Ich habe gerade einen ganz wunderbaren Artikel zum Thema entdeckt:
zu finden auf:
https://akademieintegra.word … n-aber-als-kopien-%E2%80%9C/
„Wir werden als Originale geboren, sterben aber als Kopien.“
Veröffentlicht am 29. Januar 2011 von Akademie Integra
Unter Verwendung von Auszügen aus (o:forum und Büchern von Arno Grün
Werde was Du im Kern bist!
Nicht was man aus Dir machen will.
Es ist schon etwas eigenartiges, dass der Mensch, wenn er mit Terror und Nichtexistenz bedroht ist, sich mit der ihn bedrohenden Instanz identifiziert, sich mit ihr verschmelzt, seine Identität aufgibt, um vermeintliche Rettung zu erlangen
Es geht um die Frage der Identität des Menschen. Und die Frage nach der Identität des Menschen ist ja die Frage nach seinem Menschsein. Es ist zugleich die Frage nach dem Schaden in Körper und Seele, den ein Mensch aushalten kann, um an seinem Menschsein festhalten zu können. Primo Levi in seinem erschütternden Auschwitz-Bericht “Ist das ein Mensch” schrieb, dass er sich selber schäme, dass es Menschen waren, die Auschwitz erdacht und errichtet hatten. Aber Auschwitz ist weder Anfang noch Ende dieser Scham. Diese fing an mit den Kindsmorden der Antike und findet weiter statt mit den täglichen Verstümmelungen und Vergewaltigungen von Kindern, Frauen, Menschen in Südamerika, Afrika, dem früheren Jugoslawien, Russland, im nahen Osten und bei uns in den Gewalttaten des Fremdenhasses und von Kindern gegen andere Kinder. Die Krise unserer Welt lässt sich eben nicht auf nationale, ökonomische oder technologische Probleme reduzieren. Sie liegt in unserer Definition, in unserem eigentlichen Verständnis des Menschen.
Wir nennen das, worin wir leben, stolz Zivilisation. Doch haben unsere Gesetze und Techniken ein Eigenleben entwickelt, das sich gegen unser seelisches und körperliches Überleben richtet. Die politischen Verhältnisse schwanken zwischen Konsolidierung bürokratischer Herrschaft und Ausbrüchen ohnmächtigen Zorns. Die Frage über das Menschsein geht deswegen weit über Auschwitz hinaus. Auschwitz war ein Mahnmal dessen, wozu Menschen im Stande sind und berechtigt zu der Frage, was denn ein Mensch überhaupt ist. Wie kommt es dazu, dass wirtschaftliche Zusammenbrüche, Rezessionen, Kriege, Zerstörung, Hass, Bruderstreit, Gewalttätigkeit, Drogenkonsum, Kriminalität, Verachtung Frauen und Kindern gegenüber, Verrohung und Grausamkeit überall zunehmen? Warum lernen wir nicht aus unserer eigenen Geschichte? Warum (werden wir) heute, in einer Zeit voller Informatik und wissenschaftlicher Erkenntnisse, wieder von unserer Vergangenheit eingeholt? Ist es möglich, dass unsere Denkweisen so festgefahren sind, dass die wahren Ursprünge unseres selbstzerstörerischen Tuns verdeckt bleiben? Wir leben in einer Welt, in der wir zunehmend von einander abhängig sind, gleichzeitig uns aber vermehrt gegeneinander einsetzen. Warum also stellen sich Menschen gegen das, was sie miteinander verbindet, gegen das, was sie miteinander gemeinsam haben? Es ist schwierig, sich dieser Thematik zu nähern.
