Luxusprobleme?
Hallo allerseits!
Ich bin grad hierauf gestoßen, hab mir eure Beiträge durchgelesen und dachte nur so "Oh Mann! Seid doch froh mit dem, was ihr habt!"
Mal zum Vergleich:
Ich als Basismitglied (oder wie sich das schimpft) kann nicht mal Club-Mails verschicken, obwohl mein Profil verifiziert ist, was mir seit meiner Anmeldung nie eingeleuchtet hat. Und ich war bisher finanziell immer so knapp bei Kasse, dass ich abwägen musste, ob ich was essen oder die Mitgliedschaft upgraden und versaute Mails schreiben will.
Daher finde ich den Einwand (sinngemäß), 15 Euro wären ja für manche Veranstaltungen nen Klacks, ehrlich gesagt doch recht dekadent. Soll ich mir also den nächsten Samenerguss vom Munde absparen oder was?!
(überspitzt gesagt) Von 15 Euro kann ich eine Woche lang leben. Muss ich leider sogar. Natürlich nicht gesund, sondern grundernährt.
Es heißt immer, wer ficken will, muss artig sein. Ich würde hinzufügen, wer wirklich frei auswählen können möchte, wie seine gesellschaftliche Teilhabe aussieht, und da gehört auch freies Ficken dazu, der muss im Ist-Stand unserer Gesellschaft auch relativ wohlhabend sein. Bevor ihr euch an dem Wort "wohlhabend" hochschaukelt, es steht "relativ" davor.
Und das wiederum hat gar nicht nur was mit JC zu tun, sondern gesamtgesellschaftlich-allgemein. Dazu gleich mehr.
Fakt bleiben aus meiner Sicht daher folgende Punkte:
1. Im Turbokapitalismus ist auch die angeblich freie Liebe nicht sicher vor der Vermarktung und nichts anderes passiert auch hier auf dieser Plattform. Das werfe ich nicht deren Machern vor, sondern sage lediglich, es ist ein systemisches Symptom. Natürlich könnte man jetzt entgegnen, ich bin ja hier aktiv und schreibe, aber der Vergleich ist so nicht richtig. Wenn wir uns das im Bild vom Markt mit Angebot und Nachfrage vorstellen, ist die Plattform der Markt, die Angebote (Sex) werden von zahlenden Mitgliedern erstellt und von zahlenden Mitgliedern konsumiert. Ich mit meiner per-se-Probemitgliedschaft sehe doch nur die Darstellungen der Angebote, kann aber gar nicht darauf zugreifen, weil ich kein Cash habe, was mir erst Zutritt zum Markt gewährt. Ich gucke also allenfalls durchs Schaufenster rein, was ihr hier so austauscht, miteinander treibt, usw. Ich partizipiere also nicht an diesem Marktgeschehen, weil ich aktiv durch Politik, in dem Fall kapitalistische Firmenpolitik (wie gesagt, kein Vorwurf, reine Beobachtung), ausgeschlossen werde. Was ich hier jetzt schreibe, ist meta betrachtet kein echter Beitrag am Markt, sondern so ähnlich, als würde ich vor dem Supermarkt einen Info-Stand einer NGO betreiben oder euch von einer kleinen Bühne mit Programm beschallen, um auf etwas aufmerksam zu machen. Kennen wir ja alle von irgendwo her. Jedenfalls hat dieser "Beitrag" hier keinen direkten Einfluss auf das Geschehen am Markt, außer vllt., dass ihr euch über euer Konsumverhalten Gedanken macht, die Angebote bewusster genießt und euch eurer Privilegien mehr bewusst seid. Vllt. wendet auch der eine oder andere Nutzer seine Aufmerksamkeit auf mein "Programm" und macht mir ein Angebot in irgendeiner Form. Nicht, dass ich drauf spekulieren würde, sondern das nur mal, um es als Beispiel herzunehmen: Wenn das passieren würde, würde unsere Interaktion außerhalb des Marktes von JC stattfinden, wir würden damit also einen eigenen Markt gründen, der dann keine kostenpflichtige Mitgliedschaft zur Voraussetzung hat und das wäre, rein vom Begriff her, eine Konkurrenz zu JC. Natürlich würde uns niemand real als solche wahrnehmen, aber wenn sich das häufen würde, wäre JC wohl ziemlich bald pleite und andere würden kommen und versuchen zu vermarkten, was wir bisher als alternativ empfunden haben. Das wird dann der neue Mainstream.
2. Hier möchte ich jetzt auf den Punkt "wohlhabend sein, um wirklich frei ficken zu können" eingehen, wie ich oben angekündigt habe. Spinnen wir die Geschichte von eben doch kurz mal weiter, dann kann ich anhand dessen erklären, was ich mit der gesamtgesellschaftlich-allgemeinen Implikation der Thematik meinte:
Angenommen, mir würde ein Mitglied ein Angebot an den Mechanismen von JC vorbei unterbreiten, sich mit mir zu treffen. Lassen wir erstmal völlig offen, was daraus entstehen könnte, darum geht es mir hier gar nicht. Mein nächstes reales Problem stellt sich dadurch, dass ich ja durch meine finanzielle Situation nicht nur hier bei JC, sondern insgesamt überall in meiner gesellschaftlichen Teilhabe eingeschränkt bin. Es gibt bei dieser Debatte immer wieder Gegenstimmen aus dem neoliberalen Lager, die dann gern so etwas sagen wie "Es gibt doch unzählige Freizeitbeschäftigungen, für die man kein Geld braucht." Diese Menschen unterschlagen oder blenden gern aus, dass eben im Kapitalismus JEDER Lebensbereich der Vermarktung anheim fällt und dass im Laufe der Zeit die Menschen durch gezielte Mechanismen beeinflusst werden, so dass es zwar noch kostenlose Alternativen gibt, diese aber immer häufiger als unattraktiver gegenüber den Marktangeboten wahrgenommen werden.
