Jenseits der eigenen Muster...
Lieber TE
ich kann dich in vielem gute nachfühlen auch wenn ich wohl komplett andere Worte wählen würde. Und da ich gerade selbst in der Hinsicht einen Durchbruch hatte möchte ich dies gerne mit dir teilen, bewusst in der öffentlichen Form.
Tatsächlich bin ich analog von einigen Rückmeldungen hier der Meinung, dass diese Dynamik etwas mit dem eigenen Selbstbild zu tun hat. Ich glaube zu tiefst, dass wir im Umfeld dem begegnen was in uns angeschaut werden will und zwar wieder und wieder. Du bist untrennbar mit dem verstrickt, was du in anderen erlebst. Nun ist die Frage, was hat das alles mit dir zu tun. Und hier macht es keinen Sinn, sich als Opfer zu sehen, sondern vielmehr als Gestalter seiner eigenen Welt.
Ich denke zutiefst hat dein Erleben etwas mit deinem Selbstbild zu tun. Und das unbewusste Festhalten an diesem, an dem sogenannten 'Negativgewinn' macht es so schwer. Auch Dinge die wir eigentlich gerne loswerden wollen können uns so vertraut sein, dass wir sie festhalten und es viel Kraft und Bewusstsein und Mut bedarf sich von ihnen zu lösen.
Sprech ich von mir, so bin ich ebenfalls HSP und Empath und eine Vielzahl anderer Dinge die mich in die Lage versetzten, andere Menschen sehr intensiv wahrzunehmen. Oft hab ich eine anscheinend direkteren tieferen Blick auf sie und ihre Bedürfnisse und Sehnsüchte, ihren ungestillten Schmerz und ihre Qualitäten als es ihnen selbst bewusst ist. Es ist eine Gabe die ich bekommen habe die Verantwortung mit sich zieht.
Und eine große Falle ist. Denn ebenfalls neigte ich dazu, mich sehr schnell darin zu verstricken. Mein Leben lang wurde ich und habe es dann selbst fortgeführt mich zu konditionieren dass ich dann Liebe und Aufmerksamkeit erfahren, wenn ich diese Sehnsüchte beantworte. Und ich sage dir, dass auch Frauen genau diese Dynamik erleben können, dass andere wie süchtig nach ihnen werden auf Grund ihrer Empathiefähigkeit. Es ist ein rares Gut in unserer Gesellschaft gesehen zu werden und Menschen fühlen sich durch hochsensible u.U. zum ersten Mal gesehen.
Ich schrieb heute morgen noch selbst für mich, dass ich so gewohnt war zu funktionieren, dass die Angst in mir, was denn passiert wenn ich nicht funktioniere unglaublich ist. Ich bin es so gewohnt in diesem inneren System zu sein, mein Sein antwortet schneller auf mein Gegenüber als mir manchmal bewusst ist. Ich bin tatsächlich wie der Hund der die Pavlovsche Glocke selbst ständig läutet. Mein Sein, meine Art zu Begegnen ist durchzogen von diesem Erleben.
Warum verstehe ich, dass es nicht einfach ist, dies zu ändern? Warum werfe ich dir nicht vor die Füße, dass du doch einfach mal Grenzen lernen sollst und aufhören rum zu jammern? Weil ich selbst weiß, dass hinter der Schwierigkeit von Grenzen eine noch viel größere Macht liegt die Menschen zutiefst Angst macht ein für mich universelles Lebensthema der Menschheit: Was passiert, wenn ich all meine Selbstbilder, all meine Funktionen, alle meine (subtilen) Mittel der Kontrolle, alles Aufbäumen gegen zugeschriebenen Rollen oder Selbstbeweihräucherungen zugeschriebener oder selbst erstelllter Rollen aufgebe. Was ist, wenn ich konsequent diesem Muster in mir entsage? Was passiert wenn all das wegfällt, was ich mein Leben langt einstudiert habe? Werde ich dann noch geliebt? Werde ich dann noch beachtet? Kann ich mich dann noch selbst spüren oder falle ich womöglich in ein Loch?
Ich denke in dem erleben wir zutiefst die Auflösung von Egostrukturen und kommen mit dem in Kontakt was allen erstmal Angst macht - unseren rohen Emotionen, die es anzunehmen gilt und nicht zu manipulieren. Und das erfordert Mut. So viel mehr als mit dem Selbstbild umzugehen. Es loszulassen. Wenn ich die Dynamik bei einer Person anspringen fühle mich ruhig zu verhalten und nicht einzusteigen. Den Schmerz der anderen Person einfach stehen zu lassen, die Sehnsüchte der anderen Person stehen zu lassen. Meine eigenen Sehnsüchte stehen zu lassen. Und Menschen auf eine Art zu begegnen die jenseits von Sehnsüchten und Erwartungen liegt - nackt zu sein in diesem Sinne ist eine tiefe Verletzlichkeit und Offenheit zu zeigen.
Vielleicht wirst du sagen, dass du dich ja gar nicht Zuständig fühlst, gar nicht in der Rolle siehst. Ich glaube dir auch, dass du dich großen Teilen schon losgesprochen hast. Dennoch bleibt etwas an dem du festhältst. Und wenn es nur das Gefühl ist in bestimmten Situationen oder bei bestimmten Personen auf diese Gabe von dir 'zurückzugreifen' -letztlich wirst du immer selbst am Haken hängen. Und dich fragen, ob es eigentlich um dich geht - ob der andere dich sieht - ob der andere für dich Empfindungen hat oder du lediglich funktionierst, funktionalisiert wirst oder dich funktionalisieren lässt. Aussteigen kannst nur du. Und ja, das geht nur darin auszuhalten was dann nicht ist und dann sich zeigen kann, wenn du das Karussell anhältst. Darin entsteht ein Raum der wahren Begegnung, der jenseits von dem geschieht was kontrolliert werden kann. Und das mögen wir Menschen nicht gerne das es immer die Chance der Verletzung in sich birgt.
Geholfen haben mir die Vorträge von Gangaji hierzu (The suffering trap beispielsweise - und viele mehr).
Ich bin selbst dabei zu lernen - ich weiß wie beängstigend das sein kann den alten Mustern abzusprechen. Und doch lohnt es sich am Ende, sich selbst nackt zu begegnen und auch anderen - denn dann kann wesentliche und echt Begegnung geschehen.
Dir viel Mut
Herzlich
a