Das, was unser Bewusstsein formt, dient Systemen, welche unsere wirklichen Bedürfnisse der gesellschaftlichen Ordnung unterordnen. Was uns zwingt, sind Kräfte, die uns dazu bewegen, Macht und Gehorsam als Eigenziele einzuverleiben, so dass die ureigenen Bedürfnisse für Wärme und Liebe von uns losgelöst und sogar verleugnet werden. Diese Bedürfnisse von ihren eigentlichen Verbindungen getrennt, werden zu Erfahrungen, die von zerstörerischer Wut begleitet zur Zersplitterung des Individuums führen und dies macht die Beantwortung der Frage nach der Identität – Wer bin ich, wohin gehöre ich – fast unmöglich. Aber wir müssen versuchen sie zu beantworten, denn das Fortbestehen unserer demokratischen Lebensweisen hängt davon ab. Für viele dreht sich die Antwort um die gesellschaftlichen Rollen, die man spielt. Es ist die Identifizierung mit Rollen und Symbolen aus der diese Art von Identität emporsteigt. Wenn aber in Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs, wirtschaftlichen und politischen Chaos diese Identifizierungen keinen Halt geben, wird Unruhe und Unsicherheit zum Merkmal einer so betroffenen Gesellschaft. Menschen fühlen sich bedroht, sind verwirrt, wissen nicht mehr, wo sie hingehören. Manche versuchen durch Gewalt jene Umstände wieder herzustellen, die, wie sie glauben, ihre bedrohte oder verloren gegangene Identität zurückbringen werden. Historiker sprechen von Perioden des Auseinanderfallens und neuen Identitätsgeburten ohne in Frage zu stellen, ob tatsächlich Identität aus neuen gesellschaftlichen Rollen emporsteigt. Das aber versperrt die Sicht darüber was Identität wirklich ist. Zugleich befestigt es jene Sicht der Persönlichkeitsentwicklung, die der Aufrechterhaltung eines Bewusstseins dient, das der Identifikation mit der Macht und dem Gehorsam, den Macht für seine Befestigung benötigt, dient. (Zugleich befestigt es jene Sicht der Persönlichkeitsentwicklung, die der Aufrechterhaltung eines bestimmten Bewusstseins dient. Einem Bewusstsein, das der Identifikation mit der Macht und dem Gehorsam, den Macht für seine Befestigung braucht, dient.) Diese Sicht aber bestimmt unser Denken und führt zu einem verhängnisvollen Dilemma, das die Friedfertigen und demokratisch Gesinnten paralysiert.
Was ist Geschichte? Was tun?
Wenn wir die zentrale Rolle des Mitgefühls in unserem Leben erkennen, können wir die Geschichte unserer Zivilisation als Geschichte des Ringens um Empathie bezeichnen. Die Pervertierung der Empathie in Selbstmitleid aber dient nur dem Haß auf das Leben.
Empathie ist etwas, über das wir alle verfügen und das auch unter widrigsten Umständen aufsteigen kann. Doch der Haß auf das Leben ist schwer zu vernichten. Wenn wir ihm Einhalt gebieten, kehrt er in anderer Form wieder und ist häufig nicht sofort als Haß zu erkennen. Die Unfähigkeit, uns selbst vor diesem Haß zu schützen, beruht auf der Identifikation mit unseren Unterdrückern – einer Identifikation, die bei jedem unterschiedlich ausgeprägt ist. Die Sehnsucht nach Liebe wird blockiert von der Sehnsucht nach Autorität, die uns vor der Angst und dem Terror retten soll, durch die wir zur Idealisierung des Täters gezwungen wurden. Wir fühlen uns sündig, weil wir die Wahrheit ursprünglich erkennen konnten, zugleich streiten wir diese Sünde fortwährend ab, indem wir andere zu Opfern machen, die wir dafür bestrafen, daß wir selbst Opfer geworden sind.
Solange Wohlstand und scheinbare Ordnung herrschen, ruht das Opfer in uns. Wenn es aber in Zeiten von wirtschaftlicher Not und politischem Chaos erwacht, erwacht auch der Haß gegen uns selbst und die Notwendigkeit, diesen Haß auf “Feinde” abzuwälzen. Und so lassen wir das Böse in dem Maße zu, in dem wir selbst von Nicht-Liebe geformt worden sind. Zudem können viele von uns keine eigene Identität entwickeln, sondern sich lediglich mit jenen identifizieren, die die Unterwerfung anderer zum Sinn ihres Lebens gemacht haben.
Unsere Aufgabe muß es sein, die Erinnerung an das Kind in uns zurückzuholen und uns unseren Kindern zu widmen, indem wir auf der Legitimität unseres Mitgefühls bestehen. Jakob Wassermann (1994) illustriert dies mit folgender Parabel:
Wenn ich einen Fuhrmann sehe, der sein abgetriebenes Roß mit der Peitsche dermaßen mißhandelt, daß die Adern des Tieres springen und die Nerven zittern, und es fragt mich einer von den untätig, obschon mitleidig Herumstehenden, was geschehen soll, so sage ich ihm: “Reißt dem Wüterich vor allem die Peitsche aus der Hand.
Erwidert mir dann einer: Der Gaul ist störrisch, der Gaul ist tückisch, der Gaul will bloß die Aufmerksamkeit auf sich lenken, es ist ein gutgenährter Gaul, und der Wagen ist mit Stroh beladen, so sage ich ihm: Das können wir nachher untersuchen; vor allem reißt dem Wüterich die Peitsche aus der Hand.
Die Analogie zu unserem Umgang mit Kindern braucht wohl nicht hervorgehoben zu werden. Diesem Vergleich aber können wir entnehmen, was wir einzeln oder kollektiv tun müssen: uns gegen Gewalt und deren ideologische Rechtfertigung zu Wehr setzen.
