die Bürgersteige hochgeklappt. Sogar die kleine Kneipe an der Ecke zur Fritz-Reuter-Straße hatte schon geschlossen. Nur auf dem Obotritenring, einige Blocks entfernt, fuhren noch ein paar Autos; aus einem großen weißen Mercedes in der Fritz-Reuter Straße stieg Zigarettenrauch in die Luft und irgendwo jaulte eine Katze, eine andere antwortete ihr - ein verliebtes Zwiegespräch auf katzisch, das erst endete, als wieder eine Polizeistreife vorbeifuhr. Eine von viel zu vielen, doch ihn hatten sie nicht erwischt. Noch nicht.

Von überall her brüllte es ihn an, aus dem Fernsehen, aus dem Radio, aus Zeitungen, selbst aus der Werbung, Dumm-Dumm-Geschosse mitten ins Kleinhirn. Uninspiriert, nahezu gelangweilt, unauffällig, aber stets präsent; Macht, die nichts fürchtete außer eine größere Macht. Er hatte sich aufs Bike gesetzt und war losgefahren.

Er schloss das Fenster wieder und drehte sich um. Wie ein Schleier fielen Joannas Haare bis auf den Parkettboden und genau da glänzten sie in einem Mondstrahl, als wären sie aus rotem Metall. Der Nachttisch daneben war ihre Kleiderablage, zuunterst die Bluse; dann der lange Rock, das seidene Unterkleid; als letztes Büstenhalter und Slip und davor standen, sauber ausgerichtet, ihre Pumps. In dieser Reihenfolge hatte sie sich ausgezogen; nahezu bedächtig unter seinem Blick die Knöpfe der Bluse geöffnet, den Metallreißverschluss auf der Rückseite ihres Lederrocks so langsam nach unten gezogen, als würde dieses Geräusch etwas bedeuten und keine Sekunde hatte sie ihn dabei aus den Augen gelassen. Er sie auch nicht und nicht einen Moment hatte er daran gedacht, die Vorhänge vor das Fenster zu ziehen.

Er legte sich wieder zu ihr. Sie küsste ihn mit geschlossenen Augen auf den Mund und ihre Lippen waren so trocken wie seine. „Habe ich dir weh getan?“

„Dazu hast du zu kleine Hände.“ Er drehte sich ein wenig, um sie anschauen zu können.

„Dann bist du mir nicht böse?“

Ihr Lächeln machte sie wieder zu einem jungen Mädchen. Sie hatte ihn geschlagen, als sie die Lust geschüttelt und sie es herausgeschrien hatte. Oder geschlagen und dann war die Lust gekommen - er wusste es nicht mehr so genau, sein Blut war gerade überall unterwegs gewesen, nur nicht in seinem Gehirn.

Er strich ihr ein paar Haare aus der Stirn. „Doch, bin ich. Aber schon länger. Weil du deine Lederhandschuhe nicht ausgezogen hast am ersten Abend, als du mir die Hand gegeben hast. Das hat mich geärgert. Es war ... kalt.“

„Du Dummerchen, es war Selbstschutz. Du standest in der Tür, hast mich aus den Augenwinkeln angesehen, obwohl du mit meinem Vater gesprochen hast, und da war es schon zu spät. Hätte ich dich berührt, wäre ich noch in der Nacht über dich hergefallen. Hast du das nicht gespürt?“

Nette Vorstellung. Sechzig Kilogramm Frau, die über einen Zweizentnermann herfielen, Mädchenträume einer Zweiundfünfzigjährigen. Es konnte nur eine Lüge sein, aber sie gefiel ihm. „Nein. Ich bin ein Mann. Männer spüren nicht, dafür sind Frauen zuständig.“

Sie lachte leise, schob ein bestrumpftes Knie zwischen seine Beine und zog mit den Fingernägeln eine feuerrote Spur auf seiner Brust abwärts. „Sicher?“

Weiter nach unten ließ sie ihre Hand gleiten, verhielt auf seinem Unterleib und fast schmerzhaft zog sich seine Haut unter ihrer Berührung zusammen. Noch weiter abwärts ... die Finger schlossen sich um sein Glied, erhöhten den Druck ... er stöhnte: „Hey, ich denke nicht ...“

„Hör auf zu denken!“



Er setzte sich vorsichtig auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Unter seinem Blick schlug Joanna die Augen auf und er sagte dass erste Beste, was ihm durch den Kopf schoss: „Meinetwegen hättest du die Strümpfe ausziehen können. Brauchst du sie?“

„Du Dummerchen, Frauen brauchen schon lange keine Strümpfe mehr. Männer brauchen sie ...“

Sie rollte sich zur Seite, streifte ihre Nylons von den Beinen und warf sie achtlos auf das Nachtschränkchen. Dann stupste sie ihn mit einem Finger auf die Nase.

