„Originalverkorkst“
Kleine Vorbemerkung: Die connoisseurs sind beruflich unter anderem in der Weinbranche unterwegs, darum treibt sie das Thema Kork schon lange um - nicht nur als Weingenießer, sondern auch aus wirtschaftlichem Interesse. Die nachfolgenden Bemerkungen basieren auf eigenen Erfahrungen und vielen Gesprächen mit Weinerzeugern, Kollegen in Distribution und Handel und Fachleuten für „Trockenware“, zu der in der Weinwirtschaft die Verschlüsse zählen.
Was spricht für Naturkork?
Bei nüchterner Betrachtung eigentlich nichts. Außer, dass der Naturkork „wertiger“ erscheint als alle anderen Flaschenverschlüsse und der Bohei beim Öffnen der Flasche größer ist. Die massiven Korkschmecker, die jeder schon mal erlebt hat, sind ja nur ein Teil des Problems. Viel häufiger und eigentlich noch ärgerlicher sind „verdeckte Korkschmecker“ - korkbedingte Weinfehler, die man nicht so richtig zu fassen kriegt. Mal ist es „ganz leichter Kork“ (zu wenig, um den Wein wegzuschütten, zu viel, um sich nicht darüber zu ärgern), mal ist es der Eindruck, der Wein habe beim letzten Mal aber besser/frischer geschmeckt, mal ist es „Kellermuff“, mal die Überraschung, dass zwei Flaschen aus derselben Kiste zwar beide gut, aber doch irgendwie ein bisschen unterschiedlich schmecken.
Als Argument pro Naturkork wird oft ins Feld geführt, der Wein würde so am besten „reifen“.
Das ist, freundlich formuliert, eine steile These. Wenn Weinmacher*innen der Meinung sind, ihr Wein brauche Mikrooxidation, dann wird diese heutzutage vor der Füllung auf die Flasche erledigt.
Für alle gewollten biochemischen Prozesse während der Flaschenreife braucht es keine Gasdiffusion - im Gegenteil. Was nämlich auf diesem Weg im Lauf der Zeit neben Luftsauerstoff an Umwelteinflüssen in die Flasche eingetragen wird, ist von Lagerort zu Lagerort unterschiedlich. Es hat Einfluss auf die Qualität des Weins, ist aber nicht definiert und entzieht sich dem Einfluss der Produzenten. Das können engagierte Winzer*innen nicht wollen.
Und was den Sauerstoff angeht - seiner oxidativen Wirkung auf den Wein wird in aller Regel mit der Zugabe von SO2 - vulgo: Schwefel - entgegengewirkt. In der Tendenz bekommen darum lagerfähige und mit Naturkork verschlossene Weine mehr Schwefel ab! Das können bewusste Konsument*innen nicht wollen.
Bei den hochwertigsten (und im Einkauf sehr teuren) Korken werden Verunreinigungen mit dem für Korkschmecker primär verantwortlichen Stoff Trichloranisol (TCA) zwar durch aufwändige Reinigungs- und Prüfverfahren weitgehend ausgeschlossen, es bleibt aber auch hier bei einer gewissen Fehlerquote. In der Branche spricht man von „um die 1%“. Klingt wenig, ist aber nur ein schwacher Trost, wenn man die eine von 100 Flaschen erwischt und einen Romanée-Conti ins Klo dekantieren muss.
Die besseren Alternativen: „Stelvin“ und DIAM
Dabei gibt es mit hochwertigen (!) Schraubverschlüssen, oft „Stelvin“ genannt (auch wenn nicht alle von dieser Marke kommen) und mit DIAM-Korken zwei exzellente Alternativen.
Schraubverschluss ist nicht gleich Schraubverschluss. Schaut Euch die Dinger mal genauer an. Da gibt es welche, die haben innen ein elastisches Plastikplättchen als Dichtung. Für einfache Weine, die rasch konsumiert werden, ist das okay, das Material ist zunächst einmal lebensmittelecht. Für lagerfähige Weine wäre es aber ungeeignet. Alle Arten von „Plastik“ (Technopolymere) korrodieren im Laufe der Zeit, werden spröde und dünsten oder schwemmen einzelne Bestandteile aus.
Wenn Ihr bessere Schraubverschlüsse auseinandernehmt, findet Ihr zwar auch ein Plastikplättchen (aus lebensmittelechtem Polyvinylidenchlorid, auch als „Saran“ bekannt) und einer hauchdünnen Metallfolie. Die Saran-Platte ist elastisch und ermöglicht einen hohen Anpressdruck beim Verschließen, mit dem Wein in Kontakt bleibt aber nur die Folie aus einer Zinnlegierung, ebenfalls lebensmittelecht und absolut korrosionsbeständig.