Aber konkret, aus meiner Erfahrung mit anderen kostenlosen Dating-Seiten und -Apps: Häufigster Vorschlag: "Wie wäre es mit nem Restaurant, ner Bar oder nem Cafe fürs erste Treffen?" Da muss ich passen. Wir können uns gern an die Spree setzen und quatschen. Äquivalent, was hier auch schon genannt wurde: Stammi im James June. Klasse, ich sitze gern den ganzen Abend ohne Getränke und Speisen da und gucke anderen zu, wie sie ihre verzehren.
"Ich würde dir was ausgeben." Danke, sehr freundlich, wenn du bis hierher immer noch Interesse hättest und mir sogar nen Drink spendieren würdest! Aber denken wir das doch mal weiter: 1. Der Mensch denkt IMMER in Tauschhandlungen. Nehme ich das erste Getränk an, ist die ungeschriebene Regel, dass ich dir irgendwann eines schulde. Das denkst du, das denke ich, das denkt jeder. Die Frage für mich ist; Will ich mich in diese Schuld begeben und werde ich sie jemals begleichen können? 2. Möchte ich, dass unser erster Kontakt dadurch geprägt ist, dass du dafür sorgst, dass für mich die Veranstaltung ebenso gemütlich und angenehm wird wie für dich? Würdest du das wollen?
Noch weiter: Angenommen, du bist feministisch, intelligent, aufgeschlossen, unvoreingenommen und interessiert genug, um mit mir nach Hause zu kommen. Mein Zimmer ist ein gelebtes Provisorium, das meine finanzielle Situation und meinen jahrelangen Streit mit meiner Hausverwaltung widerspiegelt. Konkret: Zwei alte, durchgelegene Matratzen auf dem Boden, viele nie ausgepackte Umzugskartons, weil kein Schrank aufgebaut wurde, weil die Wand kurz nach Einzug feucht und nie wieder richtig trocken wurde. Nehmen wir an, auch das wäre dir egal. Dann weiter gedacht: Wie lange könntest du im Kontakt zu mir, angenommen es wäre ein mehr oder weniger regelmäßiger, darüber hinweg sehen, dass ich arm wie eine Kirchenmaus bin? Wie oft könntest du es aushalten, dass man sich mit mir freizeittechnisch eingeengt und beschränkt fühlt? An der Stelle erstmal Cut. Überprüft euch mal selbst, wer bis hierhin schon ausgestiegen wäre. Und dabei könnte ich der geilste Stecher sein, meine Liebhaberqualitäten könnten exorbitant sein....das wäre angesichts der Begleitumstände doch überhaupt nicht erheblich für 80-90 Prozent der Menschen.
3. Die evolutionsbiologische Implikation von relativem Wohlstand in Verbindung mit subjektiver Attraktivität.
In der mMn. besonders sehenswerten Sendung "Planet Wissen - Jung, attraktiv, erfolgreich sucht ..."
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wird sehr schön erläutert, wie Hunderttausende Jahre Evolution in uns noch immer die Strippen ziehen, aller guten, feministischen Vorsätze zum Trotz. Ich finde, der Beitrag spricht sehr gut für sich, deshalb halte ich diesen Absatz hier kurz.
Fazit:
Nicht alles, was ich hier geschrieben habe, ist zu Ende gedacht, das wäre hier schlicht nicht praktikabel. Und auch meine eigene Situation ist nicht zwangsläufig die hier geschilderte. In einigen Teilen deckt sie sich mit der Realität, in anderen habe ich bewusst überspitzt, um zu verdeutlichen. Vor allem aber sollte euch bitte bewusst sein: So oder so ähnlich und manchmal noch viel schlimmer geht es Millionen von Menschen, sogar nur im deutschsprachigen Raum. Mittlerweile sollte jedem klar sein, dass weltweit Milliarden von Menschen nicht mal den Gegenwert von 15 Euro pro Woche zum Leben haben. Aber das will ich nicht ausweiten. Man muss auch bei Vergleichen auf die Relationen achten. Ich denke, es reicht schon aus, wenn wir bei der von mir geschilderten Situation bleiben und ziemlich eng beim Thema "freier Zugang zu Sex als Menschenrecht". Dann allein schon ist recht schnell klar: Mann, habt ihr es gut! Genießt das einfach mehr, guckt aber vllt. auch in Zukunft mal über den Tellerrand des hedonistischen Milieus und eurer Szene hinaus und überlegt vllt. hier und dort, wo ihr jmd., der euch sexuell sehr glücklich machen könnte, zu vorschnell aufgrund seines Äußeren, seines niedrigen Status, etc. ausschließt!
Noch ein kleiner, provokanter Gedanke am Schluss: Ich möchte gar nicht wissen, wie viele obdachlose Menschen begnadete Liebhaber wären, wenn sie geduscht, rasiert und gekämmt eine Chance bekämen, an der schönsten Nebensache der Welt gleichberechtigt zu partizipieren.