. „Du hast einen Ausdruck im Gesicht, als wäre dir Superman über den Weg gelaufen.“

„Eher Supergirl.“

„Das meinte ich nicht.“

Sie lächelte nicht bei seinem Kompliment. Er auch nicht, weil es keines gewesen war und er wusste, dass sie es auch nicht so verstanden hatte. Er konnte nicht aus seiner Haut heraus. Besser, aus seinem Kopf und der musste denken, immer und manchmal verirrte er sich auf Abwege. Seine Kopfschmerzen wurden schlimmer und er rieb sich die Schläfen.

„Ich hasse Superman. Dafür, dass es ihn nicht gibt. Die Erde ist voller Wunder und Geheimnisse, die entdeckt oder bestaunt werden wollen. Das hier ist ein Wunder. Dass du neben mir liegst. Milliarden Menschen und dieses Wunder könnte jeden Tag Milliardenmal geschehen. Stattdessen bringen wir uns gegenseitig um, sperren uns aus, reden nicht miteinander, sondern gegeneinander, weil der andere immer der Feind ist. Milliarden werden ausgegeben, um außerirdische Intelligenz zu finden und Billiarden, um die einzige Intelligenz, die wir kennen, nämlich die hier auf der Erde, auszurotten. Es hat schon seinen Grund, dass alle Teleskope, die nach Intelligenz suchen, von der Erde weggerichtet sind.“

„Du glaubst noch an Wunder. Etwa auch an Gott?“

„Ich bin bis jetzt ganz gut ohne ihn klar gekommen. Nach Gott schreien die Leute immer nur, wenn etwas nicht so funktioniert, wie sie es wollten. So lang es ihnen gut geht, scheren sie sich einen Dreck um ihn. Und du?“

„Ich muss nicht an ihn glauben. Ich weiß, dass es ihn gibt.“

„Dann hol ihn mal aus dem Urlaub zurück. Wenn ich mich in der Welt so umschaue, sieht mir das eher nach Teufels Beitrag denn nach Gottes Werk aus. Alles, was Menschen noch einfällt, sind Außerirdische, Superkräfte, Zauberer, Zwerge, Drachen und Vampire; Waffen, Kriege und Bücher über die Liebe in einer Welt nach einem Atomschlag. Das ist nur noch krank. Physik, Mathematik, Biologie - alles wird zum Schlechten benutzt und Menschlichkeit findet nicht mehr statt. Der Mensch ist des Menschen Feind. Es ist zum Kotzen. Die Menschheit ist so degeneriert, dass heutzutage Zwerge lange Schatten werfen und als Leuchten der Gesellschaft gelten, die selbst die dekadenten Römern nichtmal mit ihrem Arsch angesehen hätten. Was so ziemlich alles über unsere Zeit und Gesellschaft aussagt. Wird Zeit, dass Dein Gott wieder an die Arbeit geht.“

Joanna legte ihren Kopf auf seine Brust. „Ich liebe es, wenn du schmutzige Worte sagst. Was wäre denn ein wirkliches Wunder für dich?“

„Dass es in dieser Scheißwelt immer noch Menschen gibt, die an sie glauben, die Hoffnung nicht aufgeben und für sie kämpfen.“

„Darin haben wir Übung, weißt du? Und wir geben niemals auf, seit ungefähr zweitausend Jahren nicht. Da war heute übrigens ein ganz besonderer Tag.“

Plötzlich konnte er doch lächeln, trotz seiner Kopfschmerzen. Irgendwie drehte sie immer alles ins Positive und vielleicht war das der Grund, warum er sie so sehr liebte. Plus und Minus, das Männliche und das Weibliche, die Jungen und die Alten - sie alle gehörten zusammen und keine Polizeistreife dieser Welt würde daran etwas ändern können.

„Ich weiß“, erwiderte er und: „Frohe Ostern.“

RHCSo, Ostern 2020
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