Ich beginne mal mit einer kurzen Szene:
Das Knacken im Telefon, als die Verbindung unterbrochen war, riss eine Schramme ins Herz. Sie hatte einfach aufgelegt, mir keine Chance zur Antwort gelassen. Unser Gespräch, das wir wie an jedem Abend führten, hatte eine ungeplante Wendung genommen. Ein Wort hatte das andere gegeben und plötzlich war der Streit da. Ich war sicher, sie hatte ihn ebenso wenig gewollt wie ich.
Ich wählte ihre Nummer, aber die Stimme in der Leitung sagte mir nur immer denselben Satz: Der Teilnehmer ist im Moment nicht erreichbar. Ich versuchte es auf ihrem Handy, das Ergebnis war das gleiche. Selten hatte ich mich so hilflos gefühlt, so ohnmächtig im Schmerz.
Nur wenige Minuten brauchte ich, um mich reisefertig zu machen. An der Tankstelle am Ortsausgang tankte ich noch einmal voll und dann hatte mich die Autobahn. In gut eineinhalb Stunden hatte ich die 220 Kilometer zu ihr zurückgelegt. Die letzten Kilometer nach der Autobahn nahm ich keine Rücksicht mehr auf Verkehrsschilder, ich wollte sie nur sehen. Es war bereits 01:10 Uhr als ich vor ihrer Haustür parkte. Ihr Umriss im gedämpften Licht der Schreibtischlampe, den ich von der Straße aus durch das Fenster sah, zeigte mir, dass auch sie noch nicht schlief.
Wir fielen uns tränenüberströmt in die Arme, sobald sie die Tür öffnete, der Streit war natürlich vergessen. Als ich mich um 0600 Uhr auf den Weg nach Haus machte, war ich müde, aber zufrieden und quälte mich anschließend mit dem Rest meiner Energie durch den Arbeitstag.
Zunächst einmal die Faktenseite. Es gibt sie und sie können offensichtlich auch funktionieren. Ich habe genügend Menschen kennengelernt, die in einer Fernbeziehung leben oder gelebt haben. Abzuwägen gilt im Einzelfall immer der persönliche Aspekt. Es ist absolut müßig, zu sagen „ich würde nie…“ oder „ich würde jederzeit…“. Wenn es passiert ist, dass die Emotionen zugeschlagen haben, zwar die Entfernung zwischen den Wohnungen, nicht aber zwischen den Herzen Probleme bereitet, ist jeder Vorsatz dahin.
Für eine Fernbeziehung sprechen einige Argumente. Als Single im fortgeschrittenen Stadium des Erwachsenseins, nach erklecklichen Erfahrungen mit Ehen, Beziehungen und Freundschaften, hat der Mensch genügend Eigenheiten, Ansichten und individuelle Verhaltensweisen angesammelt, um sich zu fragen, ob diese einem anderen Menschen tagtäglich zugemutet werden können. Dennoch möchte er das emotionale Engagement, die Nähe eines anderen Menschen langfristig nicht missen. Die Mobilität, die den Menschen unserer Zeit kennzeichnet und die elektronische Kommunikation schafft zudem Möglichkeiten, Entfernungen zu überbrücken und jederzeit Kontakt zu haben. Die Frage, eine Liebesbeziehung zu einem Partner in einer Entfernung von 300 oder mehr Kilometern Entfernung einzugehen, scheitert nicht an den kommunikativen Möglichkeiten, muss nicht an der Distanz scheitern. Die Perspektive, sich nur zwei oder drei Mal im Monat zu sehen, diese Begegnung aber zu zelebrieren, verspricht eine Befreiung vom Alltag, eine unbelastete Begegnung mit dem Partner oder der Partnerin und eine Zeit ständiger gespannter und freudiger Erwartung zwischen den Begegnungen. In den Abständen zwischen den Begegnungen kann jeder den Anderen am Alltag teilnehmen lassen, Sorgen und Nöte besprechen und seine Emotionen teilen. Im Hintergrund steht immer die Option auf eine gemeinsame Zukunft, sollte einer der Partner oder auch beide die Möglichkeit und den Willen zu einer Ortsveränderung haben.
Gegen eine Fernbeziehung sprechen jedoch ebenso viele Argumente. Trotz aller Kommunikationsmittel ist niemals die spontane Möglichkeit gegeben, die körperliche Nähe des Partners zu suchen, sollte einmal der dringende Wunsch dazu bestehen. Die Gefahr, diese Nähe bei jemand anderem zu finden, ist sicher einer der Gründe, das Vertrauen zwischen Partnern in einer Fernbeziehung zu untergraben. Eifersucht zu beherrschen, erfordert große geistige Disziplin, die nicht jedem gegeben ist. Nicht zu unterschätzen ist auch die wirtschaftliche Belastung durch häufige Reisen zum Besuch des Partners, die nicht nur finanzielle und physische Energie beanspruchen, sondern auch organisatorischen Aufwand bedeuten. Was mache ich mit den Kindern, wenn ich zum Partner fahre? Wer versorgt meine Haustiere? Wie finanziere ich jeden Monat ein oder zwei Fahrten trotz den strapazierten Familienbudgets? Solche Probleme sind für viele einfach nicht lösbar und stehen in ihrer Pragmatik wie eine Mauer vor den emotionalen Entscheidungen.
Probleme besonderer Art treten regelmäßig auf, wenn aus einer Fernbeziehung eine Wohngemeinschaft wird. Meist verändert nur einer der Partner seinen Wohnsitz und seine berufliche und soziale Umgebung. Allein die Bereitschaft dazu ist ein Beweis der Gefühle für den jeweils anderen Partner, der in seiner Konsequenz viel zu häufig unterschätzt wird. Wem ein solches Geschenk gemacht wird, sollte sich auch seiner eigenen Verantwortung bewusst sein. Wenn ich mir meiner Liebe zum Partner nicht so sicher bin, dass ich in der Lage sein kann, ihm für eine lange Zeit einen Ausgleich für die soziale Entwurzelung und die berufliche Neuorientierung zu geben, sollte ich ihm von diesem Schritt abraten und sein Geschenk nicht annehmen. Im Falle eines zu schnellen Scheiterns der Beziehung würde ich nicht nur einen seelisch verletzten Ex-Partner zurücklassen, sondern auch einen einsamen Menschen in fremder Umgebung.
Für eine Gemeinsamkeit reicht nicht nur eine Gegenwart, gemeinsame Perspektiven und Ziele für eine Zukunft sind ein wichtiger Bestandteil, um aus der Gegenwart eine gemeinsame Vergangenheit zu machen und eine kommende Gegenwart zu sichern. Sicher gibt es viele User auf dieser Plattform, die bereits ihre Erfahrung mit einer Fernbeziehung gemacht haben und auch ebenso viele, die für ihre Liebe bereit gewesen sind, ihr Leben zu ändern. Es bleibt ein bitterer Geschmack zurück, wenn sich bei einem Scheitern der Beziehung herausstellt, dass nur einer der Beteiligten bereit war, für eine gemeinsame Perspektive sein Leben und seine Gewohnheiten umzustellen. Gemeinsamkeit bedeutet auch ein Sich-Entgegenkommen, Aufeinander-zugehen, das nicht in Kompromissen und beiderseitigem Verzicht enden muss, sondern in einem gemeinsamen Zuwachs von Lebensqualität und Gewinn an Freiheit.