Wenn wir nicht gegen die Preisgabe unserer authentischen Gefühle ankämpfen können, zu der wir von Kindheit an genötigt werden, dann wächst die Gefahr, daß das Menschsein unterliegt und wir unsere wahre Identität verlieren. Bei unserer Geburt tragen wir das Menschsein in uns. Was sich daraus entwickelt, ist aber häufig nur eine Attrappe, die zwar die Sprache des Menschseins nachahmt, das Herz des Menschen aber verraten hat. Dann geschieht das, was der englische Dichter Edward Young schon im 18. Jahrhundert be- schrieben hat:
“Wir werden als Originale geboren, sterben aber als Kopien.”
Jeder Mensch hat Hilflosigkeit und Ohnmacht als Kernerlebnisse in seiner frühsten Kindheit mitbekommen. Aber bei uns, im Gegensatz zu anderen Tierarten, kann die Hilflosigkeit und Abhängigkeit während der Kindheit zu einem Erlebnis werden, wodurch die Problematik des Prozesses der Identifikation mit dem ihn erziehenden Menschen dazu führt, dass Identifikation nicht zur eignen Identität führt, sondern zu jenem Vorgang, der uns zwingt, unsere wirklichen Bedürfnisse aufzugeben und sich denen eines anderen unterzuordnen. Diese Fehlentwicklung der Identifikation führt zu jenem Zustand im Menschen, den Marcel Proust wie folgt beschrieb:
Wie haben wir den Mut, in einer Welt zu leben, in der die Liebe durch eine Lüge provoziert wird, die aus dem Bedürfnis besteht, unsere Leiden von denen mildern zu lassen, die uns zum leiden brachten?
Jene, die Macht ausüben, und das sind nicht nur die politisch und wirtschaftlich Mächtigen, es meint alle, wie Eltern zum Beispiel, die in persönlicher Beziehung auf Macht bauen, bestehen darauf, dass Identifizierung mit ihnen der Weg zur eigenen Stärke sei. Und so fangen wir alle an zu glauben, dass der Weg zur eigenen Identität der Weg der Identifizierung ist. Es ist aber nicht nur so, dass solche Identifizierung den Weg zur eigenen Identität versperrt, sie vernichtet ihn und wird zugleich zu einer Quelle einer ungeheuren Aggression. Keiner, der solch eine erzwungene Identifikation als Kind erleben musste, kann sich ungeschoren weiterentwickeln. Indem man nichts Eigenes auf diesem Weg entwickeln kann, wird man zum Opfer. Aber diese Identifikation versperrt dem Opfer nicht nur die Erkenntnis seiner Unterordnung zum Willen eines andern, sondern dadurch auch die Basis seiner Wut. Solch ein Kind, später Erwachsener, fühlt sich schuldig und schwach und schämt sich dafür, dass er sein eigenes Sein zurückdrängen musste. Er hasst sich selber dafür. Es ist das eigene Lebendige, das er fortan hasst, weil es die Beziehung zu seinen Eltern bedroht.
Es entwickeln sich Extremisten vielfacher Art. Deren Gefährdungspotenzial in einer demokratischen Gesellschaft wäre allerdings so gut wie vernachlässigbar, gäbe es da nicht die schweigende Mehrheit. Von dieser Krankheit -Extremismus-, die ihre Wurzeln in gesellschaftlichen Strukturen hat, die auf Gehorsam aufbauen, sind 8 bis 30 Prozent der Menschen betroffen. Da sie ein angepasstes Verhalten zeigen, wird ihr mörderisches Potenzial oft nicht erkannt”, analysiert Gruen. “Albert Einstein sagte:
“Die Welt ist nicht bedroht von Menschen, die böse sind, sondern von denen, die Böses zulassen.”
“Zwei Drittel der Deutschen glauben, Deutschland brauche eine starke Hand”, zitiert Gruen eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung: “Überdies vertreten viele die Meinung, in Not geratene Menschen hätten ihre Situation selbst verschuldet, und niemand solle unterstützt werden, der es nicht wirklich verdient. Hinter dieser Haltung, die ja auch von renommierten Vertretern des modernen Neoliberalismus propagiert wird, steckt eine Verachtung für jeden, der schwach ist oder als schwach eingeschätzt wird.”
Laut Gruen haben demokratische Gesellschaften nur eine Möglichkeit, dem Sturz durch Biedermänner und Brandstifter zu entgehen und “die Zerstörung gesellschaftlicher Zusammenhänge durch ein wirtschaftliches Primat, das sich ausschließlich an Profit und Wettbewerb orientiert” zu beenden:
“Indem sie die wahren Bedürfnisse von Menschen erkennen und ernst nehmen, indem sie Kindern die Möglichkeit zu einer wahren Kindheit bieten, die sich an eigenen empathischen Wahrnehmungen und Bedürfnissen orientiert. (…) Es würde so viel weniger kosten, in das Leben zu investieren, anstatt Aufrüstung und Kriege zu finanzieren. Wir haben keinen andern Weg als den des Lebens.”