Uigeadail
Er war chancenlos. Verzweifelt versuchte er, eine sinnvolle Abfolge von Buchstaben niederzuschreiben, Worte zu formen, weich und sanft sollten sie sein, elegant wie Audrey Hepburn, und am Ende eine Ode werden, eine Liebeserklärung an eine längst verflossene Liebe. Doch das weisse Papier lachte ihn nur aus, als wolle es ihm demonstrieren, dass er eine würdeloser Haufen beliebiger Biomasse sei, ein Niemand, ohne sie, die es nicht mehr gab in seinem Leben. Unerträglich war sie, diese Stille und diese Leere, die ihn bedrohten, und das Papier schien gemeinsame Sache mit ihnen zu machen. Das so geformte Nichts begann, ihn aufzufressen; wie in der unendlichen Geschichte würde am Ende nichts von ihm übrigbleiben. Dabei war die Geschichte doch zu Ende und gar nicht unendlich?Der Ardbeg Uigeadail war zwar schon in seinem Glas, aber er konnte sich nicht durchringen, den ersten Schluck davon zu nehmen. Er wusste, die Fassstärke würde seine Sinne trüben.
Tausende von Ameisen fühlte er seinem Bein hochkrabbeln, doch es war ihm jede Millisekunde gewahr, dass dies nur Streiche seines Vegetativums waren. Die virtuellen Ameisen krabbelten seinen Körper weiter hoch, wichen den delikaten Stellen seiner Lende elegant in zwei sich teilenden Strömen aus und vereinigten sich darüber zu einem Heer von Mikro-Soldaten. Sie marschierten weiter himmelwärts, bis sie den Kopf erreichten, seine Kopfhaut umstellten und in ihm dann auslösten, was folgte: Seine Liebeserklärung, die heraussprudelte wie ein Geysir, unkalkulierbar, und so echt.
«Du verdammte Nutte, hast mich verlassen. Macht Dein neuer Mann mit Dir das, was ich Dir angetan habe? Ich hasse Dich gerade so sehr, dass ich Dich züchtigen will, Schmerzen zufügen, wie damals am Andreaskreuz. Erinnerst Du Dich? Damals, als die fiesen, von zahllosen Verwendungen zuvor ausgefransten Lederriemen meiner Peitschen Deinen Rücken und Deinen Po trafen, ihn kunstvoll mit der Kalligraphie meiner Zuneigung verzierten. Damals, als Du schmutziges Weibsbild getropft hast vor Lust, weil meine Boshaftigkeit dieses Gefühl des süssen Missbrauchs in Dir auslöste. Wie sehr es mir egal wäre, jetzt gerade, ob Du wimmerst oder stöhnst. Die Kombination aus meiner Kraft und Lust würde Dich von den Gerätschaften entfesseln und gleich zu Boden drücken, Dein Fleisch teilen, Dir die Luft nehmen. Du kennst sie, meine Hand, und alleine der Anblick würde Deinen Verstand austrocknen, währenddem Deine Flüssigkeiten zu fliessen begännen. Später würden sie sich vermengen mit den Meiningen, zu einem unbezahlbaren Cocktail der Liebe sich komponieren. Die innere Erlösung würde aus Deinen Augen strömen, fast greifbar, und mich in den Bann ziehen. Ich hasse Dich. Weil ich Dich liebe.»
Sollte er unterzeichnen, ihr das Papier gar zusenden? Doch sie war verzogen, er kannte ihre neue Adresse nicht. Und überhaupt, dachte er.
Er steckte sich eine Zigarre an, dann zerknüllte er den Brief und warf ihn vor seine Füsse, wo er wie ein millionenfach vergrössertes Virus lag, eine ganze Stunde lang, bis von der Partagas nur noch ein kurzer Stummel war und sich die Schärfe des Rauches auf seine Reaktion übertrug: Mit der letzten Glut des Tabaks schickte er das Papier, dieses freche, von ihm gezeichnete Knäuel in die Agonie. Zuerst waren es nur Brandspuren, leichte Verbrennungen, die das Elaborat von vorhin brandmarkten. Was für ein böses Spiel, freute er sich. Doch dann frassen die Flammen weiter, bis am Ende nichts mehr da war ausser Asche und Staub. Nicht nichts, aber fast.
Zufrieden nahm er den Tumbler, erhob sich von seinem Sitz und verrieb mit seinem Schuh das freche Ding, als müsste er eine Zigarette ausdrücken. Er setzte das Glas an seine Lippen, blickte noch einmal auf die schwarzen Spuren am Boden und sagte mit abschätzigen Lächeln: «Slàinte»