Solche Verschlüsse mögen nicht so „sexy“ sein wie Korken - bei realistischer Betrachtung sind sie aber so etwas wie der „Goldstandard“. Der Wein bleibt lebenslang nur mit dem Glas der Flasche und der Zinnlegierung der Dichtung in Kontakt und von Umwelteinflüssen verschont. Wenn er dennoch Fehltöne aufweist oder vor der Zeit kippt, dann kann das an allem Möglichen während der Weinbereitung liegen, aber ganz bestimmt nicht an der „Verpackung“.
Und dann gibt es DIAM-Korken. Die sehen auf den ersten Blick aus wie Presskorken, bestehen wie diese auch aus Kork-Granulat. Dieses wird aber nach einem patentierten Verfahren von allen flüchtigen Bestandteilen des Korks befreit, die für ungewollte Geschmacksveränderungen beim Wein sorgen könnten, und mit einer Emulsion aus Bienenwachs und pflanzlichen Polyolen „verklebt“. Diese an einem kleinen „DIAM“-Logo erkennbaren Verschüsse sind langzeitstabil und schließen zumindest den Eintrag von Stoffen, die für Korkschmecker sorgen, 100%ig aus.
Ein bisschen was aus der Praxis
Vier Anekdoten zum Schluss. Bei einer Veranstaltung in Bordeaux wurde kürzlich ein 2000er Château Latour ausgeschenkt. Ein absolut großartiger Wein. Das Publikum bestand aus Profis, gewohnt, bei solchen Gelegenheiten zu schauen, zu riechen, zu schmecken und … am Ende zu spucken. Beim Latour war es anders, den hat niemand gespuckt, den haben alle geschluckt! Als beim Einschenken die Reihe an uns kam, wollte es der Zufall, dass der connoisseur den letzten Rest aus der einen und sein Kollege den ersten Schuss aus der anderen Pulle abbekam. Beide Flaschen entstammten derselben Kiste, waren kurz vor dem Tasting geöffnet worden, die Korken - endlos lange ebenmäßige Zapfen - waren ohne Fehl und Tadel. Als wir über den Wein diskutierten, kamen wir jedoch zu etwas unterschiedlichen Eindrücken.
Wir tauschten die Gläser und waren frappiert: Darin lag derselbe Wein, beide Gläser enthielten ein Getränk zum Niederknien … und doch gab es Unterschiede. Der Wein aus der einen Flasche wirkte erkennbar „jünger“ und vitaler als der aus der anderen Flasche.
Vor ein paar Jahren besuchten wir Bleasdale, ein renommiertes südaustralisches Weingut, dessen „Frank-Potts“-Linie auch in Deutschland recht populär ist. Dort hatten alle Flaschen Schraubverschlüsse, die Basisweine für 20 Dollar ebenso wie die Spitzenqualitäten für 100 Dollar. Wir waren überrascht, kannten wir Bleasdale-Weine doch bislang nur mit Korken. Darauf angesprochen, lachten die Bleasdale-Leute. „Natural cork? Ha! Just for stupid Americans and crazy Germans.“
Es ist davon auszugehen, dass sie es bei amerikanischen Gästen andersrum sagen. Die Botschaft bleibt dieselbe.
In Österreich hat sich der Schraubverschluss weitestgehend durchgesetzt - mit Naturkork arbeiten eigentlich nur noch unverbesserliche Traditionalisten und Spitzenbetriebe, die damit einen kleinen Teil ihrer Produktion verschließen - Spitzenweine, welche vornehmlich an die Gastronomie gehen. Nicht, dass dort am Ende die österreichischen Weine weniger zelebriert werden als die Franzosen oder Italiener.
Ein uns bekannter Top-Winzer aus dem Burgenland macht dieses Spiel schweren Herzens mit - verschließt sein eigenes Deputat“ aber konsequent mit „Schraubern“.
Reinhard Löwenstein, streitbarer Ausnahme-Winzer von der Mosel, ist nicht nur Pionier des Terroir-Gedankens in Deutschland, sondern auch, wenn es um Schraubverschlüsse geht. Seit ungefähr 15 Jahren füllt er so auch seine Großen Gewächse. Neulich schraubten wir einen 2012er Uhlen Roth Lay Großes Gewächs auf. Ein Granatenwein, extrem komplex und lang, super gereift und zugleich super frisch … und ohne jeden Fehlton, ohne jene oxidative Noten, die Rieslinge irgendwann von „reif“ in „drüber“ kippen lassen. Keine Frage, in der Verfassung bleibt der Wein wenigstens weitere 10 Jahre ein Genuss. Wäre er „originalverkorkst“, würden wir diese Prognose nicht wagen…