Sockenmädchen
Sie, dieses Mädchen, es ist eigentlich gar keines mehr. Das Alter, in welchem man Söckchen getragen hat, in Unschuldsweiss, die sind eigentlich schon längst vorbei; sie ist eine erwachsene Frau. Doch damals, als sie noch klein war, wurde sie immer gewarnt, vor den bösen Männern. Sie drehte die Spitzen ihrer Sneakers im Kies, blickte schamvoll zu Boden und fürchtete sich vor wilden Monstern, die sie aus dem Gebüsch anfallen in den Abgrund ziehen würden. Am liebsten hätte sie ihren Körper mit Stacheldraht zu umwickelt, zum Schutz. Sie hatte ja keine Ahnung von den Sphären, in welche man fliegen konnte, wenn, ja wenn… Er, der Junge, der sich, auf den Dachboden zurückgezogen, ebenso schamerfüllt an Stellen anfasste, wo es ihm von seinen Eltern verboten worden war. Es war der staubige Ort, wo all die Playboy, Penthouse, LUI und andere „Heftchen“ verborgen waren, die eigentlich für sein Auge nicht angebracht waren; doch sein älterer Bruder war ungeschickt im Verstecken, oder nachlässig. Diese zerlesenen, abgewetzten Seiten, sie lösten in ihm etwas aus, in seinem Körper, und sie bohrten sich in sein Gedächtnis. Insbesondere dieses eine Bild, über zwei Seiten, von einer Darstellerin aus dem Crazy Horse im Paris der 80er Jahre hatte es ihm angetan. Sie war nackt, bis auf… weisse Socken.
Schicksalsjahrzehnte, wie im Flug sind sie vorbei. Und jetzt sitzt diese Frau vor ihm, auf dem Sofa, Beine angezogen. Sie trägt, was er so nie mehr gesehen hatte, seit damals. Eingewickelt in ein Frotté-Tuch, ist sie darunter nichts weiter als dieses Sockenmädchen. Sie blickt nicht in eine anonyme Kamera, nein. Sie schaut in seine Augen. Endlich.
Das Monster erwacht.